Johannes Remmel: „Es geht hier aber um Begegnung, um Menschen, um Kultur“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Entwicklung von Innenstädten

Johannes Remmel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich könnte ich an dieser Stelle so weitermachen und die friedliche Stimmung hier noch etwas ausbreiten. Im Grunde sind wir uns alle einig. Die Analysesätze, die die Kollegen der Regierungsfraktionen hier vorgetragen haben, stehen auch in unseren Papieren.

In der Tat ist die Pandemie das Brennglas einer Entwicklung, die unsere Innenstädte ohnehin schon betroffen hat.

Aber eine solche parlamentarische Debatte – gut, dass Sie einen erneuten Aufschlag gemacht haben – ist auch Anlass, über Unterschiede zu reden – oder möglicherweise Ergänzungen, wenn Sie bereit sind, sich mit uns zusammen Gedanken darüber zu machen.

Ich habe überlegt, was das für ein Bild ist, das dieser Antrag vermittelt. Sie haben ja schon mehrfach in diese Richtung agiert, wie Sie gesagt haben. Mir fielen Cheerleader ein, ohne diesen zu nahe treten zu wollen.

(Heiterkeit von Christian Dahm [SPD])

Dann habe ich einmal im Wörterbuch nachgeguckt, was das eigentlich übersetzt heißt. Übersetzt sind das die Anfeuererinnen, und es wird darauf hingewiesen, das sei ein emotionaler Tanz zur Selbstdarstellung.

Das trifft auf Ihren Antrag zu. Sie befeuern damit das, was die Landesregierung ohnehin schon macht. Viel Schlechtes ist nicht dabei. Insofern kann man sagen: Okay. Manche Programme sind sogar bundesweit führend. Also ist das gar keine schlechte Initiative. Wir müssten mehr davon machen.

Aber warum sollen wir hier im Parlament noch einmal das anfeuern, was die Landesregierung ohnehin schon tut? – Zwei Antworten auf diese Frage: Zum einen, weil Sie selbst als Fraktion nicht mehr zu präsentieren haben. Deshalb greifen Sie einfach das auf, was die Landesregierung schon vorgelegt hat, und unterstützen das noch. Zum anderen könnte ein Grund sein, dadurch ein wenig das zu verdecken, was die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen eben nicht ansprechen.

Das möchte ich ein wenig ausleuchten, weil ich glaube, dass das dazugehört. Wenn man sehr genau zugehört hat, Herr Kehrl, kann man einen wesentlichen Unterschied festhalten. Sie haben davon gesprochen, vor allem die Strukturen und die Handelszentrierung zu erhalten; zwei-, dreimal ist das in Ihrer Rede vorgekommen. Sie möchten erhalten. Das ist ja auch ein guter konservativer Grundsatz. Meines Erachtens müsste man aber aufgrund der Entwicklung und der Situation und auch der Analyse eigentlich der Meinung sein, dass wir Veränderung gestalten müssen. Sonst wird es kein Erhalten der klassischen Idee der europäischen Stadt der kurzen Wege und der gebündelten Möglichkeiten, Kultur und Begegnung im Zentrum einer Stadt zu ermöglichen, geben.

Ich will die Punkte ausleuchten, die fehlen. Wenn die Kommunen in der Lage sein sollen, Innenstädte zukünftig besser zu gestalten, dann brauchen sie vor allem eine solide finanzielle Grundlage. Und da haben die Koalitionsfraktionen bis heute nicht geliefert. Was ist mit einer Altschuldenregelung? Was ist mit einer besseren kommunalen Finanzausstattung?

(Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])

Zu einer Innenstadtpolitik gehört, eine vorsorgende Immobilienpolitik machen zu können. Das heißt, Immobilien vorsorgend zu erwerben, und zwar langfristig. Dafür braucht man Geld. Dieses Geld fehlt den Kommunen. Insofern sind die Förderprogramme zwar schön, reichen aber als finanzielle Grundlage nicht aus.

Dann erwähnen Sie richtigerweise das Gutachten von Simon-Kucher & Partners, das auf die Aufenthaltsqualität aufmerksam macht, also auf die zurückgehende Bedeutung des Handels und darauf, dass die Menschen von den Innenstädten erwarten, dass man sich dort gut begegnen und aufhalten kann. Aber Sie ziehen daraus keine Schlüsse. Was heißt das denn konkret? Das heißt, dass wir uns Gedanken über die Gestaltung des öffentlichen Raums in den Innenstädten machen müssen. Daraus ziehen Sie keine Konsequenzen. Vielmehr geht es bei Ihnen nach wie vor handelszentriert, immobilienzentriert um Gebäude. Es geht hier aber um Begegnung, um Menschen, um Kultur. Wie kriegen wir das hin? Das beantworten Sie leider nicht.

Auch die Klimakrise kommt bei Ihnen nicht vor. Das ist aber eine bedeutende Zukunftsfrage. Unsere Städte sind in Zukunft gerade im Sommer Hitzeinseln. Wie schaffen wir es, unsere Städte so umzubauen, dass die Aufenthaltsqualität auch im Sommer dort gut ist?

Grünfinger in die Stadt, Grünflächenkonzept und entsprechende Klimaanpassungsmaßnahmen – all das fehlt in Ihrem Antrag.

Sie sprechen zwar davon – dazu haben Sie ein paar Beispiele erwähnt –, gleiche regulatorische Spielräume in allen Formen des Handels zu schaffen – damit stimme ich überein –, aber lassen Sie uns das doch auf den Punkt bringen. Ich weiß nicht, ob Sie die perversen Entwicklungen mitbekommen haben, die stattfinden. Mittlerweile hat der Onlinehandel offensichtlich die 1a-Lagen in unseren Städten entdeckt und gründet dort Outletcenter mit den Rückläufen und den Resten, die sich online nicht mehr verkaufen lassen. Wie pervers ist das denn eigentlich?

Insofern entsteht dort auch noch zusätzliche Konkurrenz im stationären Handel. Das muss doch Konsequenzen haben. In dem Prozess, wie wir dort hinkommen, fehlt meines Erachtens die Einbeziehung der Bürgergesellschaft. Nur durch Bürgergesellschaft ist das, was Sie wollen, nämlich Innovationsräume in den Städten zu gestalten, auch machbar.

Deshalb können wir das im Ausschuss gerne intensiver debattieren, aber unsere Anregung ist: Lassen Sie es uns ergänzen und umranden, dann wird daraus eine gescheite Initiative. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])

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