Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass die Kollegen und Kolleginnen der SPD die Frage der nachhaltigen Wirtschaft und des fairen weltweiten Handels nach meinem Eindruck offensichtlich einen Tick ernster nehmen, als wir das in der gemeinsamen Regierungszeit erleben durften.
Damals haben wir bei dieser Frage durchaus den einen oder anderen Widerstand erfahren dürfen. Soviel übrigens zu der Frage, wer sich durchgesetzt hat: manchmal wir, aber auch nicht immer.
Zunächst ist aber festzustellen, dass – das ist jedenfalls mein Eindruck – sich dieser Antrag ein ganzes Stück weit mit der Großen Koalition und den Auseinandersetzungen, die Sie in Berlin führen, auseinandersetzt.
Das ist auch richtig, denn die Große Koalition hat es bis heute nicht geschafft, einen europäischen Green Deal zu unterstützen. Sie schafft es bis heute nicht, ein Kohleausstiegsgesetz umzusetzen. Nicht zuletzt ist auch ein peinliches Konferenzergebnis bei der Weltklimakonferenz zustande gekommen. Ich glaube, das hatte unter anderem etwas mit der deutschen Position zu tun.
Nichtsdestotrotz: Die Problembeschreibung – und da unterscheide ich mich von einigen Vorrednern erheblich –, die die SPD in ihrem Antrag vorgenommen hat, ist aus unserer Sicht richtig.
Der Konsum, den wir alle in weiten Teilen immer noch genießen, hat natürlich etwas damit zu tun, dass Ressourcen verbraucht werden – im Wesentlichen übrigens in der Dritten Welt – und die Regenerationstätigkeit unseres Planeten erschöpft ist.
Es gibt den sogenannten Welterschöpfungstag, also den Tag, an dem die jährliche Regenerationsfähigkeit der Erde – oder präziser ausgedrückt – gemessen wird, wann sie überschritten ist.
1971 war das der 21. Dezember, 2019 war das der 29. Juli. Wenn man das auf die Länder herunterbricht, war das in Deutschland 2019 tatsächlich bereits der 3. Mai. Das heißt, den Rest des Jahres leben wir immer auf Kosten aller Ressourcen und damit auch auf Kosten der Enkel.
Wenn man sich die Enkelgeneration betrachtet, ist es im Wesentlichen die Enkelgeneration in der Dritten Welt, denn selbstverständlich sind die Kinder und Enkel in der Dritten Welt, also in den Schwellen- und Entwicklungsländern, diejenigen, die die sogenannten externalisierten Kosten, wie wir das immer so schön nennen, im Wesentlichen tragen werden: also die ausgebeuteten Rohstoffreserven, die ökologischen Kreisläufe, die zusammenbrechen, und übrigens selbstverständlich auch die Ausbeutung der ärmeren Arbeitskräfte in der Dritten Welt. Ich erinnere an Bangladesch oder Indien, die Textilindustrie und die Frage, was dort teilweise mit den Menschen beim Abbrennen von Firmen passiert ist.
Man kann also feststellen: Wir sind dabei, manche Erfolge zu feiern, haben aber auch manche Erfolge in der Vergangenheit auf Kosten anderer, im Wesentlichen in der Dritten Welt, gefeiert. Daran wird sich, wenn ich das so betrachte, so schnell jedenfalls nichts ändern.
Längst ist allerdings klar, wohin unsere Entwicklung führen müsste: Sie müsste dazu führen, dass wir insgesamt messen, was wir tatsächlich tun. Sie müsste dazu führen, dass eine Reform der EU-Agrarpolitik erfolgt; da unterscheide ich mich ganz wesentlich. Wir müssten also weg von der Förderung in der ersten Säule hin zu einer ganz anderen Förderung der Lanwirtschaft, als wir sie heute haben.
Wir müssten die pflichtige Kennzeichnung von Lebensmitteln haben.
Wir müssten ein Konzept für einen weltweiten CO2-Reduzierungszertifikatehandel haben.
Wir müssten übrigens auch – es wundert mich, dass der Begriff in dem Antrag nicht vorgekommen ist, aber morgen taucht er auf – die Forderung eines breiten Bündnisses aufgreifen, das fordert, dass echte Lieferkettenbilanzen gemacht werden.
Selbstverständlich müssten wir auch für eine Umsatzsteuer sorgen, die auch den ökologischen Fußabdruck berücksichtigt.
Das alles müssten wir fordern, aber das alles ist bei aller richtigen Problembeschreibung in Ihrem Antrag nicht in Ihrem Forderungsteil enthalten.
Wir werden das in der Tat im Umweltausschuss und im Wirtschaftsausschuss zu beraten haben. Ich denke, wir werden zusammen eine spannende Diskussion führen. Nordrhein-Westfalen hat bundesweit seinen Anteil an dem, was wir machen müssen.
Wir sollten uns dann aber wirklich mit Konkretem befassen und uns nicht mit den Punkten zufriedengeben, die im Antrag enthalten sind. Sie sind nicht falsch, aber sie reichen auch nicht aus. – Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)