Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal erinnert mich diese Debatte, wie sie gerade geführt wird, ein Stück weit an die Debatte zu „70 Jahre Soziale Marktwirtschaft“.
Sie findet allerdings zu einem Antrag statt, Herr Kollege Herter, der sich einige Bestandteile aus einer Debatte herausgreift, die man eigentlich weiten müsste, zum Beispiel um die Frage des Mindestlohns, um das vorab zu sagen. Denn wenn es tatsächlich darum geht, Konjunktur anzuheizen und mehr Kaufkraft zu erzeugen, sind es die unteren Einkommen – da sind wir einer Meinung –, um die es im Wesentlichen geht.
Die Frage ist allerdings, ob die von Ihnen angesprochenen Instrumente dazu führen, das richtige Ziel einer Kaufkraftvermehrung für die unteren Einkommen – auch für Rentnerinnen und Rentner und Empfänger von Sozialleistungen – tatsächlich zu erreichen. Da habe ich an der einen oder anderen Stelle doch meine Zweifel.
Ich weiß, wie das ist, Kompromisse zu machen. Wir mussten auch so manchen Kompromiss mit Ihnen in der Regierungszeit machen. Aber ausgerechnet die Regelung zum Soli-Abbau für 90 % der Steuerzahler unter dem Aspekt „Kaufkraft“ zu loben, würde zumindest mich nicht zufriedenstellen.
Ich stelle mir im Übrigen auch die Frage, ob es nicht gerade vor dem Hintergrund dessen, was wir hier im Hause öfter diskutieren – wie zum Beispiel Altschuldentilgung, Infrastrukturinvestitionen – richtiger wäre, den Soli in das Steuersystem zu überführen und damit tatsächlich etwas zu tun für gleichartige oder angenäherte Lebensverhältnisse in der Republik etwa für Investitionen, für Altschuldentilgung. Das wäre gerade für unser Land Nordrhein-Westfalen eine bessere Lösung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will natürlich auch sagen, dass das Gute-KiTa-Gesetz aus unserer Sicht nur eine unzureichende Lösung ist. Zunächst einmal sind wir in der Sache etwas anderer Meinung: Bei uns geht immer Qualität vor Beitragsfreiheit. Alles, was man diskutieren kann, müsste man vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit betrachten.
Wenn ich es richtig verstanden habe, sind die Maßnahmen des Gute-KiTa-Gesetzes auf die Legislaturperiode begrenzt. Da stelle ich mir schon die Frage: Wer will denn den Kommunen oder den Ländern ernsthaft empfehlen, begrenzt auf eine Wahlperiode, von der wir alle nicht wissen, wie lange sie wirklich dauert,
(Zuruf von der SPD)
Beitragsfreiheit so durchzusetzen? – Ich glaube, das greift zu kurz.
Ich glaube auch, dass die Frage letztlich bei dem Thema „Rente“ zu kurz greift, weil Sie auf die Diskussion, die Sie mit dem Koalitionspartner in Berlin haben, zurückgreifen, aber auch da die Fragestellungen vielleicht verengt sind.
Wenn Sie sich unser Konzept im Bund angucken, haben wir die Garantierente. Die geht tatsächlich weiter, nicht nur, weil sie mit 30 Jahren greifen würde, sondern auch anders berechnen würde: etwa Zeiten von Schwangerschaft, Zeiten von Erwerbsunfähigkeit wegen Krankheit. Ich glaube, das kommt bei Ihrer Sache zu kurz.
Wenn man bei der Garantierente bliebe, glaube ich persönlich, dass es durchaus bestimmte Segmente der Bedürftigkeitsprüfung gibt, die vernünftig sind, und andere, die es nicht sind.
Dass immer auf selbst genutztes Wohneigentum zurückgegriffen werden sollte – daran habe ich arge Zweifel. Wenn umgekehrt tatsächlich ein höheres Geldvermögen da ist, könnte man schon darüber nachdenken, das teilweise heranzuziehen; da haben wir differenzierte Standpunkte.
(Zurufe von Marc Herter [SPD] und Christian Dahm [SPD])
Präsident André Kuper: Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Maelzer.
Horst Becker (GRÜNE): Ja.
Präsident André Kuper: Denn man tau!
Dr. Dennis Maelzer (SPD): Danke, Herr Kollege Becker, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben auf das Gute-KiTa-Gesetz abgehoben und den Hinweis gegeben, dass Sie jetzt noch nicht wissen, wie hoch die Zuschüsse des Bundes im Jahr 2023 sind.
Heißt das im Umkehrschluss, wenn Sie sich Sorgen machen, dass das Geld nicht mehr fließen sollte – ich nehme an, die Grünen haben Interesse daran, einer der nächsten Bundesregierungen anzugehören –, dass die Grünen die Mittel aus dem Guten-KiTa-Gesetz infrage stellen würden?
Horst Becker (GRÜNE): Zunächst einmal bin ich nicht derjenige, der Wahlergebnisse von 2021 oder 2020 vorhersagen kann. Ich weiß ja nicht, was Sie da so vorhaben; da wird man im Dezember noch mal genauer hingucken.
Ich kann nur sagen, dass ich vermute – aber dafür bin ich nicht zuständig –, dass es auch der Bundestagsfraktion zunächst einmal darum geht, auf Qualität Wert zu legen und alle Bundes- länder in die Lage zu versetzen, dass überhaupt insgesamt so ausgebaut werden kann, wie wir das wollen.
Das ist bis jetzt nicht der Fall. Das haben auch wir nicht so weit geschafft, wie das nötig wäre. Wir haben zusammen eine Menge getan, aber wir haben es immer noch nicht erreicht. Diese Landesregierung hat es auch nicht erreicht. Insofern ist das eine Frage nach Prioritäten. Aber da ich nicht die Absicht habe, der nächsten Bundesregierung oder der nächsten Bundestagsfraktion anzugehören, kann ich das nicht vorwegnehmen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Auch unser Wahlprogramm ist noch nicht erstellt. Ich verstehe also den Hintergrund Ihrer Frage, halte sie aber an dieser Stelle für völlig deplatziert.
Zurück zu dem, was ich sagen wollte. Ich möchte gerne noch etwas ganz Grundsätzliches zur Rente sagen. Ich glaube, dass wir uns alle etwas vormachen, wenn wir die Renten mit den Konzepten, die im Moment diskutiert werden, langfristig sichern wollen.
Ich glaube, dass wir am Ende des Tages alle zusammen bisher an eine Frage nicht herangegangen sind, die überall diskutiert wird, aber ohne Erfolg: die Zusammenführung der normalen Rentenversicherung und der Beamtenpensionen, wie das Österreich und in etwas anderer Form – aus meiner Sicht nicht ganz so gut – die Schweiz gemacht haben.
Diese Diskussionen müssten wir führen, denn selbstverständlich wird bei den gebrochenen Erwerbsbiografien und bei den tatsächlich niedrigen Löhnen in der Zukunft ein immer größerer Teil der Gesellschaft betroffen sein.
Herr Bombis, da bin ich auf einem ganz anderen Stern als Sie, was die Gesellschaft angeht. Wir haben nämlich einen abgehängten Teil der Gesellschaft, wir haben Zeitverträge, wir haben Niedriglöhne, die sich hinterher in der Rente widerspiegeln und zu einem erheblichen Rentenproblem führen werden. Wir müssen uns diesen Fragen also widmen.
Dass das mit den Konzepten dann ausreichend geschehen ist, daran habe ich persönlich meine Zweifel. Ich würde mir wünschen, dass wir das alle zusammen etwas offener diskutieren. – Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)