Horst Becker: „Nichtstun ist Machtmissbrauch“

Aktuelle Stunde u.a. auf Antrag GRÜNEN im Landtag zum Brexit

Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Holthoff-Pförtner hat soeben davon gesprochen, die Analyse sei korrekt, der Umgang aber bedenklich. Meine Damen und Herren, wenn ich mir Ihre Analyse anschaue, muss ich sagen: Sie war in der Vergangenheit und nicht in der Gegenwart verhaftet. Ihr Umgang mit der Gegenwart ist nicht nur bedenklich, sondern fahrlässig. Er schadet dem Land, weil Sie weit hinter den Anforderungen, die zu stellen sind, zurückbleiben und sich in Allgemeinplätzen ergehen.
Das ist symptomatisch für diese Regierung und für ihren Umgang mit diesem Problem. Es ist auch symptomatisch dafür, dass Sie anderthalb Jahre verschlafen haben.
Ich darf noch einmal auf zwei Dinge hinweisen. Erstens haben Sie von CDU und FDP damals ganz andere Ankündigungen von sich gegeben. Zweitens ist der Austrittsantrag tatsächlich erst im März 2017 gestellt worden. Eigentlich ist der ganze Prozess erst zu diesem Zeitpunkt gestartet. Letztlich ist also genau in Ihrer Regierungszeit – und das ist der entscheidende Punkt – nichts passiert.
(Beifall von den GRÜNEN)
Was haben Sie vorgegeben, tun zu wollen? Ich würde gerne mit dem Koalitionsvertrag beginnen. Sie haben sich in Ihrem Koalitionsvertrag übrigens interessanterweise – damit haben Sie auch ein bisschen das Thema verfehlt – dafür ausgesprochen, Finanzunternehmen vom Finanzplatz London nach Nordrhein-Westfalen zu holen.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Dass das ein wenig überkandidelt war, hätte man merken können. Man hätte sich damals aus meiner Sicht darauf konzentrieren müssen, die Europäische Arzneimittel-Agentur nach Bonn zu holen. Sie hätte nämlich hervorragend dorthin gepasst. Was ist passiert? Herr Laschet, der zu dieser Zeit als stellvertretender CDU-Vorsitzender an den Koalitionsverhandlungen in Berlin beteiligt war, hat es nicht geschafft, dass die Kanzlerin sich in dieser Sache ausreichend engagiert. Man hat alles gefordert und am Ende nichts bekommen. Denn die Behörden sind nach Paris und Amsterdam umgezogen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der bedenkliche Umgang mit diesen wichtigen Institutionen ist Ihr Start gewesen, Herr Holthoff-Pförtner.
Im November letzten Jahres tauchte dann jemand auf, der jetzt durch alle Konferenzen tigert, nämlich Herr Merz.
(Minister Karl-Josef Laumann: Herr Merz ist ein guter Mann!)
Als man angesichts potenzieller Befangenheiten gefragt hat, was Herr Merz denn neben seinen ganzen Tätigkeiten in diversen Aufsichtsräten macht, kam der Hinweis, er fange eigentlich erst im März an, also erst im darauffolgenden Jahr. Dann wurde regelmäßig in Ausschüssen und Kleinen Anfragen die Frage gestellt, worin denn jetzt eigentlich der Erfolg des Herrn Merz bestehe. Daraufhin wurde gesagt: Er soll Gespräche führen.
Gleichzeitig ist im Aufsichtsrat von NRW.INVEST im Dezember letzten Jahres entschieden worden, dass es irgendwann eine Dependance in London geben soll. Das ist dann ein halbes Jahr später angekündigt worden.
Meine Damen und Herren, angesichts des Tempos, in dem Sie arbeiten und ankündigen, aber keinerlei Ergebnisse erreichen, kann ich nur wieder etwas zitieren, was hier in den letzten Jahren oft genug gesagt worden ist.
Herr Pinkwart, das Zitat lautet: Nichtstun ist Machtmissbrauch – von Herrn Laschet. (Beifall von den GRÜNEN)
Bis heute haben Sie eine Anfrage von mir nicht beantwortet – fünf Wochen brauchen Sie schon und haben sie immer noch nicht beantwortet. In der Anfrage habe ich gefragt, was denn mit dem Gutachten, das Sie laut WDR angeblich in Auftrag gegeben haben, ist: Wann haben Sie das Gutachten in Auftrag gegeben, welches Ziel und welchen Auftragsgegenstand hat es? – Fünf Wochen sind vergangen und es gibt immer noch keine Antwort auf die Kleine Anfrage.
Dadurch bekommt man doch einen lebhaften Eindruck von der Substanz, die hinter Ihren Ankündigungen steckt: Es ist keine Substanz vorhanden. Sie leben alleine von Ankündigungen.
(Beifall von den GRÜNEN)
In diesem Zusammenhang ist auch festzustellen: Wenn man so regiert wie Sie, dann sollte man sich vielleicht bei Herrn Lindner noch mal nach seinem Spruch, den er in Berlin – unberechtigt – gebracht hat, erkundigen. Dieser lautet nämlich: Besser nicht regieren als schlecht regieren. Der Spruch trifft auf Sie zu.
(Beifall von den GRÜNEN – Matthias Kerkhoff [CDU]: Abenteuerlich!)
Insgesamt ist festzustellen: Ob an dieser Stelle oder an anderen Stellen – Sie leben immer noch davon, zu sagen, was Sie möchten und was andere angeblich nicht gemacht haben. Allerdings haben Sie bereits 30 % Ihrer Wahlperiode hinter sich.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Stimmt nicht!)
–  Da müssen Sie mal in den Kalender gucken. – Wenn Sie so weitermachen, dann sind demnächst zwei Drittel vorbei und Sie erzählen immer noch das Gleiche.
Das ist gefährlich fürs Land, für unsere Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Deswegen sollten Sie endlich aufwachen und ab jetzt nicht mehr von „möchten“ und „wollen“ reden, sondern von „machen“.
(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von:
Horst Becker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich betonen, dass sich das bei Herrn Pinkwart – das gebe ich gerne zu – immer so anhört, als würde ein Riesenkonvolut von Aktivitäten entstehen. Wenn man es hinterher auf Substanz abklopft, ist es bedeutend weniger. Herr Pinkwart, Sie haben sich zum Beispiel dazu verstiegen zu sagen, die acht Interessensbekundungen in Nordrhein-Westfalen würden sich gegenüber dem, was Hessen hätte, gut ausnehmen.
(Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart: Insgesamt 18 habe ich gesagt!)
–  Mit 870 Mitarbeitern auf 18 Interessensbekundungen. Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. In Hessen gibt es bereits 50 Zusagen, und hier gibt es dann 18 Interessensbekundungen ohne feste Zusagen. Das ist nicht das Gleiche. Das wissen Sie auch.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir werden am Ende sehen, was davon tatsächlich übrigbleibt.
Zweite Bemerkung: Sie haben immer wieder ein Gesetz angekündigt, das sich mit den Folgen des Brexits beschäftigt. Sie haben jetzt vor kurzer Zeit ein Gesetz mit drei Paragrafen vorgelegt, was nichts anderes ist, als Herauskopiertes aus dem Bundesgesetz und sich ausschließlich mit der Übergangsregelung beschäftigt – nicht mit den Folgen eines harten Brexits und mit allen anderen Möglichkeiten, die dann noch bestehen, obwohl das immer angekündigt war ausweislich der Protokolle, die ich gelesen habe, Herr Kollege Optendrenk.
Jetzt frage ich Sie: Glauben Sie ernsthaft, dass diese Übergangsregelung tatsächlich in wenigen Tagen im Unterhaus beschlossen wird – oder ist das im Gegenteil eher nicht zu erwarten? Sie leben doch völlig hinter der Zeit!
Das ist überhaupt das Interessante: Sie haben immer Dinge eingefordert, die Sie jetzt in Ihrem eigenen Schneckentempo nur mit Floskeln, nicht aber mit Substanz ins Parlament einbringen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!
Horst Becker (GRÜNE): Das Einzige, was Sie schnell geschafft haben, ist, in nur 30 Monaten eine Wagenburgmentalität zu entwickeln, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat.
(Beifall von den GRÜNEN)

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