Horst Becker: „Ihre Wirtschaftspolitik nichts anderes als Illusionskunst“

Gesetzentwurf der Landesregierung: Landeshaushalt 2018 - Einzelplan Wirtschaft und Landesplanung

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Horst Becker
(GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Manche Wirtschaftswissenschaftler weisen darauf hin, dass Wirtschaftspolitik zu 50 % aus Psychologie besteht. Aber selbst wenn man diesem Leitsatz folgen würde, wären es immer noch 50 % harte Fakten, und zu harten Fakten gehören in der Wirtschaftspolitik jedenfalls nach unserer Ansicht auch kluge staatliche Interventionen und nicht nur das Reden von Innovationen.
Schauen wir uns die Fakten nach einem halben Jahr an, und ein halbes Jahr ist immerhin schon 10 % der Regierungszeit: Es vergeht keine Woche ohne Vorlesungen des Wirtschaftsministers über Start-ups und Innovationen. Der Ministerpräsident selbst lässt keine Sonntagsrede aus, um in NRW über die ach so wichtigen industriellen Kerne und Arbeitsplätze zu räsonieren,
(Zuruf von der CDU: Finden Sie die nicht wichtig?)
ist aber gleichzeitig dauernd auf dem Weg nach Berlin und verwechselt auf dem Weg dahin offensichtlich Industriearbeitsplätze zunehmend mit Braunkohletagebau. Währenddessen droht hier in NRW gerade der Ausverkauf, Herr Ministerpräsident, genau der industriellen Wertschöpfungen, über die Sie in Sonntagsreden so gerne sprechen.
Thyssenkrupp plant ein für Standorte und Arbeitnehmer hochriskantes Joint Venture in seiner Stahlsparte. General Electric will die Fertigung in Mönchengladbach schließen, Goodrich Control Systems den Standort in Neuss, und Siemens plant in Mülheim Stellenabbau.
Nehmen wir mal das Beispiel Siemens, und vergleichen wir Ihre Tätigkeiten mit denen anderer Ministerpräsidenten. Während die Ministerpräsidenten anderer Länder sich für den Erhalt ihrer Standorte und Arbeitsplätze einsetzen, egal, ob es Herr Bouffier ist, Herr Ramelow, Herr Müller oder vor Kurzem auch noch Herr Tillich, äußert der NRW-Wirtschaftsminister Verständnis für Siemens.
Ich zitiere ihn aus der „NRZ“ vom 17. November 2017:
Die Entscheidungen bedeuten für die Betroffenen harte Einschnitte, aber das Bemühen um Wettbewerbsfähigkeit ist grundsätzlich im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und des Industriestandortes NRW. Die Verantwortung hierfür liegt im Unternehmen.
Herr Pinkwart, ähnlich banal haben Sie sich übrigens auch zu thyssenkrupp geäußert. Das ist eben kein Einzelfall. Diese Zurückhaltung hat ideologische Gründe, und wir waren hier in NRW in der Vergangenheit einen anderen Einsatz von unseren Wirtschaftsministern gewohnt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Bei all dem frage ich mich und fragt sich auch die Öffentlichkeit zunehmend: Wo ist eigentlich der Ministerpräsident? Was sagt eigentlich Herr Laschet dazu, dass die IG Metall inzwischen gegen diese Untätigkeit protestiert und aus Protest die Teilnahme am Stahlgipfel abgesagt hat? Und was sagt Herr Laschet dazu, dass der Minister selber den Stahlgipfel absagen musste und abgesagt hat und es erst im nächsten Jahr dazu kommt?
Meine Damen und Herren, wenn die letzte Landesregierung sich so ein Vorgehen geleistet hätte, hätte Herr Laschet hier am Pult gestanden und Zeter und Mordio geschrien, und heute schaut er zu, wie sein Wirtschaftsminister in all diesen Angelegenheiten nichts unternimmt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Unsere Aufforderung an Sie lautet: Kommen Sie endlich in der Wirklichkeit an, beschäftigen Sie sich mit den praktischen Fragen und hören Sie mit Ihren ideologisch-rhetorischen Oppositionsspielchen auf.
Wenn Sie schon Ihre Entfesselungsfantasien ausleben, dann sprechen Sie mit Siemens über die Sprengkraft eines entfesselten Kapitalismus, in dem Firmen Milliardengewinne machen, neue Milliardenaufträge abschließen, die Firmenchefs von ethischen Grundsätzen reden, während gleichzeitig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer freigesetzt werden sollen. Von diesem Wirtschaftsminister erwarten wir keine Intervention, von Ihnen, Herr Ministerpräsident, hätten wir sie erwartet.
Meine Damen und Herren, während in der realen Welt und in der realen Wirtschaft dringender Handlungsbedarf für diese Landesregierung besteht, macht diese Regierung nichts anderes als Entfesselungsrhetorik und Entfesselungsspielchen. Einige Beispiele zeigen, worum es Ihnen im Gegensatz zu den harten realen Fakten geht.
Sie wollen mit vier zusätzlichen verkaufsoffenen Sonntagen laut Ihren eigenen Aussagen den Einzelhandel vor dem Versandhandel schützen. Das glaubt außer Ihnen im Übrigen kein Mensch. Würden Sie sich wirklich mit dem Versandhandel und mit der Konkurrenz beschäftigen, müssten Sie sich Stadtlogistikkonzepten beschäftigen. Sie müssten sich mit der Frage beschäftigen, welche Steuervorteile diese Unternehmen eigentlich wahrnehmen. Das alles tun Sie nicht.
(Sarah Philipp [SPD]: Das stimmt!)
Stattdessen wollen Sie vier zusätzliche verkaufsoffene Sonntage einführen.
Sie haben übrigens – das hat der Kollege Sundermann eben schon völlig zu Recht gesagt – dabei völlig übergangen, dass ein runder Tisch kurz davor war, gemeinsame Vorschläge vorzulegen. Auch das hat Sie nicht interessiert. Wertschöpfung der Arbeit von Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaft an diesem runden Tisch? – Null! Das interessiert Sie überhaupt nicht.
Sie interessiert auch nicht der Wink mit dem Zaunpfahl, den das Verwaltungsgericht Düsseldorf am 7. Dezember 2017 zur Verfassungsmäßigkeit von verkaufsoffenen Sonntagen gegeben hat. Nicht umsonst ist Ihnen in der Anhörung vorhergesagt worden, dass Sie mit dieser Art von Anlässen, die Sie schaffen, die aber letztlich den rechtlichen Ansprüchen überhaupt nicht gerecht werden, vor den Gerichten scheitern werden.
Sie geben sich auch mit der Komplettrasur des Tariftreue- und Vergabegesetzes Ihrer eigenen Ideologie hin. Sie geben vor, Unternehmen zu entfesseln. Aber wen entfesseln Sie? Auf wessen Kosten entfesseln Sie? In Wahrheit entfesseln Sie doch die, die sich eben nicht an Regeln halten, und Sie schädigen die Unternehmen und auch die Handwerksbetriebe, die sich an Regeln halten, die die entsprechenden Löhne zahlen, die schauen, wer in ihrer Wertschöpfungskette was produziert hat und wer mit welchen Löhnen gearbeitet hat.
Übrigens: Wenn Sie sich schon mit der Förderung des heimischen Handwerks beschäftigen wollen, dann müssen Sie sich mit der Bekämpfung der Schwarzarbeit beschäftigen. Von all dem hört man von Ihrer Regierung nichts.
Ich könnte diese Latte der Beispiele fortsetzen. Genauso ist es bei der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens beim LANUV. Bürokratieabbau? – Sie müssten es besser wissen. Schon vor 2010 sind die Verwaltungsgerichte in den Verfahren untergegangen. Sie wollen die Clearingstelle Mittelstand zur Stimme der Wirtschaft umbauen, obwohl Sie damit mehr Bürokratie schaffen und selbst die Wirtschaft das so nicht will.
Meine Damen und Herren, zusammengefasst ist Ihre Wirtschaftspolitik nichts anderes als Illusionskunst. Sie tanzen unter dem Zirkuszelt die Entfesselungsnummer. Kommen Sie in der Wirklichkeit an! Beschäftigen Sie sich mit der Wirtschaft in NRW! Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Firmen in Nordrhein-Westfalen haben es dringend nötig. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
 Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Becker