Horst Becker: „Glaubwürdigkeit hat auch etwas damit zu tun, dass Verträge eingehalten werden“

Gemeinsamer Antrag zum Bonn-Berlin-Gesetz

Horst Becker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Geschichte des Berlin/Bonn-Gesetzes und des Ausgleichs verfolgt, der kann, wenn man zu den Anfängen zurückschaut, sich daran erinnern, dass das Thema „Glaubwürdigkeit“ im Zusammenhang mit dem Umzug der Regierung und dem Wechsel der Hauptstadt eine große Rolle gespielt hat. Im Protokoll über diese Debattenbeiträge von damals findet man das Wort „Glaubwürdigkeit“ fast zweihundert Mal.
Glaubwürdigkeit hat aber auch etwas damit zu tun, dass Verträge eingehalten werden und sie, wenn man sie verändern will, immer nur mit den Vertragspartnern verändert werden können.
(Beifall von den GRÜNEN)
Genau an dieser Stelle stimmt alles, was man damals gesagt hat, heute nicht mehr.
Es ist längst so, dass mit den Vertragspartnern über eventuelle Veränderungen nicht gesprochen, sondern der Vertrag kontinuierlich gebrochen wird. Der Vertrag wird seit Anfang der 90er-Jahre unter anderem deswegen gebrochen, weil damals gesagt worden ist: Mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze in den Ministerien soll in Bonn verbleiben. Als es Anfang der 90er-Jahre beschlossen worden ist, waren über 11.000 Arbeitsplätze in Bonn und etwas über 6.000 Arbeitsplätze in Berlin. Heute sind über 10.000 Arbeitsplätze in Berlin und etwas über 8.000 Arbeitsplätze in Bonn.
Und die Tendenz steigt. Sie steigt beim Verteidigungsministerium; deswegen haben wir hier vor einem Jahr eine Debatte geführt. Die Tendenz steigt aber auch im Wissenschaftsministerium. Das ist deswegen besonders ärgerlich, weil im Rahmen des Ausgleichsvertrags in Bonn Hunderte von Millionen Euro in Gebäude investiert worden sind, um den Wissenschaftsstandort Bonn im Rahmen des Ausgleichsvertrags zu halten. Trotzdem – wer durch Berlin geht, kann das in diesen Tagen gut beobachten – wird in Berlin ein Ministerium für über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebaut, obwohl in Berlin nur 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wissenschaftsministeriums sein sollen.
Ich habe es schon einmal gesagt. Es ist eine Frage der Scheinwirtschaftlichkeit, die künstlich aufgebaut wird. Denn in den Kostenmieten werden als Vermietungsmieten weit über 30 € pro Quadratmeter berechnet, um in einigen Jahren festzustellen, dass man diese Erlöse nicht erzielt und man eine Wirtschaftlichkeit herstellen kann, wenn der Rest des Ministeriums nach Berlin umzieht.
Auf diese Art und Weise und nicht nur an dieser Stelle – der Bundestag macht an vielen Stellen Ähnliches – wird seit Jahren getrickst und der Vertrag gebrochen.
Meine Damen und Herren, es ist nicht allein ein Problem, wenn ein Vortragsreisender etwas sagt, was gegen das Gesetz verstößt, sondern es ist ein Problem des täglichen Regierungshandelns quer durch die Regierung der letzten zehn Jahre.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: Wenn es uns mit den guten Argumenten, die heute teilweise schon genannt worden sind, nicht gelingt, die öffentliche Debatte zunehmend für uns einzunehmen und auch mit Verbänden in den Streit zu gehen, zum Beispiel mit dem Bund der Steuerzahler, der ernsthaft erklärt hat, aus Effizienzgründen müsse es einen Gesamtumzug nach Berlin geben, werden wir jedes Jahr diese angebliche Kostenlawine von nur – ich sage bewusst „nur“; es ist ärgerlich genug – 20 Millionen € haben, unter anderem mit dem Argument, dass der Teilungsbericht des Bundestags festgestellt hat, über 5 Milliarden € seien für den Umzug nötig.
Wer noch nicht einmal den Bund der Steuerzahler dazu bewegen kann, angesichts dieser vom Bundesrechnungshof dargelegten Argumente davon abzurücken, nach Berlin umzuziehen, der darf sich nicht wundern, dass es in Berlin immer mehr gang und gäbe wird, sich über diesen Vertrag hinwegzusetzen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Deswegen mein Appell an alle: Es nützt nichts, an der einen Stelle über Herrn Steinbrück, an der anderen Stelle über Herrn de Maizière, an der nächsten über Frau Schavan oder über Herrn Trittin oder über wen auch immer zu schimpfen, wir müssen uns darüber verständigen, dass wir insgesamt als Parlament – übrigens: egal, wer nach der Bundestagswahl regiert – einen Einfluss darauf haben, dass das, was ich zu Anfang gesagt habe, nämlich Glaubwürdigkeit, Einhalten von Verträgen, für Nordrhein-Westfalen und auch für die Region Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis/Ahrweiler gilt.
Wenn uns das über die Fraktionsgrenzen und über die Parteigrenzen hinweg nicht gelingt, dann werden wir uns hier noch oft treffen und noch oft das Schicksal bejammern, ohne etwas zu verändern.
Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns zusammen daran arbeiten, und vergessen wir nicht, auch nach der Bundestagswahl – wer immer die Regierung bildet – dabei zusammenzuarbeiten. Das jedenfalls wäre mein Wunsch am heutigen Tage. – Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und den PIRATEN)

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