Horst Becker: Glauben Sie ernsthaft, dass die Frage von Sonntagsöffnungen irgendetwas in dieser Krise bringt?“

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Wirtschaftsförderung

Horst Becker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich gerade Herrn Bombis zugehört habe, habe ich gedacht, Herr Papke wäre wieder da und würde eine Rede halten mit den Worten „Privat vor Staat“.
Herr Bombis, vielleicht einführend ein paar Überlegungen. Die FDP fordert Steuersenkungen. Sie fordern übrigens in Ihrem gemeinsamen Antrag Steuersenkungen. Diese Steuersenkungen werden natürlich auch am Ende von allen Steuerzahlern bezahlt. Die Steuersenkungen, die Sie für die Unternehmen haben wollen, müssen entweder durch weniger Leistungen des Staates oder durch höhere Steuern von anderen erbracht werden. Wenn Sie sich die Frage stellen, was die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler insgesamt erbringen sollen, müssen Sie die Frage der Verteilung stellen. Die stellen Sie natürlich immer so, wie die FDP sie im Allgemeinen stellt, nämlich zugunsten der Selbstständigen, zugunsten der hohen Einkommen,
(Dietmar Brockes [FDP]: So ein Unsinn!)
aber nie zugunsten der kleinen Leute, und das ist das Problem.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ein weiteres Problem will ich auch direkt aufzeigen. Wenn Sie auf Ihren Antrag hinweisen, wie übrigens auch Herr Rehbaum vorhin in dieser Selbstbeweihräucherungsrede, dann kann ich nur sagen: Dieser Antrag hat am Ende drei Punkte, die konkrete Maßnahmen fordern, und das sind immer Punkte, die auf die Bundesebene zielen. Sie sagen jeweils „sich auf der Bundesebene dafür einzusetzen“.
Dann kommt es bei dem ersten Punkt genau zu der Forderung nach steuerlichen Entlastungsmaßnahmen für Unternehmen, die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung, höhere Abschreibungsgrenzen usw.
Das ist eine Frage, in der Sie ganz einseitig argumentieren.
Ich will einmal den Querbezug zu dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt machen, bei dem es um die Frage kommunaler Investitionen und kommunaler Entlastungsprogramme ging. Es ist schon bezeichnend, dass Sie bei Ihrem eigenen Zehn-Punkte-Plan 760 Millionen Euro für fünf Jahre fordern, 160 Millionen Euro von der Landesbank und den Rest vom Land selber. Was das heißt, habe ich einmal für eine Gemeinde wie meine heruntergebrochen. Sie hat 31.000 Einwohner und bekäme pro Jahr damit 200.000 Euro. Glauben Sie ernsthaft, dass Sie mit dieser Summe
(Beifall von den GRÜNEN)
angesichts der Gewerbesteuerausfälle und all der Fragen, die sich darum herum stellen, irgendetwas machen können? Das ist einfach eine lächerliche Hausnummer, die Sie da verbreiten. Es ist überhaupt der Punkt, dass Sie in Ihrem eigenen Zehn-Punkte-Plan nur in Richtung Bund argumentieren, und wenn es um die eigenen Finanzen geht, nichts, aber auch gar nichts für die Kommunen in diesem Land haben.
Warum hat das etwas mit diesem Punkt zu tun? Sie schreiben in Ihrem Antrag – ich darf das zitieren –:
„Investitionen bleiben der zentrale Schlüssel für die wirtschaftliche Entwicklung. Die öffentliche Hand muss ihre Investitionen in die öffentliche Infrastruktur investieren. Ziel ist es, im internationalen Wettbewerb attraktive Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Betätigung zu schaffen.“
Weiter hinten im Beschlussteil fordern Sie:
„Kommunale Investitionsprogramme sollen unter Vereinfachung des Vergaberahmens er- möglicht werden.“
Meine Damen und Herren, glauben Sie ernsthaft, dass die Vereinfachung des Vergaberahmens im Moment das Problem der Kommunen löst? Sie schreiben vorne, dass die kommunalen Investitionen gebraucht werden, Sie machen aber in diesem Land überhaupt nichts dafür.
Die Kommunalministerin hat eben darauf verwiesen, dass sie davon ausgeht, dass man sich in der nächsten Woche mit dem Bund über diese Fragen einig wird. Die Frage ist aber: Was tun Sie dafür, dass die kommunalen Investitionen für Handwerk, für all die Firmen, die bauen, nicht völlig einbrechen und damit auch die Steuereinnahmen noch ein weiteres Mal einbrechen? Dafür tun Sie in diesem Haus bisher überhaupt nichts, außer auf den Bund zu verweisen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Interessant ist auch ein anderer Punkt an dieser Stelle. Sie reden davon, das Land solle sich dafür einsetzen, dass die Energiewende und der Klimaschutz vom Bund gefördert werden. Das haben Sie übrigens vor wenigen Wochen noch abgelehnt, als die Grünen das gefordert haben. Sehen wir es positiv, Sie wollen das jetzt auch. Die Frage ist aber: Was tun Sie hier im Land dafür? Sie haben genau in diesem Land all das, was mit Klimaschutz und Energiewende zu tun hat, in den letzten drei Jahren massiv ausgebremst.
Ein weiterer Punkt, Herr Bombis, Herr Rehbaum: Sie kommen wieder mit Ihrer Entfesselungs- ideologie. Glauben Sie ernsthaft, dass die Frage von Sonntagsöffnungen und all dem, was Sie da in den letzten Jahren gemacht haben, tatsächlich irgendetwas in dieser Krise bringt? Glauben Sie das wirklich?
(Ralph Bombis [FDP]: Sie schaffen hier keine Geschichtsklitterung! – Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])
Das hat in den letzten drei Jahren nichts gebracht. Und es bringt übrigens auch in den nächsten zwei Jahren für das Herauswachsen aus der Krise überhaupt nichts.
(Beifall von den GRÜNEN)
Gar nichts bringt es. Sie wollen nur davon ablenken – Herr Bombis, ich glaube, das ist Ihre Strategie –, dass das, was Sie bis jetzt in den drei Jahren, in weit mehr als der Hälfte der Wahlperiode geleistet haben, nichts von all dem gebracht hat, was Sie gesagt haben. Es ist schiere Ideologie. Deswegen haben Sie übrigens hier am Redepult eben auch so gebrüllt. Das wissen Sie ganz genau.
Ich sage Ihnen voraus, was Ihre Wahlstrategie ist: Sie werden in zwei Jahren sagen, all Ihre ideologischen Sprüche wären ganz wunderbar aufgegangen, wäre nicht Corona dazwischengekommen.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ja, genau!) Das ist Ihre Strategie.
(Beifall von den GRÜNEN)
Statt dass Sie jetzt wenigstens Abschied von Ihrer Schwarze-Null-Ideologie nehmen und den Kommunen helfen und denen helfen, die es wirklich nötig haben, damit die Wirtschaft wieder angekurbelt wird, bringen Sie hier solche erregungspolitischen Sprüche wie eben in Bezug auf die Steuer und in Bezug auf die Frage, wer das alles trägt. Wenn Sie das alles ernst meinen würden, würden Sie einmal Ihre eigene Programmatik hinterfragen und auch Ihre eigenen Forderungen – ich habe es eben gesagt –, die Sie hinten nennen, tatsächlich hinterfragen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Rehbaum.

Horst Becker (GRÜNE): Ja, das ist, wie ich immer zu sagen pflege, eine sichere Vorlage. Die würde ich gerne wahrnehmen.
Henning Rehbaum (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade ein bisschen über den Einzelhandel gesprochen. Sie wissen, dass es dem Einzelhandel wirklich dreckig geht, dass die Mitarbeiter Angst um ihre Arbeitsplätze haben. Sie haben gerade einen Vorschlag, der aus unseren Reihen gemacht wird, in Bausch und Bogen abgelehnt. Welche Vorschläge haben Sie denn, um dem Einzelhandel konstruktiv zu helfen?
Horst Becker (GRÜNE): Erstens habe ich keinen Vorschlag abgelehnt, sondern ich habe darauf hingewiesen, dass Ihre Entfesselungsideologie im Zusammenhang mit der Sonntagsöffnung sicherlich dem Einzelhandel überhaupt nichts gebracht hat. Sie haben übrigens damals darauf verwiesen, dass das den Versandhandel schwächen würde. Ich darf noch einmal an Ihre Sprüche von damals erinnern. Tatsache ist, dass sich in der Krise genau das Umgekehrte herausgestellt hat. Der Versandhandel ist gestärkt worden.
(Henning Rehbaum [CDU]: Ja, witzig!)
Ich wüsste gerne von Ihnen, Herr Rehbaum, wie Sie denn Ihre Sprüche von damals tatsächlich in der Zukunft so umsetzen, dass Sie den Versandhandel weniger stärken und dass Sie den Einzelhandel tatsächlich stärken. Das tun Sie ja überhaupt nicht.
Ich darf darauf verweisen, welches Chaos diese Landesregierung in den letzten Monaten angerichtet hat. Ich kann mich an einen Tag erinnern, da ist nachmittags gesagt worden, die Kaufhäuser dürften nicht geöffnet werden, und abends wurde gesagt, sie dürften geöffnet werden. Solche Dinge sind hier in diesem Land passiert.
(Zurufe von der CDU)
Wer in diesem Land den Einzelhandel in den letzten Monaten geschwächt hat, war sicherlich nicht unsere Partei und sicherlich nicht diese Fraktion, sondern es war Ihre Landesregierung mit ihrem Chaos bei den Öffnungen. Das geht übrigens teilweise bis in die Gegenwart hinein
(Henning Rehbaum [CDU]: In welcher Welt leben Sie eigentlich? – Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist nur noch peinlich!)
bei den Fragen, wann was geöffnet werden darf und wann etwas nicht geöffnet werden darf, welche Maßnahmen von dieser Landesregierung zurückgezogen worden sind. Das hat inzwischen schon …
(Henning Rehbaum [CDU]: Von Ihnen haben wir in dieser Zeit gar nichts gehört, welche Läden aufmachen dürfen oder nicht!)
–  Ich verstehe Sie nicht.
(Henning Rehbaum [CDU]: Von Ihnen haben wir gar nichts gehört, welche Geschäfte aufmachen sollen oder nicht!)
–  Ich habe Sie nicht verstanden. Sie müssen entweder lauter dazwischenrufen oder sich noch einmal melden, Herr Kollege.
(Zurufe von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Wir kontrollieren das Regierungshandeln!
–  Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)
–  Die Redezeit kann nicht zu Ende sein. Es kam eine Zwischenfrage. Ich glaube, 1:15 Minuten. Darauf weise ich hin. Ich hatte vorhin noch fast zwei Minuten.
Um auf den Punkt zu kommen, den ich jetzt gerne anführen möchte: Wenn Sie tatsächlich etwas für dieses Land tun wollen, wenn Sie tatsächlich etwas für die Wirtschaft tun wollen, dann sollten Sie endlich von Ihrer wirklich stumpfsinnigen Aversion gegen die Windkraft Abschied nehmen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie sollten endlich etwas für die Kommunen tun und nicht nur auf den Bund verweisen. Und Sie sollten auch dafür sorgen, dass in diesem Land ein Vertrauen in Investitionen im kommunalen Bereich entstehen kann. Ich weiß von vielen Unternehmen im kommunalen Bereich, dass sie im Moment Sorge haben, dass alle Aufträge in der nächsten Zeit wegbrechen, die ansonsten aus den Kommunen gekommen wären. Das ist eine dramatische Lage in diesem Land, die von Ihnen, von Ihrer Ideologie verursacht wird. – Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal will ich einen Punkt ansprechen, Herr Minister, der uns ausdrücklich eint, nämlich Ihre Replik in Bezug auf Europa. Ich und meine gesamte Fraktion sind ausdrücklich der gleichen Meinung: Wenn wir nicht Europa helfen und nicht alle zusammenhalten, haben wir auch selbst ein großes Problem.
Ich will ausdrücklich hinzufügen, dass sich das sowieso in Bezug auf diese verrückte Maßnahme des Brexit noch verschärfen wird. Ich befürchte, wir werden dieses Jahr nicht das hinbekommen, was wir hinbekommen sollten, nämlich vernünftige Verträge. Das wird uns am Ende alle schädigen. Also an dem Punkt ausdrücklich Einigkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und Ralph Bombis [FDP])
Bei meinem nächsten Satz wird die Einigkeit allerdings gleich wieder aufhören, Herr Kollege Bombis, und das ist auch in Ordnung so. – Der Mär vom Bürokratieabbau durch diese Koalition und natürlich auch durch die CDU muss mit dem Hinweis begegnet werden, dass die CDU im Bund 15 Jahre regiert und über die Hälfte der letzten 15 Jahre – das ist Ihnen vielleicht nicht klar – eine Koalition aus CDU und FDP regiert hat; und außerdem ist über die Hälfte der laufenden Wahlperiode vorbei.
Wenn Sie dann immer wieder sagen, man müsse endlich mit dem Bürokratieabbau anfangen, dann zeigt das im Verhältnis zu den Zeiträumen, die ich gerade geschildert habe, wie unglaubwürdig das ist. Sie reden quasi immer wieder gegen sich selbst.
(Beifall von den GRÜNEN und Heike Gebhard [SPD])
Meine Damen und Herren, ich will noch auf einen anderen Punkt hinweisen, Herr Minister.

Vizepräsident Oliver Keymis: Aber sehr schnell.

Horst Becker (GRÜNE): Dass Sie 2010 einen geordneten Haushalt hinterlassen haben, ist erstens in der Sache nicht richtig, und zweitens hatten wir es, als wir damals angefangen haben, mit ganz massivem Personalabbau zu tun. Unter anderem haben Sie in dem von Ihnen so geliebten Landesbetrieb Straßenbau damals jedes Jahr 1,5 % der Stellen gekürzt.
(Zuruf von Romina Plonsker [CDU])
Und wir haben damit zu tun gehabt, dass auch die Investitionen des Landes massiv zurück- gefahren worden sind.
(Zuruf von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie)
Das ist tatsächlich so.
Wenn Sie sich erinnern, war einer der wesentlichen Gründe – nicht der einzige Grund –, weshalb Sie die Wahl verloren haben, dass Ihnen aus den Kommunen ein heftiger Gegenwind ins Gesicht geblasen hat,
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
der genau damit zu tun hatte, Herr Hovenjürgen, dass die Kommunen damals auch den Preis dieser Landespolitik und der Politik von Herrn Linssen gezahlt haben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Becker! Sie kommen zum Schluss.

Horst Becker (GRÜNE): Da schließt sich der Kreis zu heute. – Ich komme jetzt zum Schluss.

Vizepräsident Oliver Keymis: Unbedingt!

Horst Becker (GRÜNE): Da schließt sich der Kreis zu heute. Sie warten nämlich genau wie- der ab, was andere tun, und helfen den Kommunen nicht. Die Kommunen werden benötigt, um nach der Krise die Wirtschaft mit ihren Aufträgen in Schwung zu bringen. Das ist Ihr großer Fehler.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Mehr zum Thema

Wirtschaft