Horst Becker: „Die Bundesnetzagentur hat tatsächlich keine ordentliche Ausgangslage“

Antrag der SPD-Fraktion zu Sanktionsmöglichkeiten der Bundesnetzagentur

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Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Unabhängig von der Frage, wer zahnloser Tiger ist oder für zahnlose Gebisse verantwortlich ist, möchte ich zunächst einmal feststellen, dass der Eindruck, der eben zu erwecken versucht wurde, dass es sich um eine Petitesse handle, fehlgeht.
Wenn wir die Zahlen betrachten, stellen wir fest, dass seit Dezember 2015 im Portal „Post- Ärger“ knapp 27.000 Beschwerden zu Paketdienstleistern eingegangen sind. Hauptbeschwerdegrund ist in der Regel das Problem der Zustellung, also der sogenannten letzten Meile zum Endverbraucher. Darunter fallen über 60 % aller Beschwerden.
Bei Briefen waren es im Dezember 2017 bereits über 600 Beschwerden aus einem ganz erheblichen Grund, nämlich dem Verschwinden von Briefen. Das muss man natürlich auch vor dem Hintergrund sehen, dass die Netzagentur tatsächlich nur relativ geringe Möglichkeiten hat, dem nachzugehen, und die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen das auch. Darüber hinaus gibt es Beschwerden zu Briefkästen, die nicht gelehrt werden, zu Schließungen von Filialen und zu vielem mehr.
Sehen wir uns das an, werden wir zunächst einmal feststellen müssen, dass die Bundesnetzagentur tatsächlich relativ wenige Möglichkeiten hat, einzugreifen. Es geht um das vorhin so gelobte freiwillige Schlichtungsverfahren, das aber insofern deutlich zu hinterfragen ist, als es in der Regel dazu führt, dass es zwar immer mehr Anträge gibt, aber immer weniger Entscheidungen.
So gab es 2016 235 Anträge auf ein solches freiwilliges Schlichtungsverfahren, und im Jahr 2017 gab es 732 solcher Anträge. Das Spannende ist nun: 2016 sind 48,5 % der Fälle tatsächlich zu einem Ergebnis geführt worden, 2017 waren es ganze 20 % – 19,7 %, um genau zu sein.
Das zeigt ganz deutlich, dass es ein systemisches Problem gibt. Nach Einschätzung der Bundesnetzagentur selbst und übrigens auch des Projekts „Post-Ärger“ werden die Zahlen auch weiterhin rückläufig sein, weil zurzeit eigentlich nur bisher nicht bearbeitete Altfälle bearbeitet werden.
Letztlich hat das mit der Frage der Freiwilligkeit und darüber hinaus fehlender Sanktionsmöglichkeiten zu tun. Denn was die Bundesnetzagentur nicht kann: Sie kann nicht ein Ermittlungsverfahren starten und sie kann keine Bußgelder verhängen, sondern sie kann schlicht die Lizenz verweigern und für die sogenannten umfänglichen Netzdienste neu ausschreiben. Würde sie das tun, würde es natürlich einen Aufschrei wegen der Verhältnismäßigkeit geben, es würde Klagen geben etc.
Das heißt, dass es für die Bundesnetzagentur tatsächlich keine ordentliche Ausgangslage gibt. Das ist übrigens auch ein Grund dafür, warum nicht nur die Bundesnetzagentur das selbst beklagt, sondern auch die Verbraucherzentralen es beklagen. Zum Beispiel die Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen und die Verbraucherzentrale in Thüringen haben seit 2015 eigene Beschwerdestellen und führen eigene Verfahren durch, um diesem Mangel wenigstens etwas abzuhelfen.
Wenn man nun also tatsächlich diese Situation beheben wollte, dann gäbe es aus unserer Sicht drei Dinge, die man tun müsste – ungeachtet der Frage, ob tatsächlich der Landtag diese Dinge erreichen kann; einsetzen könnte sich das Land Nordrhein-Westfalen aber allemal, zumal Bonn der Standort der Bundesnetzagentur ist.
Wir brauchen erstens die verbindliche Schlichtung. Das heißt: Eine Schlichtung muss stattfinden, wenn jemand dazu einberufen hat. Es kann nicht sein, dass das momentan nur noch die Firmen Hermes und Amazon Logistics tun.
Wir brauchen zweitens die Möglichkeit, tatsächlich Bußgelder zu verhängen und Ermittlungen einzuleiten.
Und wir brauchen drittens – übrigens gerade im Paketbereich – die Beweislastumkehr. Es muss so sein: Wenn ein Paket ordnungsgemäß eingeliefert worden ist und das auch auf dem Schein steht, muss die Regel sein, dass es auf dem Transportweg beschädigt wurde, wenn es kaputt ankommt, und nicht der Verbraucher nachweisen muss, dass er es bereits kaputt erhalten hat.
All das sind Maßnahmen, die man einführen könnte, um wenigstens etwas mehr Wettbewerbsgleichheit zu erreichen; denn „Wettbewerb“ heißt immer, sich im Wettbewerb als Verbraucherin oder Verbraucher auch wehren zu können. Wie alle anderen auch freuen wir uns auf die Beratungen, allerdings mit einem etwas anderen Zungenschlag als die beiden Redner von CDU und FDP. Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und von Michael Hübner [SPD])