Horst Becker: „Der Ideologie opfern Sie an dieser Stelle auch den Verbraucherschutz“

Gesetzentwurf der Landesregierung "Entfesselungspaket I" - zweite Lesung

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Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Debatte seit dem November letzten Jahres verfolgt, dann muss man feststellen: Es ist ein Treppenwitz, was Sie als Entfesselung eines Industrielandes wie Nordrhein-Westfalen verkaufen. Es ist ein Treppenwitz, wie Sie darstellen, dieses Land entlasten und fördern zu wollen – durch ein solches Gesetz, wie Sie es hier vorlegen.
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Dass Sie dieses Gesetz als Wirtschaftsförderung, als Stärkung des Einzelhandels und als Kampf gegen den Versandhandel – zum Beispiel bei der Frage der Ladenöffnungszeiten – verkaufen, ist wirklich unterirdisch und lässt daran zweifeln, dass Sie wissen, was in der Wirklichkeit los ist.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ideologie und fester Glaube helfen nicht, wenn man die Wirklichkeit betrachtet. (Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Man sollte sich vielmehr damit auseinandersetzen, was Fachleute einem sagen. Und damit sind wir schon beim ersten Fehler. Der runde Tisch, der kurz davor war, konsensuale Ergebnisse vorzulegen – auch mit den Kirchen, die sich bis heute darüber beschweren, wie das einfach verhindert worden ist –, hätte in diesem Land ein Stück weit Rechtssicherheit und Befriedung geschaffen. Aber das war nicht gewollt, weil die Ideologie der FDP dem im Wege stand.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie behaupten, Sie würden mehr Rechtssicherheit schaffen und für weniger Bürokratie sorgen. Mit Ihren sogenannten Sachgründen – die weit gefasst sind, damit jeder alles darunter verstehen kann – bewirken Sie aber genau das Gegenteil. Das haben Ihnen die Expertinnen und Experten in der Anhörung durch die Bank bescheinigt. Das interessiert Sie aber nicht.
Das interessiert Sie noch nicht mal, obwohl das OVG in Münster Anfang Dezember letzten Jahres – also in Kenntnis Ihres Entwurfes – noch einmal ganz klar festgestellt hat, es sei die Pflicht des Landesgesetzgebers, den Sonntagsschutz sicherzustellen und zu erhalten.
Trotzdem gehen Sie so vor, wie Sie vorgehen. Dass Sie die Sachgründe so fassen, wie Sie sie fassen, aber die Feststellung den Kommunen überlassen, liegt genau daran, dass Sie um die nicht vorhandene Rechtssicherheit wissen. Mit den Klagen müssen sich hinterher die Kommunen auseinandersetzen. Es werden auch nicht weniger Klagen werden, und es wer- den nicht weniger Kosten werden, sondern es werden mehr Klagen und mehr Kosten sein. In ein, zwei Jahren werden wir uns darüber unterhalten. Das lässt sich ja am Ende des Tages sehr einfach feststellen.
Ich halte fest: Es interessiert Sie deswegen nicht, weil Sie – wie in vielen anderen Fällen in diesem Parlament in den letzten acht Monaten – den Kommunen am Ende den Schwarzen Peter zuschieben.
Wenn Sie dann nicht mehr weiterwissen – wir haben es eben wieder bei Herrn Bombis gehört –, argumentieren Sie mit dem Versandhandel. Als ob Sie Amazon, eBay und Co tatsächlich durch vier Sonntage, an denen Sie die Läden öffnen, in die Schranken weisen könnten! Das ist mitnichten möglich; überhaupt nicht.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wenn Sie – damit meine ich insbesondere Herrn Pinkwart – das ernsthaft wollten, könnten Sie sich einmal überlegen, ob Sie ein Einzelhandelsstärkungsgesetz vorlegen, ob Sie, der Sie so gerne von der Digitalisierung reden, tatsächlich einmal die regionalen Onlinemarktplätze massiv ausweiten.
Sie könnten sich überlegen, ob Sie sich mit dieser Landesregierung und insbesondere dem Verkehrsminister dafür einsetzen, dass die Logistiker, die mit zig Autos zur Auslieferung der Pakete in die Städte fahren und die Parkplätze und die Straßen zustellen, sich auf ein Fahrzeug einigen müssen, und die Städte die Instrumente dafür in die Hand bekommen. Sie müssten sich zusammen mit der Bundesregierung bei der EU dafür einsetzen, dass der Onlinehandel besteuert wird und faire Bedingungen herrschen. – Von alledem höre ich aber nichts. Sie arbeiten sich hier an vier Sonntagen im Jahr ab und liegen damit völlig daneben.
Ähnlich sieht es bei Ihren Gesetzesvorhaben auch in der Frage des Tariftreue- und Vergabegesetzes aus. Für Sie sind faire Löhne, nachhaltige Produktion, Frauenförderung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Arbeitsverhältnisse in Schwellenländern offensichtlich nur Gedöns. Wir aber meinen, wie die Kirchen: Das sind wichtige Fragen. Die öffentlichen Vergaben in Nordrhein-Westfalen mit 50 Milliarden € im Jahr spielen eine wichtige Rolle, um diese Grundsätze durchzusetzen.
(Daniel Sieveke [CDU]: Dafür haben Sie auch in der Vergangenheit nichts getan!)
Sie sind nicht egal. Sie sind kein Gedöns. Die Ideologie der FDP ist an dieser Stelle völlig fehl am Platz.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, dass Sie noch nicht einmal davor zurückschrecken, mehr Bürokratie zu schaffen, zeigen alleine Ihre Änderungen im Justizgesetz. Wer die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens beim LANUV für Verbraucherschutz, Lebensmittelüberwachung und Tierschutz schwächt, schafft nicht nur den Rechtsschutz für die Verbraucherinnen und Verbraucher ab, sondern sorgt auch für mehr Klagen vor den Verwaltungsgerichten. Er verursacht höhere Kosten, weil es mehr Anwälte geben wird, die die Klagen begleiten. Er sorgt außerdem dafür, dass die Gerichte am Ende des Tages wieder stärker belastet und sogar überlastet werden.
Mit anderen Worten: Sie schaffen Bürokratie. Sie nehmen Rechtsschutz weg. – Das ist Ihre Mentalität. Der Ideologie opfern Sie an dieser Stelle auch den Verbraucherschutz der Bürgerinnen und Bürger.
(Beifall von den GRÜNEN)

2.Runde
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Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! Es ist immer interessant, neben dem, worauf die Redner eingehen, auch auf das zu hören, worauf sie nicht eingehen. Ich stelle zunächst fest, dass der Minister nicht auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster von Anfang Dezember letzten Jahres eingegangen ist. Das Gericht hat in Kenntnis Ihres Gesetzentwurfs ausdrücklich festgestellt, dass dem Gesetzgeber der Schutz des Sonntags unterliegt.

(Henning Höne [FDP]: Möchten Sie, dass der Minister noch mal eine gute Rede hält?)

Liest man das Urteil des Gerichts aufmerksam, stellt man im Übrigen fest, dass es den Ermessensspielraum sehr eng aus gestaltet hat.
Sie haben eben nonchalant darauf hingewiesen, dass Sie den Kommunen Freiheit geben. Ich sage Ihnen: Das ist eine vergiftete Freiheit; denn so, wie Sie das angelegt haben, werden die Kommunen  hinterher den Spaß haben, weil sie wieder beklagt werden. Und wenn Herr Kehrl von der CDU von einer „wild gewordenen Gewerkschaft“ redet, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben irgendwie nicht verstanden, was da gerade passiert.  Diejenigen, die am runden Tisch gesessen haben – übrigens nicht nur Gewerkschafter, sondern auch beide Kirchen –, sind zutiefst entsetzt darüber, dass man die weit fortgeschrittenen Einigungsversuche einfach abgeräumt hat – abgeräumt, um dem Genüge zu tun, was die FDP wollte. Sie nennen das „Entfesselung“, es ist aber nichts anderes als Ideologie.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Kommunen werden am Ende des Tages unter den weiteren Klagen – übrigens auch seitens der Kirchenvertreter und der gesamten Initiativen – zu leiden haben. Rechtssicherheit sieht anders aus. Ich sage Ihnen noch ein mal: Sie können immer wieder behaupten, dass Sie den Versandhandel durch vier weitere öffnungsfreie Sonntage tatsächlich in Schach halten können.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Wenn Sie das ernst meinen, dann haben Sie den Schuss nicht gehört und wissen nicht, was „inhabergeführter Einzelhandel“
und was „großflächiger Einzelhandel“ bedeutet. Das sind völlig unterschiedliche Bereiche. Sie sollten sich endlich damit beschäftigen, wie man den inhabergeführten Einzelhandel wirklich stützen kann. Man stützt ihn, indem man massiv die regionalen Plattformen im Onlinehandel ausbaut, und indem man das Kaputtfahren der Straßen  seitens der Paketfirmen beim
Nutzen des öffentlichen Raums massiv eindämmt.

(Ralph Bombis [FDP]: Dafür sind Sie abgewählt worden!)

Man nutzt sie, indem man endlich Steuerkonzepte entwickelt, die den Versandhandel ein Stück weit zurückdrängen und dem Einzelhandel, der seine Steuern bezahlt, eine faire Wettbewerbsmöglichkeit bietet.

(Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])

Von all dem habe ich weder von Ihnen noch vom Minister etwas gehört. Deswegen ist das Hokuspokus, was Sie hier verkaufen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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