Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich für unsere Fraktion betonen, dass wir vor den Opfern der Flutkatastrophe Hochachtung haben, die angesichts einer schwierigen Situation und des nächsten Winters mit viel Mut versuchen, mit den Folgen fertig zu werden. Dabei bekommen sie Hilfe von sehr vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern und von sehr vielen aus der Zivilgesellschaft. Das sind diejenigen, denen wir zu allererst dafür danken müssen, dass sie das in den vergangenen Wochen und Monaten zusammen angepackt haben. Ich und meine Fraktion jedenfalls ziehen davor den Hut.
(Beifall von den GRÜNEN)
Seit Mitte September können die Anträge zur Wiederaufbauhilfe in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten eingereicht werden. Zweieinhalb Monate nach dem katastrophalen Hochwasser kommt es aber anscheinend sehr wohl zu massiven Schwierigkeiten bei der Bearbeitung der Anträge für die Wiederaufbauhilfen und für die kommunale Infrastruktur. Angeblich ist die Bezirksregierung mit der Bearbeitung der Anträge überfordert, auch die Stellenbesetzung scheint angesichts der Belastungen durch Corona, der Maßnahmen zum Rheinischen Revier und jetzt der Folgen des Hochwassers nicht auszureichen. Mitarbeiter kündigen wegen Überlastung und sprechen öffentlich von Ausbeutung des Personals.
Es mutet schon etwas seltsam an, dass sich die einen auf die Regierungspräsidentin der SPD und die anderen auf einen Ex-Bürgermeister der CDU berufen, der vor Kurzem eingestellt worden ist, nachdem er nicht wiedergewählt worden war. Ich meine, wir müssen da doch noch etwas tiefer gehen. Richtig ist, dass das Personal überlastet zu sein scheint. Richtig ist auch, dass insbesondere in der Bezirksregierung Köln offensichtlich zu wenig angekommen ist.
Kommunen und Kreise müssen vor Ort massiv mit eigenem Personal die Antragstellungen bearbeiten. Anträge sind nur mit E-Mail-Adressen und elektronisch möglich, obwohl viele Bürgerinnen und Bürger diese Möglichkeit angesichts der Schäden überhaupt nicht mehr haben. Die Kommunen müssen das vor Ort ausgleichen.
Immer noch müssen Kreise und Kommunen faktisch ohne ausreichende personelle Unterstützung des Landes agieren. Für Schäden an der kommunalen Infrastruktur schließen die Förderrichtlinien von Ihnen, Frau Scharrenbach, aus, dass die Kommunen damit auch nur teilweise Personal einstellen, das für die Koordination der Maßnahmen zur Schadensbeseitigung nötig ist. Das ist nach meiner Beobachtung ein Riesenfehler, weil die Kommunen sowieso oft knappe Personalausstattungen haben und das schlecht bewältigen können.
Aber das ist längst nicht alles. Während Rheinland-Pfalz inzwischen eine überarbeitete Karte für das Überschwemmungsgebiet Ahr veröffentlicht hat, in der eine gelbe Zone einen besonderen Gefahrenbereich definiert, in dem eben kein Wiederaufbau möglich ist, und eine blaue Zone einen Bereich definiert, in der in der Regel unter Auflagen eine Ausnahmegenehmigung für den Wiederaufbau erteilt wird, ist dergleichen bis heute in Nordrhein-Westfalen nicht zu sehen.
Dabei wäre es dringend nötig, den Menschen und den Kommunen eine nachvollziehbare Orientierung zu geben, mit der klargestellt werden kann, wie es weitergeht, an welchen Stellen wieder aufgebaut werden darf und kann und an welchen Stellen nicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Umweltministerin hat Karten für die Flüsse dritter Ordnung angekündigt. Wo bleiben die? Wo ist der Aufschlag für ein Flussmanagement, für eine Betrachtung der Nebentäler der großen Flüsse und ihrer Gefahren, die Ausprägung der Reliefs der Flüsse dritter Ordnung? Wo ist der Aufschlag für ein Sensorikkonzept, das eine schnellere Warnmöglichkeit gibt? Vor allem: Wo ist die schlüssige Vorgabe für den Wiederaufbau? Sollen sich die Kommunen am HQextrem oder am HQ100 ausrichten? Gilt das für Ersatzneubauten, oder gilt das auch für weitgehend geschädigte Bauten, die wieder aufgebaut werden sollen?
(Norwich Rüße [GRÜNE]: Gute Frage!)
Warum laufen Sie, Frau Ministerin Scharrenbach, mit Förderbescheiden durch die Gegend, ohne dass es dazu ein schlüssiges, mit der Umweltministerin abgestimmtes Konzept gibt, das regelt, wie ich es eben dargestellt habe, an welchen Stellen überhaupt wieder aufgebaut werden soll und kann?
Wo ist eigentlich unser hauptamtlicher Entfesselungskünstler? Herr Pinkwart, Sie sind für die Landesplanung zuständig. Wo sind die abgestimmten Ausnahmen für die Inanspruchnahme von Ersatzflächen, damit im HQ100 zerstörte Häuser und Betriebe nicht dort wieder aufgebaut werden müssen, sondern rechtzeitig, unbürokratisch und möglichst ortsnah Ersatzflächen bereitgestellt wurden?
Was machen eigentlich die Landesregierung und Herr Pinkwart mit der Blessemer Kiesgrube? Gilt da weiterhin das Motto „Kohle machen mit Kies“, oder gibt es endlich Hoffnung für die Menschen, für die Betroffenen, dass dieser Unsinn aufhört?
Was wäre eigentlich, wenn eine solche Welle wie an der Ahr Nordrhein-Westfalen träfe? Neben den tagesaktuellen brisanten Fragen zur Hilfe stellen sich Fragen im Umgang mit einer problemgerechten Neuaufstellung für die Zukunft. Es handelt sich um eine Vorsorgeaufgabe, die von den Wasserverbänden gemeinsam mit der Bezirksregierung und auch mit den Kommunen angegangen werden muss. Es muss so etwas wie eine Gesamtbetrachtung und Neuausrichtung erfolgen. Dabei muss tatsächlich die Hochwasservorsorge ganzjährig in den Blick genommen werden und nicht nur das Sammeln von Trink- und Brauchwasser an den Talsperren.
Wir müssen zu einem intelligenten Landschaftsmanagement kommen, zu klimaangepassten Vorsorgestrategien, zu einem umfassend verstandenen Management von Wasser und Raum. Für die Zusammenarbeit von Mittelbehörden, Kommunen und Wasserwirtschaftsverbänden, Frau Scharrenbach, gilt es, Muster zu entwickeln – Muster, die genauso für die anstehenden Entscheidungen über Ansiedlungen in den verschiedenen Hochwasserbereichen notwendig sind. Von wem, außer von Ihnen, von Frau Heinen-Esser und von Herrn Pinkwart sollte das kommen? Wenn es nicht von der Landesregierung kommt, dann kommt es überhaupt nicht.
Lassen Sie mich abschließend eine Bemerkung machen. Genau wie bei den Meldeketten, zu denen bislang keine sinnvollen Neuerungen bei uns angekommen sind, gilt auch hier: Sie müssen sich jetzt mit diesen Dingen nach vorne beschäftigen. Sie müssen sinnvoll an diesen Stellen arbeiten, auch was die Bezirksregierungen und deren Personalausstattung angeht, damit beim nächsten Hochwasser anders für die Menschen gesorgt ist als bei dem letzten.
Das ist unsere Bitte. In diesem Sinne hoffe ich, dass die Landesregierung wenigstens in der verbleibenden Zeit an diesen Themen arbeitet.
(Beifall von den GRÜNEN)07