Horst Becker: „Auch für die Montanmitbestimmung ist die Standortfrage außerordentlich wichtig“

Antrag der SPD zu Thyssenkrupp

Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen, dass die Debatte aus dem September dieses Jahres ganz offensichtlich eine gewisse Wirkung gezeigt hat, zumindest insoweit, als die damalige Rednerin der CDU-Fraktion, Frau Fuchs-Dreisbach – die seinerzeit noch unterstellt hat, es würde sich nur um Angstmacherei, Stimmungsmache und Wahlkampf handeln –, heute nicht für die CDU-Fraktion gesprochen hat.
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Ich gehe davon aus, dass das auch damit zusammenhängt, dass damals ausgeführt worden ist – ich zitiere wörtlich –:
„Ohne die Fusion wird thyssenkrupp Stahl mittel- bis langfristig gesehen international nicht mehr wettbewerbsfähig sein.“
Weiter sagte sie:
„Die SPD-Fraktion und die IG Metall stellen sich also gegen die potenzielle Rettung der Stahlsparte von thyssenkrupp“, wenn sie gegen die Fusion sind.
Diese Sätze habe ich damals ebenso wie die SPD-Fraktion kritisiert. Sie haben offensichtlich dazu geführt, dass Sie, Herr Ministerpräsident, bei Gesprächen auf diese Einschätzung hin angesprochen worden sind. Ich würde gerne im Verlaufe der Sitzung auch von Ihnen noch einmal hören und nicht nur vom Wirtschaftsminister – von dem auch –, ob Sie diese Aussage geteilt haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Fakt ist aber, dass wir jetzt an einem Punkt angelangt sind, bei dem es um die Frage geht: Wie stellt sich diese Landesregierung auf? Wie stellt sie sich an der Seite auch der Menschen auf, die von dieser Fusion betroffen sind oder glauben, davon betroffen zu sein, Herr Löttgen? Es ist selbstverständlich wenig hilfreich, wenn Sie darauf hinweisen, dass seit anderthalb Jahren Gespräche laufen. Ja, es wird seit anderthalb Jahren gesprochen, aber das Memorandum of Understanding ist erst vor Kurzem zustande gekommen – übrigens ohne Beteiligung der alten Landesregierung und ohne Beteiligung des Betriebsrates.
Wer von Ihnen weiß, dass immer wieder nach Details gefragt worden ist, der weiß auch, dass diese Details nicht vorgelegt worden sind. Es soll wohl am Freitag dieser Woche ein erstes intensives Gespräch geben. Möglicherweise werden dann Details dieses Memorandums auf den Tisch gelegt, möglicherweise auch nicht. Ich weiß aber auf jeden Fall, dass das, was man jetzt schon weiß – und das ist wenig genug –, schon Anlass zur Sorge gibt. Ich will das kurz erklären.
Es gibt unter anderem deswegen Anlass zur Sorge, weil offensichtlich geplant ist, 1,5 Milliarden € Schulden von Tata Steel Europe mit in dieses neue Konstrukt zu übertragen sowie 4,5 Milliarden € von thyssenkrupp. Es stellt sich die Frage, ob damit rein betriebswirtschaftlich – damit sind wir überhaupt noch nicht bei Arbeitnehmerrechten – ein tragfähiges Konstrukt entstehen kann. Das wird nicht zu Unrecht in Zweifel gezogen. Ich würde das auch in Zweifel ziehen, wenn es tatsächlich so wäre.
Die erste Frage lautet also: Ist das ein Konstrukt, das dazu dient, möglicherweise mittelfristig und langfristig nur Arbeitsplätze abzubauen und Standorte im internationalen globalisierten Wettkampf zu entziehen?
Die zweite Frage, die sich stellt, betrifft die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dabei geht es um den Standort und um die Pensionsrückstellungen von Tata Steel Europe auf der einen Seite und auf der anderen Seite um die Pensionsrückstellungen, die hier für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorgenommen worden sind. Ich möchte wissen, wo diese veranschlagt werden.
Es gibt also eine Reihe von Fragen. Das sind übrigens Fragen, bei denen ich sehr sicher bin, dass sie bis Anfang nächsten Jahres – das ist der Fahrplan, der genannt worden ist – schlechterdings nicht beantwortet sein werden. Aber das sind Einschätzungsfragen.
Kommen wir jetzt also zu folgender Frage: Was ist heute, und was wäre heute zu tun? Es liegt nahe, an alte Sprüche zu denken wie „Nichtstun ist Staatsversagen“. Selbstverständlich haben ein Staat und eine Landesregierung diese Dinge zu begleiten. Man kann letztlich nicht die Angelegenheiten einfach beiseiteschieben, die die Firmenleitungen alleine entscheiden müssen. Wir müssen umgekehrt schon den Anspruch haben, entsprechend einzuwirken.
Wenn man einwirken will, kann man das nicht tun, indem man schreibt, dass man die Montanmitbestimmung sichern will, gleichzeitig aber den Hinweis unterlässt, dass sie am Standort in Holland auf Sicht schlechterdings nicht zu halten ist. Selbst wenn sie jetzt am Anfang vertraglich abgesichert wäre, ist sie durch einfache Tricks, nämlich die schlichte Veräußerung von Firmenteilen, innerhalb kürzester Zeit wieder auszuhebeln. Also ist auch für die Montanmitbestimmung die Standortfrage außerordentlich wichtig.
Die Steuerfrage ist eben hin und her erörtert worden. Wenn Sie möchten, dass die Opposition Ihrem Antrag zustimmt – mal ganz abgesehen von den Lobeshymnen, die ich jetzt nicht weiter kommentieren will –, dann
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
müsste darin selbstverständlich auch ein Passus enthalten sein, der besagt, dass diese Landesregierung wünscht, dass der Standort einer Holding hier in Nordrhein-Westfalen ist und nicht in den Niederlanden. Das fehlt in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Da fragt man sich, warum das fehlt. Warum steht das nicht drin? Es reicht nicht, dass Sie das hier verkünden, wenn es in Ihrem Entschließungsantrag nicht steht. Deswegen müssen Sie sich fragen lassen, warum Sie dieses Spiel so spielen.
Ich würde Ihnen an dieser Stelle zu etwas mehr Bescheidenheit und etwas mehr Gemeinsamkeit raten, und zwar deswegen, weil ich am Anfang meiner Rede darauf hingewiesen habe, dass von September bis jetzt offensichtlich eine Veränderung stattgefunden hat.
Ich hoffe, dass noch etwas mehr Veränderung stattfinden wird. Außerdem hoffe ich, dass Sie heute noch die Größe haben, in Ihren Entschließungsantrag aufzunehmen, dass der Stahlstandort, der Sitz der Holding in Nordrhein-Westfalen verbleiben soll und nicht ins benachbarte Ausland verlagert wird. Das wäre ein Zeichen dafür, dass Sie auf die Opposition und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingehen. – Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)


2. Runde:

Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nachdem Herr Pinkwart eben gesagt hat, er fände es gut, dass ich die Landesregierung gelobt habe, will ich darauf hinweisen, was ich gesagt und was ich gemeint habe.
Ich habe zunächst einmal darauf hingewiesen, dass es bei den antragstellenden Fraktionen der Regierungsseite angesichts des Entschließungsantrags offensichtlich eine Veränderung gegeben hat, die sich auch an den Redebeiträgen und an den Rednerinnen und Rednern erkennen lässt.
(Minister Karl-Josef Laumann: Quatsch!)
Es hat insofern eine Veränderung gegeben, als man das Thema, glaube ich, jetzt anders ernst nimmt, als man es in der letzten Debatte getan hat.
Das Zweite ist – das ist offensichtlich, wenn man sich die damaligen Redebeiträge vor Augen führt, Herr Laumann –: Es wurde damals gesagt, dass die Fusion die einzige Rettung für thyssenkrupp sein könne. – Das ist offensichtlich Unsinn.
(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)
Herr Laumann hat auf der Demonstration geredet und sich für die Erhaltung des Standorts und für die Erhaltung des Standorts der Holding in Nordrhein-Westfalen ausgesprochen. Das ist auch richtig.
(Minister Karl-Josef Laumann: Ja sicher!)
Herr Löttgen, Sie haben darauf hingewiesen, aus Ihrer Sicht wären das künstliche Unterschiede, die wir als Opposition machen würden. Es ist eben kein künstlicher Unterschied. Denn wenn man auf der einen Seite als Herr Laumann sagt, das möchte man, und auf der anderen Seite als Herr Pinkwart sagt, das möchte man auch, dann aber als CDU-Fraktion mit der FDP-Fraktion aus Gründen, die sehr interessant wären zu erfahren, ganz offensichtlich verzichtet, diesen Gesichtspunkt mit in einen Entschließungsantrag zu schreiben, dann hat man ja doch den ein oder anderen Anfangsverdacht.
Ich will über die Anfangsverdächte überhaupt nicht weiter reden. Aber Sie wären klug beraten, wenn Sie heute in Ihren Entschließungsantrag den deutlichen Einsatz dieses Landtages dafür, dass der Holding-Standort nicht in die Niederlande geht, mit aufnehmen würden. Das ist ja nicht nur eine Frage der Montanmitbestimmungsaufsicht, nicht nur eine Frage der Steuerdumpingsaufsicht, das ist im Übrigen auch eine Frage der Zukunft des Stahlstandortes Nordrhein-Westfalen, weil wir in der Perspektive – ich erinnere an die Enquete-Kommission „Chemie“ – nur im Verbund zwischen Stahl und Chemie zukunftsfähige Standorte in Nordrhein-Westfalen mittel- bis langfristig haben werden. Und die werden wir selbstverständlich nur dann in einem solchen Verbund haben, wenn die Sitze einer Holding hier in Nordrhein-Westfalen und nicht im benachbarten Ausland sind.
Deswegen ist es von sehr entscheidender Bedeutung, dass Sie an dieser Stelle Ihren Antrag heute ergänzen. Ansonsten müssen Sie sich vorhalten lassen, dass Sie das alles nicht so ernst meinen. – Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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