Hans Christian Markert: „Zweifel an CO-Pipeline verstärkt“

Chemiestandort NRW

Hans Christian Markert (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wüst, das war ja ein richtiges rhetorisches Feuerwerk hier heute Morgen. Dagegen war es vorhin beim Zahnarzt fast spannend.
Am Anfang einer Legislaturperiode ist man ja immer sehr gespannt zu sehen, was die politischen Mitbewerber so an Schwerpunkten setzen.
Herr Lindner, Sie sind ja im Verlauf der Rede von Herrn Brockes dann auch dazu gestoßen. Das war offensichtlich nicht so spannend, was Herr Brockes da so präsentieren würde. Jedenfalls gemessen an den großen Erwartungen – Stichworte: personelle, inhaltliche Erneuerung –, die Sie in den zahlreichen Talkshows in den letzten Wochen geweckt haben, ist das, was Sie hier inhaltlich bieten, doch sehr dürftig.
Zum zweiten Mal innerhalb von gerade mal zwei Wochen kommen Sie mit einem medial zugegebenermaßen gesetzten Thema, aber ohne neue Inhalte oder gar in die Zukunft weisende Vorschläge zu präsentieren.
Sie haben ja vollkommen recht: Verlässliche Rahmenbedingungen für unseren Chemiestandort NRW sind in der Tat notwendig – Rahmenbedingungen, die allerdings auch die Nachhaltigkeit, die Bürger- und Umweltverträglichkeit dieses für uns wichtigen Wirtschaftszweiges betreffen.
Die Chemieindustrie ist der Innovationsmotor für die gesamte Industrie. Rund 70 % aller dort hergestellten Stoffe gehen in die industrielle Weiterverarbeitung. 2009 betrug der NRW-Anteil am gesamtdeutschen Umsatz der chemischen Industrie rund 29 %. Ein Viertel der Beschäftigten der deutschen Chemiebranche arbeitet bei uns hier in Nordrhein-Westfalen.
Eine nachhaltige Chemie ist also eine Schlüsselfrage für uns in Nordrhein-Westfalen. So müssen wir beispielsweise angesichts von Peak Oil und abzusehender Ölpreisentwicklung frühzeitig neue Rohstoffbasen etwa aus nachwachsenden Rohstoffen und Produktionsverfahren entwickeln. Denn zurzeit basiert die Chemie in Nordrhein-Westfalen noch zu drei Vierteln auf dem Öl.
Wir sollten uns dabei auch in Nordrhein-Westfalen an dem vom Umweltbundesamt zusammen mit der OECD entwickelten Konzept einer nachhaltigen Chemie orientieren. Ich möchte hier nur zwei Aspekte herausgreifen.
Erstens geht es um die qualitative Entwicklung, das heißt um den Einsatz ungefährlicher Stoffe oder, wo dies nicht möglich ist, von Stoffen mit geringer Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt sowie um ressourcenschonende Produktionsweisen und langlebige Produkte.
Zweitens – da kommen wir dann auch zum Thema „Bayer-CO-Pipeline“ –: Aktion statt Reaktion! Das heißt, Vermeidung, dass Chemikalien während ihres Lebensweges Umwelt und menschliche Gesundheit gefährden. Auch sollten nach dem Umweltbundesamt und der OECD Schadenskosten und damit wirtschaftliche Risiken der Unternehmen und Sanierungskosten für den Staat vermieden werden.
Gerade in diesem Punkt haben wir seit jeher berechtigte Zweifel daran, dass Bayer dieses Aktion-statt-Reaktion-Prinzip wirklich beherzigt, genauer: dass es in dieser Frage die Gefahrenabwehr vernachlässigt hat.
Wir Grüne haben nicht zuletzt deshalb von Anfang an die Auffassung vertreten, dass der Ausbau der Produktion von Kohlenmonoxid am Standort Uerdingen die bessere Alternative für alle Beteiligten ist. Wir haben dies jetzt auch noch einmal aktuell im rot-grünen Koalitionsvertrag deutlich gemacht. Darin haben wir auch festgestellt – ich zitiere –:
„Es wurde mit einer Vielzahl von Planungs- und Ausführungsfehlern sowie mit einer defizitären Kommunikationsstrategie“
– defizitären Kommunikationsstrategie! –
„dazu beigetragen, dass vorhandene Zweifel an einem sicheren Betrieb der CO-Pipeline stetig verstärkt worden sind.“
Wir hatten ja zwischenzeitlich nicht nur Erdeinbrüche an der Trasse, sondern auch den vorläufigen Baustopp durch die Bezirksregierung in Düsseldorf. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf – Kollege Schmeltzer hat darauf hingewiesen – hat im Mai 2011 zudem Mängel an der Planfeststellung aufgezeigt.
Allerdings, Herr Brockes: Angesichts der zahlreichen Verfahrensfehler von Bayer und der äußerst mangelhaften Kommunikationsstrategie des Konzerns ist weder den Behörden noch der Landesregierung hierbei ein Vorwurf zu machen. Im Gegenteil: Es ist absolut notwendig, richtig und auch konsequent, dass unser Umweltminister nun eine umfassende Begutachtung in Auftrag gegeben hat. Darin werden wir die bisherigen Gerichtsurteile ebenso einfließen lassen wie Gefahrenanalysen, das bisherige Verhalten von Bayer und auch die Prüfung von wirtschaftlich zumutbaren und bürgerfreundlichen Alternativen.
Abschießend noch mal zu Ihnen von der FDP: Es ist wieder einmal bezeichnend, dass Sie im Antragstext für diese Aktuelle Stunde doch eher populistisch argumentieren und überhaupt nicht auf die eben von mir erwähnten Sachverhalte eingehen, geschweige denn inhaltliche Perspektiven für den Chemiestandort liefern. Aber es ist eben ein Unterschied, ob ich hoch gefährliches Kohlenmonoxid durch die Gegend schicke oder zum Beispiel einen Teppich. Nur von Letzterem scheinen Sie ja wirklich etwas zu verstehen.
Herr Lindner, gerade weil Sie in Talkshows immer von der Bürgergesellschaft reden, müssen Sie im Umweltbereich endlich die berechtigen Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen.
Die jüngste Konferenz von Rio hat es wieder einmal unterstrichen: Angesichts der großen Herausforderungen – Ressourcenverknappung, Klimawandel und Artenschwund – brauchen wir eine grüne Umwelt- und Wirtschaftsstrategie, eine große Transformation. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Hier in Nordrhein-Westfalen werden die neue Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen dieses auch gemeinsam anpacken. Wir werden hier eine zukunftsorientierte Perspektive für den Chemiestandort nicht nur erhalten, sondern diese auch weiterentwickeln.
Weil wir kurz vor den Ferien sind und das eine große Aufgabe ist, möchte ich mit Seneca schließen:
„Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“
Ich wünsche Ihnen ein bisschen mehr zukunftsorientierte Wagnis. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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