Hans Christian Markert: „Keine Lieferungen mehr aus Deutschland, Abschaltung von Gronau und Lingen“

Eilantrag von SPD und GRÜNEN zur sofortigen Abschaltung des Atomkraftwerks Tihange

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Hans Christian Markert (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben vor einigen Wochen den sechsten Jahrestag von Fukushima begangen, und in wenigen Wochen werden wir uns an den 31. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erinnern – zwei Ereignisse, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass es einen breiten gesellschaftlichen Konsens grundsätzlicher Art in der Bundesrepublik Deutschland, auch in unserem Land, in Nordrhein-Westfalen, gibt, dass eine Technik, die nicht beherrschbar ist, politisch auch nicht verantwortbar ist. Deswegen haben wir den Ausstiegsbeschluss gemacht.
Viele Menschen in der Region, auch im Rhein-Kreis Neuss, wo ich politisch aktiv bin, machen sich – Karl Schultheis hat das als Aachener auch eben angesprochen – große Sorgen, weil Gefahren von den Atomkraftwerken in Tihange und Doel bei unseren belgischen Nachbarn unverkennbar sind und im Falle eines großen Unfalls diese Region auch unmittelbar in großem Umfang betroffen wäre.
Umso überraschender ist es, dass wir vor einigen Tagen zur Kenntnis nehmen mussten, dass fast 70 Lieferungen von Brennstoff an genau diese Kraftwerke gegangen sind, gegen die sich auch der Protest von uns hier in Nordrhein-Westfalen im Landtag richtet und deren Stilllegung wir wiederholt hier gefordert haben. Wir bekräftigen auch mit dem Eilantrag heute noch einmal, dass wir die belgischen Nachbarn auffordern, diese nicht verantwortbaren Kraftwerke stillzulegen.
Es ist unverantwortlich, diese Kraftwerke weiter zu beliefern, wenn man auf der anderen Seite politisch der Meinung ist, dass sie der Bevölkerung nicht zugemutet werden können. Es ist beinahe so, um es mit den Worten von Justus Vogt, einem Gegenwartsdichter, zu sagen: Tschernobyl und Fukushima haben in der menschlichen Erinnerung nur kurze Halbwertszeiten – ein mentaler GAU.
Das war der Grund, warum nicht nur Sie, verehrter Herr Kollege Schultheis, sondern auch beispielsweise unser Bundestagsabgeordneter und Kollege Oliver Krischer sich an die Bundesumweltministerin gewandt haben und nachgefragt haben, warum denn ausgerechnet von Deutschland aus, von Lingen – da gibt es übrigens einen Zusammenhang zwischen Lingen und Gronau, einer Fabrik, die wir hier haben, wo Brennstoffe aufgearbeitet und vorbereitet werden –, warum ausgerechnet von hier diese Kraftwerke beliefert werden müssen.
Auch deswegen sagen wir mit diesem Eilantrag noch einmal: Damit muss Schluss sein. Das ist nicht hinnehmbar. Es ist beides nicht hinnehmbar: Ein Atomausstieg ohne die Beendigung der gesamten nuklearen Brennstoffkette – da gehören Lingen und Gronau auch dazu – ist kein wirklicher Atomausstieg. Denn es ist widersinnig, in Deutschland aus der Atomkraft auszusteigen und den Brennstoff für andere Länder hier in Deutschland und leider auch in Nordrhein-Westfalen weiterhin zu produzieren.
(Dietmar Brockes [FDP]: Davon steht aber nichts in dem Antrag!)
– Es gilt die freie Rede, verehrter Kollege Brockes.
Deswegen ist es bitter nötig, dass das Atomgesetz in Zukunft von einer neuen Bundesregierung geändert wird und dann nicht nur die Beendigung der nuklearen Stromerzeugung, sondern die Beendigung der gesamten nuklearen Brennstoffkette festgelegt wird. Auch dafür kämpfen wir Grüne in den kommenden Monaten, damit Schluss ist in Gronau und in Lingen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zweitens: Es ist den Menschen in dieser Region nicht zuzumuten, dass sie weiterhin tagtäglich den Gefahren ausgesetzt werden. Da reicht es eben auch nicht aus, wohlfeile Appelle zu richten, auch nicht und gerade nicht seitens der Bundesregierung, sondern man muss das Recht auch nutzen. Nordrhein-Westfalen nutzt seine rechtlichen Möglichkeiten, ist der Klage der Städteregion beigetreten. Karl Schultheis hat auch darauf eben schon hingewiesen.
Aber man muss auch das Recht genau lesen, lieber Karl Schultheis, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Ich will daran erinnern, dass wir schon einmal bei einer Lieferung von atomaren Hinterlassenschaften, von atomarem Material ins Ausland hier das Atomgesetz zum Schutze der eigenen Bevölkerung angewendet haben. Das war damals bei den vorgesehenen Lieferungen nach Majak.
Ich will auch darauf hinweisen, dass das bestehende Atomgesetz die Möglichkeit gibt, solche Lieferungen wie die jetzt nach Tihange zu untersagen, wenn eine Gefahr für die eigene Bevölkerung mit der belieferten Anlage verbunden ist. Und genau das ist hier der Fall.
Es gibt entsprechende Rechtsgutachten. Ich teile die Rechtsauffassung dort ausdrücklich. Meine Fraktion teilt sie. Deswegen brauchen wir nicht das Atomgesetz an dieser Stelle zu ändern, sondern wir müssen die Lieferungen mit dem bestehenden Atomrecht beenden. Dazu fordern wir mit diesem Antrag die Bundesregierung noch einmal entschieden auf.
Abschließend: keine Lieferungen mehr aus Deutschland, Abschaltung von Gronau und Lingen. Nur ein endgültig stillgelegtes Atomkraftwerk bietet wirklich die Sicherheit für die Bevölkerung. Und darauf haben die Menschen hier in diesem Land einen Anspruch. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)