Hans Christian Markert: „Es ist nicht länger die Zeit dafür, sich herauszuhalten“

Antrag von SPD, CDU, GRÜNE und FDP "Tihange abschalten"

Hans Christian Markert (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle haben vor einigen Tagen sicherlich die Bilder gesehen, wie dieses Monstrum, dieser neue Sarkophag über den – wie man so schön euphemistisch sagt – havarierten Atomreaktor in Tschernobyl gefahren wurde. Das Ereignis von Tschernobyl ist in diesem Jahr 30 Jahre her und für viele von uns, die wir hier heute Politik machen, sicherlich auch ein Anlass, in die Politik einzusteigen. 30 Jahre später muss man darüber einen Sarkophag bauen, weil man weiß, dass wir hier auf Jahrzehnte, auf Jahrhunderte eine nukleare Last zu tragen haben, und wir haben ein unkalkulierbares gesundheitliches und ökologisches Risiko, was mit dieser Technik verbunden ist.
Harrisburg 1979, Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 – eine Technik, die nicht beherrschbar ist, ist politisch auch nicht verantwortbar. Ich habe das oft gesagt. Zum Glück hat Deutschland spät – hoffentlich nicht zu spät – die richtigen Konsequenzen gezogen und ist aus der atomaren Verstromung ausgestiegen.
(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Bitte was?)
Das ist gut so. Allerdings ist für uns Grüne der Atomausstieg nach wie vor nicht vollendet. Bei uns hier in Nordrhein-Westfalen – auch das ist aus Anlass der heutigen Debatte ein Appell an die Bundesregierung – ist der Atomausstieg erst dann vollendet, wenn auch die Brennstoffkette endgültig beendet ist und wenn nicht länger der nukleare Brennstoff beispielsweise in Gronau produziert wird, der unter anderem ja auch in vielen europäischen Atomanlagen nach wie vor zum Einsatz kommt.
Es geht um den europäischen Atomausstieg. Wir hier setzen uns deswegen – Herr Kollege Schultheis hat davon gesprochen – nicht zuletzt für die sofortige und endgültige Abschaltung der Reaktoren in Tihange und selbstverständlich auch in Doel ein. Wir tun das mit vielen Gleichgesinnten, mit Freundinnen und Freunden von Ecolo und GroenLinks in Belgien und in den Niederlanden. Wir tun das vor allen Dingen auch mit sehr vielen Menschen in der Städteregion Aachen. Jeder von Ihnen, der dort im Moment unterwegs ist, in Aachen vielleicht den Weihnachtsmarkt besucht, sieht es in allen Schaufenstern, nämlich das klare Bekenntnis einer breiten Bewegung, die sagt: Diese Schrottreaktoren gehören abgeschaltet, und zwar endgültig abgeschaltet.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)
Wenn nunmehr die belgische Atomaufsicht – wahrlich keine Behörde, die für eine besonders kritische Haltung bekannt ist – aktuell neue Sicherheitsmängel, Brandgefahren beispielsweise, beklagt, rügt, dann ist es allerhöchste Zeit, dass die Merkel-Bundesregierung endlich auch viel stärkeren Druck auf die nationale Regierung in Belgien ausübt – eine nationale Regierung in Berlin, die an anderen Stellen der europäischen Politik auch nicht diplomatisch höflich und zurückhaltend ist, wenn es beispielsweise um die Austeritätspolitik geht.
Also, es ist nicht länger die Zeit dafür, sich herauszuhalten, höflich zu bitten, sondern sich wirklich entschieden mit den vielen Menschen in der Region dafür einzusetzen, dass dieses Risiko endgültig gebannt wird.
(Beifall von den GRÜNEN und Armin Laschet [CDU])
Im Übrigen: Unsere Landesregierung hier in Nordrhein-Westfalen hat ihren Einfluss schon seit vielen Jahren bei vielen Konsultationen geltend gemacht. Die Ministerpräsidentin, die Fachminister, insbesondere auch Herr Remmel, haben bei vielen Gesprächen in Belgien, in den Regionen – Karl Schultheis hat auf die Parlamentariergruppe hingewiesen – immer wieder einen entsprechenden Vorstoß gemacht und Vorschläge eingebracht. Die Landesregierung ist auch der Klage der Städteregion beigetreten.
(Zuruf von der CDU: Endlich!)
Das ist gut so. Aber bis eine juristische Entscheidung über diese Frage getroffen ist, kann es möglicherweise schon zu spät sein, wenn wir das ernst nehmen, was die belgische Atomaufsicht jetzt sagt. Darum wäre es gut, wenn wir das Problem politisch schneller und endgültig gelöst bekommen.
Deswegen sprechen wir uns – das will ich zum Abschluss sagen – auch ganz entschieden dafür aus, dass es eine europäische Energiewende gibt, einen europäischen Energieverbund. Es gibt im Grenzgebiet beispielsweise derzeit stillliegende Gaskraftwerke, die man sofort dafür nutzen könnte, den oft zitierten Energiemangel, den hohen Energiebedarf des rohstoffarmen Nachbarlandes hier partnerschaftlich, freundschaftlich anzugehen.
(Armin Laschet [CDU]: Braunkohle haben wir auch noch! – Michael Hübner [SPD]: Er muss sich erst noch warmlaufen!)
– Wenn da Zwischenrufe und konstruktive Vorschläge kommen, dass die RWE-Braunkohle dafür benutzt werden könnte, meine Damen und Herren: So lange die Kraftwerke laufen, kann man das natürlich selbstverständlich auch nutzen, damit die Schrottreaktoren abgeschaltet werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Wir Grüne werden weiterhin für eine europäische Energielösung jenseits von Kohle und Atom streiten, bis das nukleare Feuer in Europa endgültig erloschen ist.
Deswegen unser Eilantrag heute. Ich bitte dieses Haus um Zustimmung, damit wir diesen Appell noch einmal über die Grenze senden können. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)