Hans Christian Markert: „Eine Chemie aus Sonne, Wasser, Abfall und Luft ist kein Luftschloss mehr.“

Abschlussbericht der Enquete-Kommission zur Zukunft der chemischen Industrie in NRW

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Hans Christian Markert (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal vergeht eine Zeit relativ schnell. Zwei Jahre sind verhältnismäßig schnell um. So werden wir Ihnen nach diesen zwei Jahren heute die Ergebnisse der Enquetekommission „Zukunft der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf nachhaltige Rohstoffbasen, Produkte und Produktionsverfahren“ sehr gerne vorstellen.
Eine Enquetekommission beschäftigt sich regelmäßig mit komplexen, gesellschaftspolitisch relevanten Fragen und macht wissenschaftlich-sachverständig begleitet Handlungsvorschläge. Mit unterschiedlichen Denkansätzen und von unterschiedlichen Denkschulen kommend haben wir uns dem komplexen naturwissenschaftlich-technischen Thema genähert, gemeinsam daran gearbeitet, leidenschaftlich gerungen. Wir haben am Anfang auch vereinbart, weil das ein komplexes Thema ist, uns im Wesentlichen auf drei Fragestellungen zu konzentrieren.
Wir wollten über die Rohstoffbasen am Beispiel von Rohstoffen und Werkstoffen sprechen. Wir wollten die gerade auch zukünftig wichtiger werdende Rolle der Elektrochemie beleuchten. Und wir wollten uns auch moderne chemisch-technische Verfahren näher vornehmen. Es war also eine Zuspitzung des Aufgabenfeldes angesichts der begrenzten Zeit und der Komplexität des Themas.
Wir waren insofern auch eine Enquetekommission, die sich mit der Zukunft der chemischen Industrie beschäftigt hat, und keine, die sich mit der Verkehrsinfrastruktur beschäftigt hat. Fragen des Brückenzustands oder von Pipelines haben wir daher von vornherein ausgeklammert. Wir waren auch keine Energieenquete. Gleichwohl haben wir in der Diskussion mit bestimmten Fragen, die wir im Zusammenhang mit den globalen Energiepreisentwicklungen beleuchtet haben, beschäftigt, aber beispielsweise auch festgehalten, dass Fracking wegen der damit verbundenen, nicht ausgeräumten hohen ökologischen Risiken für uns in Nordrhein-Westfalen derzeit und auch zukünftig wohl politisch nicht verantwortbar ist. Das hat ja auch unter anderem unsere Ministerpräsidentin mehrfach festgestellt.
Weil wir uns mit heimischen Rohstoffbasen beschäftigt haben, haben wir uns dazu bekannt, dass es hier im Parlament im letzten Jahr ein Bekenntnis zu einer Leitentscheidung mit Blick auf den Einsatz des heimischen Rohstoffs Braunkohle gegeben hat. Das mitzuteilen, ist mir wichtig, damit man die Handlungsempfehlungen entsprechend einordnen kann.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt einen nachhaltigen Weg zum Erhalt, zur Weiterentwicklung und zum Umbau unserer Industriegesellschaft. Dieser kann aber nur im Konsens aller relevanten Akteure gelingen. Daher wurde unsere Enquetekommission damit beauftragt, Handlungsoptionen zu erarbeiten, um den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen zukunftsfähig zu machen. Vertreterinnen und Vertreter aus Industrie, Verbänden, Politik, Wissenschaft und Gewerkschaften einigten sich auf einen solchen Konsens und bekannten sich dabei zu den Zielen der Ressourceneffizienz der Energie, des Ressourcenwandels und der Kreislaufwirtschaft. Damit ist es unserer Enquetekommission gelungen, und zwar im Konsens aller fünf Fraktionen, eine belastbare Brücke in eine wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltige Zukunft für eine unserer Schlüsselindustrien und damit für Nordrhein-Westfalen insgesamt zu bauen.
Die Weichen auf diesem nachhaltigen Weg zum Umbau werden dabei heute schon so gestellt, dass vermehrt erneuerbare Energien in chemische Synthesen eingespeist und die Rohstoffbasis diversifiziert, also auf breitere Füße gestellt werden kann. Dass es unserer Kommission dabei gelungen ist, sehr konkret und greifbar insgesamt 58 Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, ist auch ein Zeichen ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit.
Jetzt kann und will der Vorsitzende der Kommission nicht zu allen 58 Handlungsempfehlungen im Einzelnen Stellung nehmen; dazu werden auch Obleute der Fraktionen gleich noch Gelegenheit haben und ihre Highlights sicherlich noch vorstellen. Wir haben uns darüber verständigt, dass die Reihenfolge der Präsentation der 58 Handlungsempfehlungen nichts mit einer Gewichtung zu tun hat, sondern sie alle gleichermaßen von Bedeutung und wichtig für unseren Standort sind.
Meine Damen und Herren, für das Gelingen des nachhaltigen Umbaus ist nicht nur der Gleichklang aus Sozialem, aus Ökonomischem und Ökologischem zwingend, sondern gleichermaßen kommt es auf die Effizienz, auf die Konsistenz und auf die Suffizienz dieses Vorgehens, dieses Umbauens an.
Mit der Effizienz setzen wir auf eine ergiebigere Nutzung von Materie und Energie, also auf eine höhere Ressourcen- und Energieproduktivität. Dazu braucht es etwa unsere Unterstützung bei der Entwicklung volatiler Fahrweisen von Chlor-Alkalie-Elektrolysen, die je nach Stromangebot mit und ohne Sauerstoffverzehrkathode Wasserstoff erzeugen können. Das sind natürlich schwierige Begriffe. Um es anschaulich zu machen: Nordrhein-Westfalen ist da schon auf einem guten Weg. Die Sauerstoffverzehrkathode, die in Leverkusen in den letzten 15 Jahren entwickelt wurde, hat das Potenzial, ein Drittel des Stroms, die wir bei der Chlorchemie einsetzen, einzusparen. Und wenn man weiß, dass allein für die Chlorchemie 3 % des deutschen Stromverbrauchs verwendet werden, reden wir hier über 1 % Einsparung im gesamten Stromverbrauch der Bundesrepublik Deutschland. Das ist eine Menge. Das ist mehr als der Stromverbrauch beispielsweise der Großstadt Köln. Deswegen ist es gut, auf diesem Weg weiterzugehen, effizient die Chemie weiter nach vorne zu entwickeln.
Ebenso empfehlen wir die Verstärkung der wissenschaftlichen Ressourcen zur Erforschung chemischer Energiespeicher und zur Weiterentwicklung der Power-to-Gas-Technologien im Hinblick auf notwendige Effizienzsteigerungen und eine verbesserte Wirtschaftlichkeit.
Meine Damen und Herren, mit der Konsistenz fördern wir naturverträgliche Technologien, die die Ökosysteme nutzen, ohne sie zu zerstören, Stichwort Kreislaufwirtschaft. Unsere Kommission empfiehlt daher eine Verbesserung der Verfügbarkeit kommunaler Abfallströme als Rohstoffbasis für die chemische Industrie im Sinne einer Kaskadennutzung. Ebenso gilt dies für die von uns empfohlene Förderung von Pilotanlagen für das Verfahren der hydrothermalen Karbonisierung, also des Aufkochens unter Druckverhältnissen von Bioabfällen zu einer Hydrokohle. Im Schnellkochtopf wird sozusagen der Bioabfall schneller zu einem Produkt entwickelt, wofür die Natur Hunderttausende von Jahren braucht.
Und diese stoffliche Umwandlung von organischen Reststoffen wird dann für neue Plattformchemikalien genutzt. Das ist also ein Rohstoff der Zukunft. Dadurch, dass wir seit diesem Jahr die Bioabfälle getrennt erfassen, wird einem sicherlich noch einmal das Potenzial, das darin steckt, diese Abfälle zu nutzen, um daraus wieder Chemikalien zu erzeugen, klar. Das ist gelebte Kreislaufwirtschaft.
Schließlich zielen wir mit der Suffizienz, der Vermeidung, auf einen geringeren Verbrauch von Ressourcen ab. So empfehlen wir die Förderung von Forschung und Entwicklung verbesserter petrochemischer und biobasierter Werkstoffkonzepte. Hierbei ist ein Schwerpunkt auf das Produktdesign zu legen, das die Nutzungsphase zum Beispiel für Lightweight-Anwendungen oder andere Beiträge zur besseren Ressourcennutzung im Blick hat.
Zuletzt – erlauben Sie mir das bitte auch noch anzumerken – geht es um die Schaffung eines Lehrstuhls für biomimetische Chemie. Mit Biomimetik, der Nachahmung natürlicher Prozesse, kann eine Annäherung an die Normaltemperatur, Niederdruck oder sonnengetriebenen Prozesse der Natur untersucht und so auch Umwelteinwirkungen der chemischen Industrie von vornherein vermieden werden. Das ist sicherlich der letzte Schritt der Zukunftsmusik. Da sind wir vielleicht in 30 Jahren. Aber wir haben auch einen Innovationszeitraum von 15, 20, 30 Jahren untersucht. Das ist ja die Aufgabe einer solchen Enquetekommission.
Meine Damen und Herren, das große Portfolio, das wir hier gemeinsam entwickelt haben, die 58 Handlungsempfehlungen, ist natürlich nur möglich gewesen, weil sehr viele Menschen daran weit über das übliche Maß an Arbeit und Leidenschaft hinaus mitgearbeitet haben. Deswegen möchte ich als Vorsitzender dieser Enquetekommission ausdrücklich auch denen danken, die zum Gelingen dieser Enquetekommission beigetragen haben.
(Allgemeiner Beifall)
Mein Dank gilt den Referentinnen und Referenten der Fraktionen: Daniel Marker, Evelyn Hepp, Dr. Sebastian Ritter, Dr. Hugo Obermann und Dr. Andrea Holtkamp sowie Svenja Sudeikat.
(Allgemeiner Beifall)
Unser Dank gilt unseren Sachverständigen: Thomas de Win, Prof. Dr. Michael Dröscher, Dr. Walter Leidinger, Hans-Jürgen Mittelstaedt und Prof. Dr. Volker Hessel.
(Allgemeiner Beifall)
Stellvertretend für die politischen Vertreterinnen und Vertreter in der Kommission – also die Fraktionen, um es auf einen kurzen Nenner zu bringen – möchte ich den Obleuten in der Kommission danken. Herzlichen Dank an Guido van den Berg, Matthias Kerkhoff, Dr. Birgit Beisheim, Dietmar Brockes sowie Kai Schmalenbach und Hanns-Jörg Rohwedder.
(Allgemeiner Beifall)
Unsere Arbeit als Vorsitzende dieser Kommission wurde begleitet und leidenschaftlich unterstützt vom Kommissionssekretariat. Deswegen auch herzlicher Dank im Namen der Kommission an das Kommissionssekretariat unter der Regie von Johanna Högner. Dank an Sascha Symalla, Markus Preuß, Mirjam Hufschmidt und Gisela Lange.
(Allgemeiner Beifall)
Erlauben Sie mir bitte, dass ich der geschätzten Kollegin Gisela Lange auf diesem Weg – sie beendet jetzt ihre berufliche Laufbahn und geht in den wohlverdienten Unruhestand – alles Gute für ihre weitere Zukunft wünsche.
(Allgemeiner Beifall)
Last, but not least gilt mein besonderer Dank meinem lieben Stellvertreter Gerd Hachen, auf den ich mich, lieber Gerd, die ganze Zeit immer verlassen konnte. Das war ein großes freundschaftliches Verhältnis, das sich dort entwickelt hat, geprägt von großer Loyalität. Deswegen wirst du gleich auch hier vorne den zweiten Teil unserer gemeinsamen Rede vortragen, um auch die große Gemeinsamkeit in der Kommission hier zum Ausdruck zu bringen.
(Allgemeiner Beifall)
Meine Damen und Herren, erlauben Sie dem Vorsitzenden abschließend ein Fazit in die Zukunft zu richten. Eine Chemie aus Sonne, Wasser, Abfall und Luft ist kein Luftschloss mehr. Überlegungen zur Implementierung erneuerbarer Energien in chemische Synthesen, zur Nutzung von CO2 als Kohlenstoffquelle und zur lichtgetriebenen Wasserspaltung werden in industrieller und öffentlich finanzierter Forschung stark vorangetrieben und weisen den Weg in eine andere, eine moderne Chemie, eine nachhaltige Chemie der Zukunft.
Schließen möchte ich in diesem Zusammenhang mit einem chinesischen Sprichwort, das lautet: Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen. – Lassen Sie uns Windmühlen bauen! – Herzlichen Dank, hat Spaß gemacht.
(Allgemeiner Beifall)

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