Hans Christian Markert (GRÜNE): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dietmar Schulz, zunächst zu der Frage, wie viele Leute gerade zu welchem Thema da sind: Meine Kolleginnen und Kollegen haben die Anti-Atom-Haltung auf ihre politische Festplatte gebrannt. Im Übrigen sitzen sie alle am Stream und verfolgen diese Debatte.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Lachen von den PIRATEN)
Wir Grünen waren nämlich schon gegen Atomkraft, da haben eure Eltern noch Frogger auf dem Commodore 64 gespielt.
(Allgemeine Heiterkeit – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von den PIRATEN)
Also ganz entspannt!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, stellen Sie sich doch mal vor, wir würden heute über den Rückbau eines virtuellen Schiffsfriedhofs beraten. Würden Sie dann auch beantragen, die Landesförderung von Schiffsbetrieben einzustellen? – Denn genau das tun Sie hier.
Sie legen einen Antrag vor, in dem Sie in Feststellung und Beschluss einfach unseren Koalitionsvertrag zitieren, in der Überschrift eine „Landesförderung von Atomkraftwerken“ behaupten und am Schluss fordern, das Land dürfe dafür „keine neuen Zahlungsverpflichtungen eingehen“.
Mit Verlaub: Das ist unsinnig, bar jeder Sachkenntnis und für die Bürgerinnen und Bürger, für die Sie ja fortwährend Transparenz einfordern, mehr als irreführend.
Worum geht es also in Wahrheit?
(Zuruf von den PIRATEN: Um den Koalitionsvertrag!)
Oder: Worum geht es – wie Sie es in Ihren Parteikreisen ja gelegentlich sagen – in der realen Kohlenstoffwelt jenseits des Internets?
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das habe ich noch nie gesagt!)
Es geht – darauf hat der Kollege van den Berg eben schon hingewiesen – um den sicheren Einschluss und die Restabwicklung der Atomruine Hamm-Uentrop. Um das noch nachzutragen: Genau an diesem Standort bin ich als Jugendlicher das erste Mal bei einer Demo gegen Atomkraft mitgelaufen.
(Zurufe von den PIRATEN)
Insoweit rührt mich das ähnlich wie den Kollegen van den Berg tief.
Wenn Sie sich denn sachkundig gemacht hätten und zudem auch die Antwort der Landesregierung auf Ihre Kleine Anfrage vom November dieses Jahres sorgfältig gelesen hätten, dann würden Sie wissen: 1989 wurde Hamm-Uentrop stillgelegt. Seit 1997 befindet sich der Reaktor im sicheren Einschluss.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das wissen wir!)
Nach dem derzeitigem Stand der Planungen kann mit dem Rückbau – der Minister wird ja gleich noch etwas dazu sagen können – erst nach dem Jahr 2022 begonnen werden. Eine Entscheidung über die Finanzierung des Rückbaus muss deshalb auch noch nicht heute abschließend getroffen werden.
Es gibt seit 1989 einen Rahmenvertrag und seitdem auch entsprechende Ergänzungsvereinbarungen zwischen dem Bund, dem Land und den Gesellschaftern des Betreibers, worin die anteilige Aufteilung der Kosten von sicherem Einschluss und auch die Endlagervorausleistungen geregelt sind.
Die Betreiber waren übrigens gesetzlich verpflichtet, hierfür entsprechende Rücklagen zu bilden. Dies ist auch erfolgt. Das Heranziehen dieser Rücklagen war ein zentrales Anliegen des Landes bei den Verhandlungen zum entsprechenden Rahmenvertrag von 1989.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Markert, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Lamla würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Hans Christian Markert (GRÜNE): Der geschätzte Neusser Kollege Lamla wird sich leider gedulden müssen.
Präsidentin Carina Gödecke: Entschuldigung, es war der Kollege Schulz.
Hans Christian Markert (GRÜNE): Ah, es war der andere Neusser Kollege. Ich würde vorschlagen, dass Kollege Dietmar Schulz eine Zwischenintervention nachschieben kann
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das geht nicht! Lesen Sie mal die Geschäftsordnung!)
und ich jetzt im Zusammenhang vortragen kann. Ich weiß, dass Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen heute Abend noch eine Weihnachtsfeier haben. Vielleicht sollte man deshalb nicht zu lange hierüber streiten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Markert. Ich verstehe das als Nein.
Hans Christian Markert (GRÜNE): Genau.
Politisch ist unsere Bewertung insofern eindeutig: Die Atomenergie insgesamt, erst recht die Hochtemperatur-Kugelhaufen-Reaktortechnologie von Jülich und Hamm-Uentrop waren schwerwiegende Fehlentscheidungen sowohl von der damaligen Wirtschaft und Wissenschaft wie auch von der damaligen Politik. Sie dürfen nicht vergessen: Hamm-Uentrop war von der damaligen Politik gewollt, gefördert und mitfinanziert.
Wir Grünen haben diese Technologie nie gewollt. Wir sind als Chaoten verschrien worden, als wir dagegen protestiert haben. Wie Sie wissen, sieht die Sache nach Tschernobyl und Fukushima vollständig anders aus.
(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Allerdings!)
Obwohl wir für diese Technologie nicht verantwortlich sind, stehen wir zu unserer Verantwortung für ihre möglichst sichere und schnelle Abwicklung. Darum halten wir es aufgrund der historischen Verantwortung auch des Landes für diese Technologie für richtig, Mittel für den Rückbau, und zwar ausschließlich für den Rückbau, zur Verfügung zu stellen. Auch wenn man eine Technologie abgelehnt hat, kann man sich einer sicheren und verträglichen Entsorgung doch nicht allen Ernstes verweigern!
Das ist halt die Ironie der Geschichte: Damals wurden wir als unseriös hingestellt, weil wir uns gegen diese Technologie gestellt haben. Heute ließe sich eine Menge begründeter Fragen im Hinblick darauf stellen, wo denn die Seriosität tatsächlich verortet war.
Die öffentliche Hand hat eine Menge Geld in die Atomenergie – leider auch in Hamm-Uentrop – gesteckt. Nun muss sie eben auch die Konsequenzen ihres Tuns und Unterlassens vollständig tragen – so wie wir es auch von selbstbestimmten Bürgerinnen und Bürgern erwarten.
Dass wir als Landesregierung dabei sehr genau darauf achten werden, dass die Betreibergesellschafter weiterhin entsprechend den Vereinbarungen und ihrer Verantwortung an den Kosten beteiligt werden, versteht sich von selbst. Dies haben wir auch bei dem jüngsten Gespräch getan. Seien Sie sich sicher, lieber Dietmar Schulz, …
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Hans Christian Markert (GRÜNE): … wir werden – auch und gerade hier in Nordrhein-Westfalen – am Ausstiegskonzept weiterarbeiten. Wir haben gerade in der letzten Woche beim GNS-Standort in Duisburg zusammen mit den Betreibern erste Erfolge erzielt. So werden wir – Rot-Grün – den Koalitionsvertrag auch in Fragen der Atomtechnologie und ihrer Abwicklung gemeinsam bis 2017 entsprechend umsetzen.
Wir lehnen den Antrag ab. – Herzlichen Dank.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Markert. – Bleiben Sie bitte noch am Platz. Sie waren ja so freundlich, Herrn Kollegen Schulz auf die Möglichkeiten der Geschäftsordnung hinzuweisen. – Sie haben das Wort zur Kurzintervention, Herr Schulz. Bitte schön.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Hans Christian Markert, wir wollen doch schwer hoffen, dass die Koalition sich an den Vertrag hält – selbstverständlich auch daran, dass die Atomkraftwerksbetreiber von Hamm-Uentrop entsprechend ihrer Eigentümerstellung in die Pflicht genommen werden.
Sie sagten vorhin, es gebe Verträge – insbesondere einen Rahmenvertrag – und mehrere Ergänzungsvereinbarungen, aus denen sich die Zahlungsverpflichtung des Landes Nordrhein-Westfalen insbesondere bezüglich der Kosten des sicheren Einschlusses und der Endlagervorausleistungen ergebe.
Dazu kann ich nur Folgendes sagen: Mir persönlich sind derartige Zahlungsverpflichtungen aus dem Einblick in die Verträge nicht bekannt. Ich frage deshalb, warum es darüber hinaus noch einer im Haushalt 2014 erwähnten zusätzlichen Vereinbarung bedarf, wenn denn das alles schon aus dem vorangegangen Vereinbarungen ablesbar und bereits verbindlich verpflichtend ist. Würden Sie es also – mit anderen Worten – für erforderlich und auch rechtlich zwingend geboten halten, derartige Zahlungsverpflichtungen in der Zukunft einzugehen?
Hans Christian Markert (GRÜNE): Lieber Dietmar Schulz, ich habe vorhin von den Rücklagen gesprochen, die Atomkraftwerksbetreiber schaffen mussten, um diese Technologie am Ende abwickeln zu können. Es ist eine sehr irrige Annahme der Politik, dass so etwas Gefährliches wie Atomtechnologie deshalb nicht abgewickelt werden könne, weil diese Rücklagen nicht ausreichten. Denn dann hat ein gemeinwohlorientierter Staat natürlich die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger auch in der Nachbarschaft einer solchen Anlage in Sicherheit leben können und dass die Entsorgung rechtssicher funktionieren kann. Das ist jedenfalls meine Auffassung von Politik und von einem funktionierenden Rechtsstaat.
Im Übrigen noch mal: Es handelt sich hier um eine Technologie, die bis in die 80er-Jahre von früheren Landesregierungen als eine sinnvolle Technologie erachtet worden ist. Wenn der Staat eine bestimmte Technologie wie die Kugelhaufenreaktortechnologie wissenschaftlich begleitet entwickelt hat, die auch ins Ausland verkauft wurde, dann halte ich es für eine Selbstverständlichkeit, dass der Staat sich auch der Verantwortung seines Meinungswandels stellt. Das kommt hier erschwerend hinzu. Deswegen können wir den Antrag an dieser Stelle nur ablehnen. Wir werden aber an unserem Bestreben, eine Technologie zu bekämpfen, …
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.
Hans Christian Markert (GRÜNE): … die wir für politisch nicht verantwortbar halten, weil sie technisch nicht beherrschbar ist, weiter festhalten. Da können die Piraten ganz entspannt ins Weihnachtsfest gehen. – Herzlichen Dank.