Gudrun Zentis: „Wir können es uns nicht leisten, diese Menschen zurücklassen.“

Antrag von GRÜNEN und SPD zum Analphabetismus in NRW

Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über ein Thema, das sich quer durch die Gesellschaft zieht und zahlreiche Menschen im erwerbsfähigen Alter betrifft.
Wir wissen alle: Vor dem Hintergrund des Geburtenrückgangs und des zunehmenden Mangels an qualifiziertem Personal können wir kein Kind und keinen Jugendlichen zurücklassen. Wenn wir das aber konsequent weiterdenken, dann können wir es uns zudem nicht leisten, auch nur einen Erwachsenen zurückzulassen, der über eine Nachqualifizierung in Grundkenntnissen bessere Chancen am Arbeitsmarkt hätte.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, die wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre haben uns das Ausmaß des Analphabetismus erst vor Augen geführt. Vielleicht haben wir es auch einfach nicht wahrnehmen wollen oder auch nicht für möglich gehalten, dass wir so viele Analphabeten in unserer Gesellschaft haben.
Auch deshalb lautet die Verabredung im Koalitionsvertrag, gezielte Angebote zur Alphabetisierung und Grundbildung zu erhöhen, und zwar insbesondere für Menschen, die wir als Bildungsbenachteiligte bezeichnen.
Wer ist betroffen? Welche Ursachen hat die Benachteiligung? Und was können und müssen wir gemeinsam tun, um die Teilhabemöglichkeiten dieser Menschen an unserem Leben, an unserer Gesellschaft zu verbessern?
Bei der Beantwortung solcher Fragen kann uns die Lektüre der PIAAC-Studie „Grundlegende Kompetenzen Erwachsener im internationalen Vergleich“ helfen.
In Deutschland – so die Studie – haben Personen ohne Schulabschluss oder Personen, die einen schlechteren Hauptschulabschluss haben, im Durchschnitt sehr niedrige Lese- und alltagsmathematische Kompetenzen. Mit anderen Worten: Sie haben die Schule verlassen und kommen in einen Teufelskreis aus einerseits schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, andererseits geringen Möglichkeiten, sich nachzuqualifizieren.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Sie bedeuten aber für uns: Wir müssen auch in die Schulen schauen, unsere Lehrkräfte besser für das Problem des Analphabetismus sensibilisieren und ihnen geeignete Instrumente an die Hand geben.
Eben habe ich noch von den Damen, die heute hier mit Leibniz unterwegs sind, gehört, dass Kinder nur in den ersten beiden Schuljahren die Möglichkeit haben, Lesen und Schreiben zu lernen. Dann ist die Chance für die erst einmal vertan.
Ich plädiere sehr dafür, die Zusammenarbeit von Schule und Weiterbildung bei diesem Thema zu vertiefen. Es kann nicht oft genug betont werden, dass der Analphabetismus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Daher ist eine Initiative, wie in unserem Antrag formuliert, zur Sensibilisierung und Vernetzung aller Akteurinnen und Akteure dringend erforderlich, auch wenn bereits erste Schritte auf diesem Weg unternommen worden sind.
Um deutlich zu machen, dass wir dabei nicht stehen bleiben dürfen, muss ich noch einmal auf die PIAAC-Studie zu sprechen kommen, die eine Erweiterung der Bildungsangebote für Erwachsene fordert.
Ich sage es noch einmal: Wir können es uns nicht leisten, diese Menschen zurücklassen. Wir müssen ihnen den Weg zu qualifizierter Beschäftigung erleichtern. Das, meine Damen und Herren, geht nur über einen Ausbau der Angebote in den Bereichen Alphabetisierung und Grundbildung.
Wir müssen aber darüber hinaus auch die große Gruppe von Menschen erreichen, die bis-her keine Chancen gesehen haben, ihre Grundkompetenzen zu verbessern. Es gibt erfolg-reiche Bespiele für die Ansprache dieser Zielgruppen, und wir müssen dafür Sorge tragen, dass sie gebündelt und weiterentwickelt werden, damit alle Weiterbildungseinrichtungen im Land daran partizipieren können. Dass das in Zukunft so sein wird, dafür steht auch die Ein-richtung des Landesinstituts LIUNA NRW. Denn das wird auch die Aufgabe übernehmen, die Qualitätssicherung bei den verschiedenen Akteuren der Weiterbildungseinrichtungen zu betreiben. Ich denke, die Aufgabe „Sicherung der Qualität“ ist dort hervorragend angesiedelt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): – Ich beeile mich jetzt. – In einen besonderen Fokus nehme ich dann noch die über 29-Jährigen, weil die immer aus allen möglichen Bezugs-punkten herausfallen, wo wir sie bekommen könnten.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir diese große Aufgabe alle gemeinsam zustimmend begleiten werden. – Danke schön. 

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