Gudrun Zentis: „Diese Menschen haben es nicht verdient, zum Spielball von Interessen zu werden.“

Aktuelle Stunde zur Zukunft von Garzweiler II

Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hachen, ich hoffe, dass das, was Sie gesagt haben, nicht nur Ihre persönliche Meinung als Wahlkreisabgeordneter ist, sondern dass die ganze Fraktion und Ihre Partei hinter Ihnen stehen. Wir würden das begrüßen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Einer Presseinformation letzter Woche, die sich rasch in allen Pressemedien verbreitete, haben wir diese Aktuelle Stunde zu verdanken. Aber bitte, meine sehr verehrten Damen und Herren, konnte sie uns wirklich überraschen? RWE Power teilt uns doch schon seit geraumer Zeit mit, dass Arbeitsplätze abzubauen sind. Um den Termin der Bundestagswahl herum gab es immer wieder Mitteilungen und Hinweise, dass Arbeitsplätze abgebaut werden.
Konkreter war das aber bereits in einem Artikel der „FAZ“ vom 24.09. dieses Jahres zu lesen. Bitte erlauben Sie mir, dass ich zitiere:
„Wie zwei der Informanten sagten, sollen nach den Vorstellungen der RWE-Verantwortlichen innerhalb der nächsten fünf Jahre rund 3.400 Stellen im Stromerzeugungsgeschäft verloren gehen, davon 2.300 in Deutschland …
Weil mit konventionellen Kraftwerken angesichts der Energiewende immer weniger Geld zu verdienen ist, hat der Versorger in seinem Stromerzeugungsgeschäft das Sparpro-gramm ‚Neo‘ aufgelegt. Dieses solle die Kosten der Sparte nach aktuellen Plänen um jährlich rund 800 Millionen € senken …
Neben Stellenstreichungen und Gehaltsverzicht werden intern noch weitere Szenarien durchgespielt. So sei auch der Bestand aller Tagebau-Gruben infrage gestellt worden. Konzernverantwortliche hätten den Vorschlag gemacht, eine der Braunkohle-Abbaustätten im rheinischen Revier bei Köln aufzugeben …“
Wie gesagt: 24.09. in der „FAZ“.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was stört uns eigentlich am Verhalten von RWE? Es ist doch ein Unternehmen, das nach wirtschaftlichen Kriterien entscheiden muss. Alles andere wäre doch verfehlt. Sie müssen doch aus den Kommunen wissen, wie die Dividenden der Aktien gesunken sind und einige Kommunen nunmehr dadurch in finanzielle Probleme geraten.
Erstaunt sein können wir wirklich nicht. Skandalisieren, sich aufregen oder gar eine hitzige Debatte bezüglich RWE Power und ihrer strategischen Ausrichtung am Energiemarkt führen, die der Veränderung bedarf, brauchen wir nicht, auch keine Wetten, Herr Schmalenbach, rund um das Thema „Garzweiler“.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Interessen der Arbeitnehmer sind von RWE stets beachtet worden. Dem einen oder anderen wird es zwar nicht unbedingt gefallen haben, wie bereits in der Vergangenheit praktiziert, frühzeitig aufs Altenteil geschoben worden zu sein, aber wenn über Sozialpläne, wie ich gelesen habe, bereits verhandelt wird – so sind wir es von RWE gewohnt –, dann können wir auch diese ruhig abwarten.
Und dann gibt es da noch eine Gruppe von Menschen vor Ort, deren Schicksal mich sehr berührt. Das sind die Menschen, die am Tagebaurand leben, die dort zur Sicherung eines Wirtschaftsstandorts einem höheren gesundheitlichen Risiko durch Lärm und Staub aus dem Tagebau ausgesetzt sind als andere, die davon profitieren.
Auch wenn diese Menschen seit Jahrzehnten wissen, dass sie aus ihrer Heimat vertrieben werden, sie dem Tagebau weichen müssen, sie umsiedeln müssen wie es im Amtsdeutsch heißt, tun sie das nicht gern, machen das nicht freiwillig, machen es nicht mit Freude, sondern meist mit großer Wehmut und Traurigkeit. Diese Menschen haben es nicht verdient, auch noch zum Spielball von Interessen zu werden.
(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Sehr geehrte Damen und Herren, wer von Ihnen war schon einmal im rheinischen Revier, war in diesen sterbenden Orten, in Pier, das es jetzt eigentlich nicht mehr gibt, in Borschemich, in Immerath ebenfalls, in Manheim, in Morschenich, die bereits im Verfahren sind.
Sicher nicht die Mehrzahl von Ihnen kann nachempfinden, wie es für die Menschen ist, dort zu leben. Nach und nach leert sich der Ort. Immer weniger Lichter brennen morgens und abends, Vorgärten werden nicht mehr gepflegt, Menschen zum Plausch an der Ecke trifft man nicht mehr. Ganze Straßenzüge veröden, Infrastruktur wird zurückgenommen, Bäume und Sträucher werden gefällt. Schließlich wird mit dem Abbruch der Häuser begonnen, Stück für Stück.
Sicherheitsdienste kontrollieren, sollen vor Plünderungen und sonstigen Verbrechen schützen. Die Katzenpopulation nimmt überhand, weil Katzen nicht so einfach umzusiedeln sind. Hasen, Kaninchen, Füchse, Rehe suchen neuen Lebensraum in den sterbenden Orten.
Aktuell ist ein Bildband über den sterbenden Ort Manheim erschienen. Ich kann Ihnen diesen Bildband empfehlen. Es ist sicher eines der letzten Druckerzeugnisse eines uralten Dorfes.
Die Menschen werden umgesiedelt in eine neue Umgebung, in ein neues Haus. Sie haben Aufwand, sie haben sehr wahrscheinlich neue Schulden, die Nachbarschaft ist anders, und es gibt kein Zurück. Ein Besuch in der alten Heimat ist noch nicht einmal zur Erinnerung möglich. Jahre später können sie ihren Nachkommen sagen: Da, in dem Loch, dort, in dem See bin ich aufgewachsen, da hat mein Elternhaus gestanden, dort bin ich zur Schule gegangen, da war die Stelle, da habe ich mit meiner großen Liebe die ersten Zärtlichkeiten ausgetauscht. Nichts davon ist vorzeigbar.
Ich kann die Menschen in Keyenberg, Kuckum, Holzweiler, Beverath, Unter- und Oberwestrich verstehen, die wissen wollen, wo sie bleiben oder nicht, die wissen wollen, welches Schicksal ihnen beschert ist. Gekämpft für den Erhalt ihrer Heimat haben sie seit Jahrzehnten, aber in unserem Rechtsstaat geht vermeintliches Allgemeinwohl vor Eigenwohl. Dies wurde auch letzten Sonntag so benannt, als der Immerather Dom entweiht wurde.
Lassen Sie mich bitte nochmals aus einem Bericht der „Aachener Nachrichten“ zitieren: „Doch aller Widerstand war angesichts der Übermacht von Politik, Wirtschaftsinteresse und Gewinnmaximierung von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn nicht die hier lebenden Menschen waren im Blick, sondern die Energiegewinnung hatte politischen und wirtschaftlichen Vorrang.“
Die Politik kann die Weichen für erneuerbare Energien und mehr Klimaschutz stellen.
Aus Karlsruhe wird ein Urteil erwartet, welches – so wird vermutet – den Anwohnern mehr Rechte einräumt …
Präsidentin Carina Gödecke: Denken Sie bitte an die Zeit.
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): …oder Hinweise zum Verfahrensablauf einer Umsied-lung.
Wer kann es dann den Vorstandsmitgliedern von RWE Power verdenken, in der Situation, in der sie sich befinden, zu erwägen, nicht mehr den ganzen möglichen Tagebaubereich in Anspruch zu nehmen.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit, bitte.
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): Ich bin sofort fertig.
Sehr geehrte Vorstandsmitglieder von RWE Power, beweisen Sie die Zukunftsfähigkeit Ihres Konzerns. Entscheiden Sie sich nach marktwirtschaftlichen Kriterien für Ihr Unternehmen und für die Menschen, die von der Umsiedlung bedroht sind und noch in Keyenberg, Kuckum, Holzweiler, Beverath, Unter- und Oberwestrich leben. Entscheiden Sie sich bitte für den Erhalt der Heimat dieser Betroffenen.
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Zentis.
Gudrun Elisabeth Zentis (GRÜNE): Letzter Satz. – Seien Sie so mutig und verzichten auf die Braunkohle unter diesen Orten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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