Gönül Eğlence (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen! Herr Müller, ich finde es gerade ganz spannend. Ich habe Ihnen, Frau Müller-Rech und Herrn Ott heute sehr aufmerksam zugehört.
(Jochen Ott [SPD]: Natürlich!)
In der Methodik heißt es, man solle mit positiven Dingen anfangen. Das mache ich jetzt einfach.
(Heiterkeit von Silvia Gosewinkel [SPD])
In der Tat sind wir uns alle hinsichtlich der Zielrichtung des Antrags einig. Das ist auch das Ergebnis der Enquetekommission.
Das bedeutet, ein Chancenjahr ist ein mögliches Instrument. Ich habe das jetzt so einschränkend gesagt, weil es nicht zu einem Instrument werden darf, durch das selektiert wird und Kinder womöglich sogar nach Defiziten etikettiert werden.
(Zuruf von Frank Müller [SPD])
Die Bedingung ist: Solch ein Chancenjahr wäre nur dann akzeptabel,
(Jochen Ott [SPD]: Nächste Ausrede!)
wenn es inklusiv, mehrsprachig und nicht selektionierend wäre. Übrigens – kleiner Einschub – hätte ich mir durchaus vorstellen können, mehrsprachige Kompetenzermittlungen zu ermöglichen, aber das wollten Sie leider nicht.
Dann will ich zum Thema „Familien und Eltern“ kommen.
(Zuruf von Frank Müller [SPD])
Sie haben gerade davon gesprochen, wir dürften und sollten die Eltern nicht verpflichten. Da bin ich sogar Ihrer Meinung. Der springende Punkt ist aber: Ein verpflichtendes Chancenjahr ohne die entsprechende Infrastruktur einzuführen, wäre genau das. Sie tun geradezu so, als hätten wir die Infrastruktur, die Kapazitäten und die Ressourcen noch und nöcher,
(Jochen Ott [SPD]: Hamburg hat es doch gezeigt!)
nur die Eltern seien diejenigen, die ihre Kinder nicht in die Kita schickten. Das ist doch unwahr. Wir haben nicht genug Kita-Plätze und nicht genug Personal. – Herr Ott, schütteln Sie nicht den Kopf.
(Zuruf von Kirsten Stich [SPD])
Der springende Punkt bzw. die Realität ist: Gerade die Familien, die genau diese Plätze bräuchten, bekommen sie am Ende des Tages nicht.
(Jochen Ott [SPD]: Diese Kinder lassen Sie weiter zurück!)
Das bedeutet, dass wir uns erst einmal …
Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Frau Kollegin Eğlence, es gibt eine Wortmeldung des Abgeordnetenkollegen Herr Müller. Möchten Sie diese gestatten?
Gönül Eğlence (GRÜNE): Ja, bitte.
Frank Müller (SPD): Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Mit Blick auf den letzten Punkt haben wir tatsächlich ein Ergebnis erzielt. Weil Sie gerade aus der Enqueteberatung zitiert haben, frage ich mich mit Blick auf die mehrsprachigen Kompetenzfeststellungen aber, ob Sie mit mir einer Auffassung sind, dass es primär Ihr Koalitionspartner war, der das nicht wollte.
Gönül Eğlence (GRÜNE): Ich habe das akustisch leider wirklich nicht verstanden.
(Lachen von der SPD)
Hier unten ist es echt schlecht.
Frank Müller (SPD): Gar kein Problem, ich sage es lauter und deutlicher. Mit Blick auf die mehrsprachigen Kompetenzfeststellungen, die alle angeblich nicht gewollt haben, stellte ich mir gerade die Frage, ob Sie mit mir einer Auffassung sind, dass es Ihr Koalitionspartner war, der das explizit nicht wollte.
Gönül Eğlence (GRÜNE): Da haben Sie sich alle nichts genommen, kann ich dazu nur sagen.
(Jochen Ott [SPD]: Ach!)
Ich will zu meinen Ausführungen zurückkommen.
Am Ende des Tages müssen wir vor allem die Fragen beantworten. Bevor wir Familien dazu verpflichten, ihre Kinder in ein Chancenjahr zu stecken, müssen wir sagen, wie wir mehr Ausbildungskapazitäten schaffen, wie wir für eine faire Bezahlung sorgen, wie wir die Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse hinbekommen und wie wir multiprofessionelle Teams stärken können. Das sind die Grundlagen dafür, dass möglicherweise irgendwann ein Chancenjahr kommt.
(Jochen Ott [SPD]: In 10 oder 20 Jahren!)
Am Ende des Tages – die Ministerin hat es vorhin noch erklärt – ist die sozialräumliche Koordination das A und O. Ich sage es in fast allen meinen Reden: Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, wie Kitas, Schulen, die Jugendhilfe und die Zivilgesellschaft – auch bestehend aus migrantischen Selbstorganisationen und dem gesamten Stadtteil – zusammengebracht werden und wie wir die Quartiersarbeit ermöglichen können.
Letzten Endes bleibt zu sagen: Das Ziel teilen wir. Das Chancenjahr darf aber kein Zwangsjahr sein, sondern es muss ein gestalteter, inklusiver Übergang sein, der Vielfalt respektiert und Fachkräfte stärkt. – Vielen Dank.
