Gönül Eğlence (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen! Rouven Laur ist durch die Hand eines Islamisten getötet worden. Er ist im Dienst für unsere freiheitlichen und demokratischen Werte gestorben. Getötet wurde er von einem Islamisten. Unser Respekt gilt seinem Einsatz und dem Einsatz aller Sicherheits- und Rettungskräfte, die täglich ihr Leben für unsere Sicherheit und unsere Demokratie riskieren.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Mein Mitgefühl gilt der Familie und den Freunden des erst 29-jährigen Polizisten.
Diesen Antrag, den wir inhaltlich schon im Mai debattiert haben – wir haben es gehört –, empfinde ich als geradezu widerwärtig. Die AfD scheut nicht davor zurück, den Tod des jungen Polizisten zu instrumentalisieren, um ihre rassistisch motivierten Forderungen abermals in neuem Glanz auf dem Silbertablett zu präsentieren. Das Tablett ist allerdings von unten braun.
(Beifall von der CDU und Sandy Meinhardt [SPD])
Sie waren noch nicht einmal in der Lage, den Namen des Opfers zu erwähnen
(Andreas Keith [AfD]: Weil man das nicht darf!)
oder irgendeine andere Form von Anteilnahme zu zeigen, weder im Antrag noch in der Rede.
(Markus Wagner [AfD]: Weil Sie meiner Rede nicht zugehört haben!)
Sie entlarven sich selbst. Ganz bewusst stellen Sie Kausalzusammenhänge her, die es aufgrund der Faktenlage einfach nicht gibt. Sie entsprechen aber Ihren selbsternannten alternativen Erzählungen.
Sie vermischen im Antrag Begriffe wie „politischer Islam“, „Islamismus“, „radikaler Islam“ und „fundamentalistischer Islam“ und setzen nonchalant den Begriff „Islam“ mitten hinein. Die billige Strategie ist, zu suggerieren, dass das alles einfach das Gleiche oder gar dasselbe ist.
Als Kronzeugen ziehen sie zwei muslimisch gelesene Menschen für ihre rassistische Ideologie heran. Ich habe Herrn Mansour im Landtag bei einer Anhörung erlebt und kann ihm attestieren: Er hat sich nachdrücklich von Ihrer Fraktion distanziert.
Kritik am Islamismus ist nämlich nicht rassistisch motiviert. Islamismus ist deshalb ein Problem, weil er unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet. Die Ursache des Problems liegt also nicht darin, worauf sich diese Gefahr beruft, sondern darin, dass sie uns alle und unsere Werte direkt und konkret angreift.
Aber all das ist eigentlich auch nicht das Thema Ihres Antrags. Sie beschäftigen sich vermeintlich mit Migrationspolitik. Sie bringen in Ihrem Antrag sogar das Staatsangehörigkeitsgesetz ins Spiel. Spannend ist in diesem Zusammenhang übrigens auch, dass Sie sich in Ihrem Antrag auf Doppelstaatler*innen beschränken, obwohl wir seit Potsdam doch alle wissen, dass Sie auch Menschen wie mir das Deutschsein aberkennen.
Aber zurück zum Antrag und die Pointe vorweg: Dieser vermeintliche Kausalzusammenhang ist nicht faktenbasiert.
Vor zwei Wochen – ich hole etwas aus – hatte ich das Privileg, an einer Ausschussreise des Integrationsausschusses nach Kanada teilzunehmen. Wir konnten viele Erkenntnisse gewinnen; zwei der größten Lehren will ich mit Ihnen teilen.
Erstens. Wer sich Zugewanderte aussuchen möchte, muss erst einmal attraktiv genug sein. Unter Expats rangiert Deutschland laut einer Umfrage von Expat Insider 2023 in einer weltweiten Rangliste auf Platz 49 von 53. Unter den am schlechtesten bewerteten Kriterien findet man zum Beispiel das Kriterium „Expat Essentials“, also Verwaltungsangelegenheiten, Wohnungssuche und Sprache. Das viel wichtigere Kriterium ist aber die Eingewöhnung. Hierbei geht es um „Culture & Welcome“, Freundlichkeit und so weiter.
Zweitens. In Kanada spricht man von „Settlement“, also von „Ansiedlung“. Alle Einwandernden, egal mit welchem Status – seien es Menschen im Bereich der Arbeitsmigration, Schutzsuchende oder Studierende –, gelten als sogenannte Newcomer*innen. Sie werden als zukünftige Kanadier*innen betrachtet, denn hier ist man schon nach drei Jahren Aufenthalt soweit. Keine Arbeitsverbote, sofortiger Zugang zu Sprachangeboten und Beschulung von Kindern: So kann es gehen.
Diese Haltung hat zum Ergebnis, dass schon ab der zweiten Generation nicht mehr von Migrant*innen gesprochen wird, und zwar von keiner Seite. Das heißt nicht, dass die Einwanderungshistorie keine Rolle spielt. Egal ob 500 Jahre oder fünf Jahre: Alle sprechen von der Herkunft ihrer Vorfahren, Großeltern oder Eltern, aber alle sind Kanadier*innen.
Wie sieht es bei uns aus? Wir haben einen Fach- und Arbeitskräftemangel sowie eine alternde Gesellschaft. Bis zum Jahr 2035 sollen bis zu 7 Millionen Arbeits- und Fachkräfte fehlen. Gleichzeitig wissen wir, dass von den knapp 1 Million Menschen, die 2015 als Geflüchtete zu uns gekommen sind, zwei Drittel innerhalb von sieben Jahren in Beschäftigung gekommen sind. 90 % davon sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, und rund drei Viertel von ihnen haben eine Vollzeitstelle.
Auf der anderen Seite wissen wir schon seit Langem, dass Salafismus und Dschihadismus keine importierten Probleme sind. Das hatte ich bereits im Mai-Plenum zu Ihrem Antrag ausgeführt. Es sind Ideologien, die im Westen entstanden sind und von sogenannten Born-again-Muslims vertreten werden. Dass Ihnen egal ist, ob diese Menschen im Westen sozialisiert wurden oder nicht, ist uns bekannt, aber für Demokrat*innen ist das durchaus relevant. Denn so wissen wir, dass es einen Kausalzusammenhang zwischen Migration und Islamismus faktisch nicht gibt.
Deshalb können wir uns tatsächliche Lösungen zur Bekämpfung von radikalen Ideologien überlegen, statt auf Scheinlösungen zu setzen, die ausschließlich Ihrem rassistischen Weltbild dienen. Das eine sind Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz gegen antidemokratische und radikale Einstellungen, und das andere ist die Anwendung von geltendem Recht. Letzteres ist in einem Rechtsstaat übrigens selbstverständlich.
Wichtig ist natürlich die Präventions- und Aufklärungsarbeit, wie sie zum Beispiel seit Jahren im Rahmen von „Wegweiser“ gemacht wird. Zudem hat das Land ein Handlungskonzept zur Salafismusprävention erstellt, worin die Maßnahmen der unterschiedlichen Ressorts gebündelt werden.
Warum diese Debatte aber eigentlich unsinnig ist, macht Folgendes deutlich: Wollten wir wirklich nach Afghanistan abschieben, müssten wir zuerst die Taliban – eine terroristische Organisation – anerkennen,
(Enxhi Seli-Zacharias [AfD]: Nein!)
und dann mit ihnen Verträge schließen, damit sie die Leute zurücknehmen. Dass das nicht erstrebenswert ist, kann und müsste selbst Ihnen einleuchten, aber ich mache mir da keine Hoffnung.
Ich möchte meine Rede mit einem sinnvollen Thema beenden. Heute ist der Gedenktag für Anne Frank; es ist ihr Geburtstag. Dieses junge Mädchen hat uns mit ihrem Tagebuch ein wertvolles Vermächtnis hinterlassen. Sie erinnert uns daran, wie wichtig Freiheit und Menschlichkeit sind. Wir erinnern an sie.
(Beifall von den GRÜNEN, Anke Fuchs-Dreisbach [CDU] und Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])