Eileen Woestmann: „Wir müssen gemeinsam ein Umdenken bewirken“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zum "Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung"

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Während der Coronapandemie gab es die Kategorie „systemrelevant“. Mein Eindruck ist, dass damit plötzlich Berufsgruppen eine Aufwertung, eine gesellschaftliche Wertschätzung bekommen haben, die es bisher so nicht gab. Es wurde deutlich, welche wichtige und enorme Leistung in Kitas, Tagespflege und auch OGS geleistet wird.

Wir haben zu spüren bekommen, dass es sich nicht wirklich gut arbeiten lässt, wenn Kinder nicht gut betreut werden, dass es Konsequenzen hat, wenn Kinder keine familienergänzende Bildung, Betreuung und Erziehung erfahren. Jetzt, fast drei Jahre später, stellen wir fest, dass die Kluft der Bildungs- und Chancengerechtigkeit noch größer geworden ist, dass Kinder abgehängt sind oder noch weiter abgehängt wurden, was einen Einschnitt für ihr gesamtes Leben bedeutet.

Die Probleme im Bereich der frühkindlichen Bildung sind enorm. Aber die Probleme sind auch schon in den vergangenen Wahlperioden enorm gewesen. Verschärft wird der Personalmangel in den Kitas vor allem auch durch Krankheitswellen, und das System war über Jahre unterfinanziert. Immer weniger Menschen sind bereit, diese herausfordernde, körperlich und psychisch anstrengende Arbeit zu übernehmen. Und jetzt stehen wir hier. Ich wünschte, wir könnten schnipsen, und alle Probleme sind behoben. Aber, so einfach ist es leider nicht.

Wir können Fachkräfte weder backen noch stehen sie im Schrank. Gerade mit Blick auf Chancengerechtigkeit brauchen wir gut ausgebildete, fitte und vor allem motivierte Fachkräfte. Mein Eindruck ist, liebe SPD, dass wir in manchen Punkten überhaupt nicht weit auseinander sind. Aber ich glaube, auch die Lösung, die Sie gerne hätten, verspricht Ihr Antrag nicht.

Wir müssen anerkennen, dass Frau Ministerin Josefine Paul die Herausforderungen des Fachkräftemangels von Anfang an sowohl in der Theorie als auch in der Praxis in der gebotenen Ernsthaftigkeit angepackt hat. Das vorgestellte Maßnahmenpaket der Landesregierung ist ein Sofortprogramm. Es ist nicht abschließend, sondern als Aufschlag gedacht. Wir sind damit nicht fertig, sondern fangen damit an.

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus den Reihen der SPD, und zwar von Herrn Dr. Maelzer. Lassen Sie sie zu?

Eileen Woestmann (GRÜNE): Ja.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau Kollegin Woestmann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Sie haben eben berechtigterweise dargestellt, dass wir uns die Fachkräfte nicht backen können, sondern dafür etwas tun müssen. Was hindert uns denn daran – ich hatte ja eben zur Praxisintegrierten Ausbildung ausgeführt –, als Land die Kosten dafür zu übernehmen, damit sich mehr Fachkräfte praxisintegriert ausbilden lassen?

Eileen Woestmann (GRÜNE): Die Kosten für die PiA oder die Praxisintegrierte Ausbildung mit zu übernehmen, ist Teil des Sofortmaßnahmenpakets. Dahinter steht die Landesregierung und sagt, dass es wichtig ist, dass es da weitergeht.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Marcel Hafke [FDP] – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Da braucht Ihr nicht zu klatschen! Das ist Quatsch!)

Die Herausforderungen haben wir auf dem Schirm. Es gibt das klare Zeichen, dass wir die Dinge in Angriff nehmen und umsetzen, was zeitnah möglich ist – wohl wissend, dass noch viel zu tun ist. Genau deshalb wurde auch die Koordinierungsstelle zur Fachkräfteoffensive in den Sozial- und Erziehungsberufen eingerichtet.

Wir haben als Koalition die Alltagshelferinnen bis Ende des Jahres verlängert und damit eine Planungssicherheit geschaffen, weil klar ist: Wer bereits in diesem Job ist, muss gehalten und vor allem auch entlastet werden, um wirklich pädagogische Arbeit leisten zu können, um am Kind zu sein. – Ich höre aus den Einrichtungen, dass die Alltagshelferinnen sehr gut angenommen werden und dies tatsächlich eine Entlastung bedeutet.

Die Verwaltungsassistenzen haben wir genauso in unseren Fachkräfteantrag vom Januar aufgenommen und das mit der Forderung verbunden, Bürokratie abzubauen. Wo können Meldungen gebündelt werden? Welche Programme brauchen wir dafür? Wo können wir das noch anpassen? Auf diese Fragen brauchen wir Antworten.

Dazu gehört aber auch die Frage nach der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen. Wie können wir hier dynamischer und schneller werden? Wie können Systeme ineinandergreifen? Diese Fragen werden bereits in einer interministeriellen Arbeitsgruppe bearbeitet.

Damit wir interessierte Menschen ausbilden können, brauchen wir vor allem Ausbildungskapazitäten für die Erziehungs- und Sozialberufe, um die Menschen qualifizieren zu können, die in diesen Berufen arbeiten wollen.

Ja, das System braucht eine bessere Finanzierung. Genau deswegen werden wir das KiBiz reformieren. Es findet schon eine Evaluation statt, um konkrete Zahlen zu bekommen, um Hürden und Verbesserungspotenziale konkret erfassen zu können, um zu wissen, wo Theorie und Praxis auseinanderdriften, und um es besser machen zu können. Eine solche Reform braucht aber auch Zeit.

Neben der Umsetzung von verschiedenen Maßnahmen ist die Frage wichtig, wie schnell sie tatsächlich Wirkung entfachen. Am Ende ist nicht nur die Frage des Geldes entscheidend, sondern es ist auch bedeutend, welchen Stellenwert die sozialen Berufe und die soziale Arbeit in unserer Gesellschaft erhalten werden. Ob Menschen sich für diesen Beruf entscheiden, hängt davon ab, wie sie angesehen werden. Ist es ein „Ach, Mensch, ja“ oder ein „Wow, toll, dass du das machst“? Genau zu Letzterem müssen wir hin.

Ich finde es gut und wichtig, dass das System der Sozial- und Erziehungsberufe gerade laut wird, auf seine Situation hinweist und für sich Partei ergreift.

Wir müssen diese Diskussion als Gesellschaft führen. Wir müssen gemeinsam ein Umdenken bewirken – gemeinsam mit der Politik, mit den Fachkräften und mit den Familien, anstatt gegeneinander zu arbeiten.

Ich freue mich auf die Diskussion im Fachausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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