Eileen Woestmann: „Wir dürfen nicht immer nur von jungen Menschen sprechen, es geht auch um die Medienkompetenz von Erwachsenen“

Zum Antrag der SPD-Fraktion auf ein „Online-Kommissariat“ für Kinder und Jugendliche

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Vor einigen Monaten durfte ich beim LKA zuschauen, wie Beamtinnen und Beamte der Polizei Cybergrooming bekämpft haben. Ich bin mit einem sehr bedrückenden Gefühl nach Hause gegangen. Wir haben Chats beobachtet, die harmlos gestartet sind. Zwei vermeintlich 13-Jährige unterhalten sich über Schule, Fußball, Schminke und das Erwachsenwerden. Irgendwann kippt die Stimmung, weil deutlich wird: Einer von den beiden ist gar nicht an dem Gespräch interessiert, sondern drängt den Jugendlichen zu sexuellen Handlungen, zu intimen Fotos und Videos, zu sexualisierten Gesprächen und möglicherweise auch zu Treffen.

Wir haben da ein riesiges Problem. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder und Jugendlichen auch online geschützt werden. Dass dafür ein Online-Kommissariat tatsächlich der richtige Weg sein könnte, halte ich vor allem wegen zwei Aspekten für schwierig.

Zum einen ist es der Aspekt, dass junge Menschen oft noch nicht das Erfahrungswissen mitbringen, um problematische oder strafbare Situationen einordnen zu können, und sie haben nicht das Rechtsbewusstsein, um zu wissen, ob es nur ein unangenehmer Chatverlauf und ab wann es tatsächlich eine sexuelle Belästigung ist. Ohne dieses fundierte Wissen fällt es auch uns Erwachsenen oft schwer, Unrecht zu erkennen. Für junge Menschen ist es dementsprechend noch schwieriger.

Ein zweiter Punkt kommt dazu: Gerade bei Cybergrooming sind die Verdrängung und der Selbstzweifel oft sehr stark, weil sich junge Menschen oder auch Erwachsene denken: „Na ja, ich habe freiwillig geantwortet“ oder „Ich übertreibe hier vielleicht“. Die Scham und die Angst vor Konsequenzen sind so extrem hoch, dass Jugendliche mit bereits produzierten Bildern erpresst werden und wir da in einen Teufelskreis hineinlaufen können.

Erschwerend hinzu kommt, dass Jugendliche zwar Anzeige erstatten können, Sorgeberechtigte diese aber unterschreiben müssen, damit es tatsächlich zu einem Strafantrag kommt. Gerade bei sexueller Gewalt ist es doch wichtig, dass junge Menschen gut begleitet werden. Eine Anzeige allein reicht nicht aus, weil in der Regel ausgesagt werden muss. Es wäre besser, wenn junge Menschen quasi in einem Rutsch begleitet würden und das nicht in Etappen machen müssten.

Ich finde auch, dass es keine Sache der Jugendlichen oder der Kinder sein darf, dafür zu sorgen, dass eine Anzeige erstattet wird, sondern die Erwachsenen müssen an diesem Prozess teilhaben und die nötige Unterstützung gewährleisten. Das geht besser, wenn Menschen persönlich bei der Polizei erscheinen, sich dort öffnen und die Anzeige aufgeben können.

Dennoch ist es wichtig, dass wir über die Frage der Sicherheit junger Menschen im Internet sprechen. Sie haben angesprochen, dass die Medienkompetenz von jungen Menschen gestärkt werden müsse. Ich finde aber: Wir dürfen nicht immer nur von jungen Menschen sprechen, sondern es geht auch um die Medienkompetenz von Erwachsenen.

(Beifall von Tim Achtermeyer [GRÜNE])

Egal, wie medienkompetent man ist, kann es immer passieren, dass es zu Übergriffen kommt. Dann braucht es eine Unterstützung von außen.

Es ärgert mich, immer wieder darüber zu sprechen, dass junge Menschen die Kompetenz erwerben müssen. Die Frage ist doch eigentlich: Wie gehen wir Erwachsenen denn online miteinander um? Wissen wir, was alles passieren kann? Wie reden wir als Eltern bzw. als Erwachsene mit Kindern und Jugendlichen über die Themen „Gewalt“, „Grenzen“, „unser Körper“ und auch „Sexualität“?

Ganz im Ernst: Wenn ich jetzt hier unter uns Kolleginnen und Kollegen fragen würde, wer mir erklären kann, was Cybergrooming ist, dann – ich bin mir relativ sicher – würden nicht so viele von uns aufzeigen, weil einfach Wissen fehlt. Deswegen ist es wichtig, dass Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Pädagoginnen und Pädagogen, also alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, handlungssicher werden, um darüber sprechen zu können und Kindern und Jugendlichen eine Sprache zu geben.

Wir brauchen drei Dinge:

Erstens brauchen wir Schulungen für Erwachsene, damit sie medienkompetent sind und zeigen können, dass Kinder und Jugendliche ohne Kontrolle, aber mit viel Verständnis sicher begleitet werden, und sie über dieses Thema gut ins Gespräch kommen können.

Zweitens brauchen wir eine gute Zusammenarbeit zwischen Polizei, Schule und sozialen Netzwerken, um einerseits Straftaten im Netz schneller zu erkennen und zu ahnden sowie um anderseits Aufklärung zu betreiben und Wissen zu vermitteln.

Drittens brauchen wir – es gibt sie schon – spezialisierte Anlaufstellen mit echten Ansprechpersonen bei der Polizei, an die Jugendliche sich persönlich wenden können. Vielleicht ist für den einen oder anderen ein Online-Formular eine Form, Betroffene anders zu erreichen.

Ich bin gespannt auf die Debatte im Fachausschuss und hoffe, dass wir eine gute Anhörung dazu durchführen werden. Deswegen stimmen wir der Überweisung in den Innenausschuss gerne zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, Christina Schulze Föcking [CDU] und Dr. Christian Untrieser [CDU])