Eileen Woestmann: „Wir brauchen eine höhere Verlässlichkeit in den Einrichtungen der Kindertagesbetreuung“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zur Kinderbetreuung in Kita und OGS

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Kita ist nicht gleich Kita. Darüber sind wir uns sehr einig. Gerade in strukturell benachteiligten Stadtteilen ist die Situation in den Kitas besonders herausfordernd.

Genau das hat eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung in diesem Jahr bestätigt. Sie enthält drei wichtige Erkenntnisse.

Erstens. Es gibt in Kitas in benachteiligten Stadtteilen eine gewisse Segregation. Das bedeutet, dass sich Kinder und Familien mit den gleichen Herausforderungen sammeln und so quasi untereinander bleiben.

Zweitens. Die Gruppen in diesen Kitas sind größer.

Drittens. Der Personalmangel in diesen Kitas ist – auch durch einen erhöhten Krankenstand – höher als in anderen Einrichtungen.

Die Studie spiegelt genau das wider, was auch Rückmeldungen aus der Praxis bei uns ergeben haben. Deshalb hat die Landesregierung entschieden, dass die Familienzentren weiterentwickelt werden. Das Ziel soll sein, dass verschiedene Förderprogramme zusammengeführt werden. Eine Chancengerechtigkeit soll so noch besser wirken können. Das ist deshalb wichtig, weil wir Ungleiches ungleich behandeln müssen.

Wenn Förderprogramme wie für die Sprach-Kitas, die plusKITAs und die Familienzentren an und für sich gut sind, aber nebeneinanderher laufen, entfalten sie nicht die Schlagkraft, der es eigentlich bedarf.

Familienzentren sind Anlaufstellen für alle im Sozialraum. Sie werden nach einem gewissen Sozialindex vergeben. Ich bin dafür, dass wir diesen Sozialindex auch anhand von anderen Merkmalen weiterentwickeln, weil Kitas in strukturell schwierigen Sozialräumen eine andere finanzielle Grundlage brauchen als Kitas, in denen Kinder und Eltern weniger Herausforderungen mit sich bringen.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Frau Kollegin, entschuldigen Sie, wenn ich Sie an dieser Stelle unterbreche. Es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Ott. Würden Sie sie zulassen?

Eileen Woestmann (GRÜNE): Ja.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herr Kollege Ott, bitte schön.

Jochen Ott (SPD): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Was Sie gerade zu den Familienzentren gesagt haben, können wir durchaus teilen. Können Sie uns oder mir aber einmal erläutern, warum bei dem Gutachten, in dem es um die Zukunft der Offenen Ganztagsschule in Nordrhein-Westfalen ging, die Frage nach den Familienzentren überhaupt nicht gestellt wurde? Denn wir haben jetzt teilweise Bereiche, in denen es eine Grundschulleitung, eine OGS-Leitung und am Ende auch noch die Familienzentrumsleitung gibt. Warum haben Sie das beim Konzept des Offenen Ganztags nicht mitgedacht?

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Bitte schön, Frau Kollegin.

Eileen Woestmann (GRÜNE): Die Familienzentren, über die ich gerade sprach, sind die Familienzentren im Bereich der Kitas. Sie haben, wenn ich es richtig verstanden habe, die Familiengrundschulzentren angesprochen.

Es ist absolut richtig, dass wir eine bessere Verzahnung von Familiengrundschulzentren und Familienzentren brauchen. Familienzentren sollten eigentlich Leuchttürme oder besondere Anlaufstellen im Sozialraum nicht nur für Familien, deren Kinder diese Kitas besuchen, sondern für alle Menschen im Sozialraum sein. Dementsprechend sind sie auch Anlaufstellen beispielsweise für Eltern von Schulkindern. Deshalb ist es auf jeden Fall notwendig, dass eine bessere Verzahnung entsteht. OGS muss dabei natürlich mitgedacht werden.

(Beifall von der CDU – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das machen Sie dann irgendwann mal!)

Wir müssen anerkennen, dass dem Personal, das in Einrichtungen arbeitet, die in sozial herausfordernden Stadtteilen liegen, besser Rechnung getragen werden muss. Denn die Herausforderungen in diesen Einrichtungen unterscheiden sich von den Herausforderungen in den Einrichtungen, in denen die Situation von Familien eine andere ist.

Wir sprechen hier immer wieder von Bürokratieabbau. Genau das würde auch bedeuten, dass eine Zusammenführung von Förderprogrammen zu einer besseren Schlagkraft für Chancengerechtigkeit führt.

Wir brauchen aber auch eine bessere bzw. eine gute Durchmischung in den Einrichtungen, damit dort Kinder aus verschiedenen Familien mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenfinden. Dafür bedarf es einer guten kommunalen Jugendhilfeplanung.

Mir ist an dieser Stelle wichtig zu betonen – das darf nicht vergessen werden –, dass Kinder, die zu Hause eine sichere Bindungserfahrung machen und dort einen guten Ort des Aufwachsens haben, eine Betreuungssituation, die nicht dem Optimum entspricht, deutlich besser bewältigen können als Kinder, die zu Hause unsichere Bindungserfahrungen machen. Das bedeutet: Auch hier werden Kinder doppelt benachteiligt.

Kommen wir nun zu den Sprachscreenings. Ich verstehe nicht, wie die SPD hier immer wieder einen Bürokratieabbau fordern kann, aber dann eine Idee präsentiert, die komplexer und vor allem bürokratischer nicht sein könnte.

Ich bin dafür, dass wir die bestehenden Instrumente, die etabliert sind, besser nutzen. Ein großes Potenzial sehe ich hier bei den U-Untersuchungen, weil im Zuge dessen jedes Kind erfasst wird. Wenn eine U-Untersuchung nicht stattfindet, wird das dem Jugendamt gemeldet – das ist in Nordrhein-Westfalen übrigens etwas Besonderes; in anderen Bundesländern ist das nicht der Fall –, das dann darauf reagieren kann.

Was folgt daraus, wenn bei diesen Untersuchungen Entwicklungsdefizite sichtbar werden? Nehmen wir die Untersuchungen in den Praxen zum Thema „Sprache“. Wer einmal eine solche Testsituation mit einem Kind in der Praxis mitgemacht hat, weiß, dass es durchaus sein kann, dass auch ein Kind, das gut spricht, in dieser sterilen Umgebung plötzlich schweigt oder nur kurz antwortet.

(Zuruf von Silvia Gosewinkel [SPD])

Deshalb stellt sich die Frage, wie aussagekräftig diese Sprachscreenings sind. Daher ist es gut, dass wir alltagsintegrierte Sprachfeststellung innerhalb der Kitas haben und in den Einrichtungen die BaSik-Bögen regelmäßig ausgefüllt werden.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Frau Kollegin, entschuldigen Sie, wenn ich Sie noch einmal unterbreche, was bei Ihrem Wortschwall sehr schwierig ist. Es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwischenfrage. Würden Sie auch diese Zwischenfrage des Kollegen Maelzer zulassen?

Eileen Woestmann (GRÜNE): Selbstverständlich.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Danke sehr. – Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Sie haben eben über das Thema „Bürokratie“ und darüber gesprochen, was ein zusätzliches Screening, also eine zusätzliche Erhebung von individuellen Daten, für ein Kind bedeuten würde. Gilt das eigentlich nur, wenn die SPD eine solche Forderung aufstellt? Oder haben Sie uns gerade erklärt, dass die Ideen des Screenings, wie sie Frau Feller vorangetrieben hat, abgeräumt sind und mit Ihrer Regierung nicht weiterverfolgt werden?

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Bitte schön, Frau Kollegin.

Eileen Woestmann (GRÜNE): Fakt ist, dass wir das Screening besser verzahnen müssen. Es hilft nicht, weitere Screenings aufzustellen, wenn damit dann nicht das gemacht wird, was am Ende dabei herauskommen muss.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Gut, dass Frau Feller jetzt nicht da ist!)

Wir brauchen eine bessere Verzahnung von bestehenden Angeboten, damit wir für die Kinder am Ende etwas nach vorne herausarbeiten können.

(Jochen Ott [SPD]: Das nennt man „geräuschlos regieren“!)

Der Vorteil von Sprachtestungen in den Kitas ist, dass sie alltagsintegriert stattfinden. Es ist aber für die Erzieherinnen und Erzieher auch viel Arbeit. Was danach passiert, hängt sehr stark damit zusammen, was Eltern leisten können und wie sich Eltern im System auskennen und sich dort bewegen. Deswegen bin ich für eine bessere Verzahnung der verschiedenen Akteure. Dazu gehören Kitas und Schulen, aber auch Kinderärzte, Jugendhilfe usw.

Die Lösung müsste eine qualifizierte Weiterleitung sein. Was ist eine qualifizierte Weiterleitung? Es geht darum, dass Menschen nicht nur eine Broschüre in die Hand gedrückt bekommen mit der Aufforderung, sich dort zu melden und einen Termin zu vereinbaren, sondern dass ein Termin gemeinsam ausgemacht oder auch begleitet wird. Dafür gibt es in vielen, aber leider nicht in allen Einrichtungen zum Beispiel sogenannte Gesundheitslotsen.

Das Problem ist, dass Kinderärzte diese qualifizierte Überleitung, also das gemeinsame Vereinbaren eines Termins, nicht abrechnen können. Das heißt, dass sie das im Ehrenamt machen. Das ist eine große Herausforderung; denn wir alle wissen, wie schwierig Situationen in Kinderarztpraxen sind.

Auch hier ist der Fachkräftemangel in allen Bereichen eine große Herausforderung. Das müssen wir in der Situation, in der wir gerade sind, anerkennen.

Bei der Frage der Verlässlichkeit in Kindertageseinrichtungen sind wir uns absolut einig: Wir brauchen eine höhere Verlässlichkeit in den Einrichtungen der Kindertagesbetreuung. Das oberste Ziel der Landesregierung und der Koalition ist genau das, nämlich Verlässlichkeit zu schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen wird auch mit Hochdruck an Maßnahmen zur Stabilisierung der Verlässlichkeit gearbeitet. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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