Eileen Woestmann: „Wenn wir eines in den letzten Wochen, Monaten und vielleicht auch Jahren gelernt haben, dann ist es, dass es einfache Lösungen nicht gibt“

Zum Haushaltsplan 2024 - zweite Lesung, Einzelplan Familie, Kinder und Jugend u.a.

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es ist immer einfach, über das zu sprechen, was nicht läuft. Derzeit gibt es in der Tat viele Herausforderungen. Es knirscht in unserem System an vielen Ecken und Enden. Die Liste der Problemlagen, Hürden und Unsicherheiten ist lang.

Wir haben viel zu tun, und Veränderung braucht Zeit. Wenn wir eines in den letzten Wochen, Monaten und vielleicht auch Jahren gelernt haben, dann ist es, dass es einfache Lösungen nicht gibt – weder von der Regierung noch von der Opposition, weder im Bund noch im Land oder in den Kommunen. Wir müssen hart verhandeln und um gute Lösungen ringen. Das kann man mühsam finden. Die Ergebnisse sind sehr häufig aber gute und wichtige Errungenschaften. Zu diesen Errungenschaften zählt auch das Setzen von Prioritäten.

Genau deshalb ist es gelungen, dass in diesem Haushalt für Kinder und Jugendliche Prioritäten gesetzt werden. Das kann man als nicht ausreichend kritisieren. Fakt ist aber, dass es diesen Schwerpunkt gibt. Das zeigt sich unter anderem in der frühkindlichen Bindung an den wichtigen Programmen Sprach-Kitas und Alltagshelfer*innen, die nicht nur für 2024 verlängert werden konnten, sondern auch bis zum Ende der Wahlperiode verstetigt werden.

Die Situation in den Kitas ist aktuell sehr angespannt. Erzieherinnen und Erzieher, Eltern, aber auch die Kinder spüren die Auswirkungen des Fachkräftemangels in einer Deutlichkeit, bei der lange ignoriert wurde, dass sie kommen wird. Die Vorhersagen waren sehr eindeutig. Wären diese Vorhersagen ernst genommen worden und Maßnahmen ergriffen worden, ständen wir jetzt anders da.

Wir können die Vergangenheit allerdings nicht ändern. Wir können nur die Gegenwart gestalten und Weichen für die Zukunft stellen.

Erzieherinnen und Erzieher leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft. Sie bilden, betreuen und erziehen unsere Kleinsten. Durch die Alltagshelfer*innen können sie von Aufgaben entlastet werden, die nicht zur pädagogischen Kernaufgabe gehören.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Dadurch entsteht mehr Raum, um am Kind zu arbeiten.

In Zukunft können diese Alltagshelfer*innen neben den bisherigen Aufgaben auch einfache Verwaltungstätigkeiten übernehmen. Das ist ein wichtiges Signal.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wenn wir über frühkindliche Bildung sprechen, sprechen wir immer auch über Chancengerechtigkeit. In der Kita werden die diesbezüglichen Weichen gestellt. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder, die bereits in frühen Jahren Nachteile in ihrer Entwicklung erfahren, möglichst früh entsprechende Förderungen bekommen – sei es in motorischen oder emotionalen Bereichen, aber auch bei der Sprache. Genau dort setzen die Sprach-Kitas an und leisten einen wichtigen Beitrag.

Damit die Arbeit von Erzieherinnen attraktiver wird, ist eine gute Bezahlung unerlässlich. Dass bei den Tarifverhandlungen hohe Abschlüsse erzielt worden sind, ist absolut begrüßens- und vor allem auch unterstützenswert. Uns als Land ist völlig klar, dass das für die Träger hohe Kosten bedeutet, die nur schwer zu stemmen sind. Deshalb war die Überbrückungsfinanzierung gerade mir ein so wichtiges Anliegen.

Wir nehmen unseren Teil der Verantwortung in der Verantwortungsgemeinschaft mit den Trägern und Kommunen ernst. Es war ein Kraftakt. Ich bin vor allem Ministerin Josefine Paul und auch dem Ministerium für ihre Ausdauer sehr dankbar. Am Ende ist es nämlich gelungen, 100 Millionen Euro im Haushalt 2024 bereitzustellen, mit denen die freien Träger unterstützt werden können, um diese Tarifkostensteigerung abzufedern.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir debattieren immer wieder über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In Anbetracht der gesellschaftlichen Wahrnehmung könnte man den Eindruck gewinnen, dass es dabei vor allem darum geht, dass wir 100 % Kita-Plätze haben und die Vereinbarkeit dann kein Problem mehr ist. Alle Menschen, die Kinder begleiten, können darüber nur müde lächeln, weil sie wissen, dass es so einfach nicht ist. Kinder großzuziehen, Vereinbarkeit zu leben – dazu gehört neben der Betreuung noch ganz viel mehr. Natürlich ist die Betreuung dabei zentral. Sie darf aber eben auch nicht isoliert betrachtet werden.

Ein super wichtiger Aspekt ist die paritätische Verteilung von Care-Arbeit. Deswegen freue ich mich sehr, dass im Haushalt 2024 auch die Väterarbeit explizit gefördert werden soll.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Vor einer ganz besonderen Herausforderung stehen Alleinerziehende. Es macht mich immer noch sehr stolz und glücklich, dass es seit diesem Jahr die Landesfachstelle für Alleinerziehende in NRW gibt, die Fachkräfte bei der Beratung von Alleinerziehenden in den Kommunen unterstützt.

Die Auftaktveranstaltung hat gezeigt, dass dort super motivierte Menschen tätig sind, die für Alleinerziehende und ihre Belange brennen und sich mit Motivation und Engagement in die Arbeit stürzen. Es wurde aber auch deutlich, dass der Bedarf an Vernetzung und Beratung enorm ist. Deshalb freut es mich besonders, dass wir als schwarz-grüne Koalition einen gemeinsamen Änderungsantrag einbringen konnten, damit die Landesfachstelle mit einer weiteren Stelle unterstützt wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Familien in Nordrhein-Westfalen sind vielfältig. Das ist gut und wichtig. Die Familienverbände in Nordrhein-Westfalen bilden genau diese Vielfalt ab und leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass sich Familien gesehen und wertgeschätzt fühlen und dass es Ansprechpersonen für Belange von Regenbogenfamilien, Familien mit Adoptiv- und Pflegekindern und Familien, deren Kinder bilingual aufwachsen, sowie viele weitere Aspekte von Familie gibt. Mit unserem schwarz-grünen Änderungsantrag sichern wir auch diese wichtige Arbeit für 2024 ab.

Junge Menschen sind mit vielen verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Noch letzte Woche wurde die Studie der Landesregierung „Einsamkeit unter Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen nach der Pandemie“ vorgestellt. Einsamkeit ist eine Realität in unserer Gesellschaft, aber vor allem auch bei jungen Menschen. Die Kinder- und Jugendarbeit, die verbandliche Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit können einen Beitrag dazu leisten, dass junge Menschen sich weniger einsam fühlen und auch weniger einsam sind.

Insbesondere durch den neuen Förderbereich „Gesundheit, Resilienz, Bewegungsförderung“ im Kinder- und Jugendförderplan können Angebote mit diesem Schwerpunkt gefördert werden. Durch die Dynamisierung werden nächstes Jahr weitere 5 Millionen Euro on top in den Kinder- und Jugendförderplan fließen.

Zum Schluss möchte ich noch auf einen Aspekt im Haushalt eingehen, der mir ganz persönlich am Herzen liegt: den Schutz von Kindern und Jugendlichen. NRW ist hier im Ländervergleich führend.

Das Aufdecken von jahrzehntelangem Missbrauch auf einem Campingplatz in Lügde hat uns alle wachgerüttelt. Das Thema „sexuelle Gewalt“ ist sehr präsent, und das ist gut. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass dies nur ein Aspekt von Gewalt gegen Kinder ist.

Durch aktives Hinschauen können wir verhindern, dass Kinder und Jugendliche zu Opfern werden, und dafür sorgen, dass Täterinnen und Täter keinen Platz haben.

Körperliche und psychische Gewalt ist für viele Kinder in Nordrhein-Westfalen Realität. Deswegen braucht es eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen. Dazu gehören unter anderem die eingerichtete Stelle für Qualitätssicherung und die Schaffung sowie der Betrieb von Ombudsstellen.

Darüber hinaus werden wir die Stelle eines bzw. einer unabhängigen Beauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte etablieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dadurch schaffen wir nicht nur mehr Sichtbarkeit für dieses Thema, sondern installieren damit auch eine zentrale Anlauf- und Informationsstelle, die proaktiv zu dem Thema arbeitet und weitere Verbesserungen und vor allem Vernetzung vorantreibt.

Und weil es am Ende auf jeden Einzelnen von uns im Einsatz für eine gewaltfreie Kindheit ankommt, schaffen wir zusätzlich eine Professur für Kinderschutz und Kinderrechte. Durch Forschung und Lehre sowie den wissenschaftlichen Austausch über Kinderschutzthemen über verschiedene Professuren hinweg wird das Thema in NRW weiter intensiviert.

Denn nur Fachkräfte, die handlungssicher sind, können Kinderschutz leben und vor allem auch handlungsleitend für ihr Umfeld sein. Handlungsleitend im Umfeld zu sein bedeutet, dass andere Menschen sich daran orientieren können, sich festhalten können und Unsicherheiten überwinden können. Im Kampf gegen Gewalt gegen Kinder spielen pädagogische Fachkräfte, Ärztinnen, Polizistinnen, Richterinnen und viele Weitere eine zentrale Rolle. Genau diese Fachkräfte müssen sich im Umgang mit dem Thema sicher fühlen.

Trotz der Priorität auf frühkindliche Bildung musste aufgrund der angespannten Finanzlage auch im Einzelplan 07 gespart werden. Es ist wenig überraschend, dass ich als Familienpolitikerin jeden Cent, der in unserem Haushaltsplan gespart werden muss, als bitter empfinde.

Man kann jetzt auch anfangen, das eine gegen das andere auszuspielen. Aber das bringt uns in der Gesamtheit nicht weiter. Für eine Zeit, in der wir von Herausforderungen und Krisen, von Belastung und Anspannung und vor allem auch von Sparhaushalten sprechen, ist der Einzelplan 07 solide aufgestellt und setzt richtige Prioritäten, nämlich auf Kinder, Jugendliche und ihre Familien in Nordrhein-Westfalen. Deswegen stimmen wir dem Entwurf gerne zu.

Zu dem Gesetzentwurf der FDP zur Änderung des KiBiz freuen wir uns auf eine konstruktive Debatte im Fachausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)