Eileen Woestmann: „Unsere Kinder haben das Recht auf Bildung – und Bindung“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zum Fachkräftemangel

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Manchmal ist ein Blick in die sozialen Netzwerke sehr erhellend, denn dort wird deutlich, was die FDP eigentlich möchte. Sie stellt dort die These auf, dass es keine Fachkraft brauche, um Schuhe zuzubinden. Ich erkläre Ihnen gerne, warum ich das anders sehe und diese Form der Debatte schwierig und fragwürdig finde.

Erziehung bedeutet Beziehung, und die entsteht dann, wenn Menschen miteinander in Kontakt treten. Dazu gehört gerade im Kindergarten auch das Kümmern, das Versorgen, das Zeigen: Ich bin für dich da. – Das passiert beim Jacke zumachen, beim Vorlesen, beim Toben, bei anderen Angeboten. Und ja, dass passiert auch beim Schuhe zubinden.

Wenn Sie, lieber Herr Hafke, auf Social Media meinen, dass dafür keine Fachkraft nötig sei, dann könnten Sie eigentlich auch sagen: Wir brauchen gar keine Fachkräfte mehr. Das bisschen Klatschen, Basteln, Vorlesen und Schuhe zubinden, kann eigentlich jede und jeder. Alle Männer und Frauen rein in die Kitas und gut ist. Hauptsache die Kinder sind verwahrt, damit die Eltern arbeiten können. – Das ist nicht mein Anspruch an frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung.

(Beifall von den GRÜNEN und Fabian Schrumpf [CDU])

Dass die SPD Anträge zur aktuellen Situation in den Kitas stellt, kann ich absolut nachvollziehen. Dass jetzt aber so ein Katalog auch von der FDP kommt, die ja bekanntermaßen in den vergangenen fünf Jahren die Verantwortung dafür hatte, finde ich schon sehr spannend. Warum haben Sie diese Ideen, die Ihnen ja wahrscheinlich nicht erst in der vergangenen Woche eingefallen sind, nicht wenigstens ansatzweise umgesetzt?

(Marcel Hafke [FDP]: Corona!)

– Daran ändert auch eine Coronapandemie nichts. – Offenbar hat es erst eine grüne Ministerin gebraucht, um diesen wichtigen Bereich für sich zu entdecken.

Beziehung bedeutet, aushalten zu können; bedeutet, zu spüren, was eigentlich gerade hinter dem Wutanfall steckt; bedeutet, einen systemischen Blick auf das Kind zu richten und einordnen zu können, was das Kind eigentlich gerade braucht. Genau das sind originäre Aufgaben von Erzieherinnen und Erziehern. Genau dafür werden sie ausgebildet, und genau deshalb ist die Ausbildung zur pädagogischen Fachkraft so wichtig und vor allem so wertvoll. Wir lesen immer wieder, dass die Bedarfe der Kinder steigen und die Kinder mehr pädagogische Aufmerksamkeit brauchen. Genau dafür brauchen wir qualifizierte Fachkräfte. Wenn wir wollen, dass weiterhin Menschen diesen Beruf ergreifen, dann dürfen wir die Ansprüche an die Qualität nicht absenken.

(Marcel Hafke [FDP]: Was genau wollen die Grünen jetzt machen?)

Dann müssen sich unsere Sprache und unsere Wertschätzung ändern.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Warum sollten junge Menschen einen Beruf ergreifen, der keine Wertschätzung bekommt?

(Marcel Hafke [FDP]: Was machen die Grünen denn jetzt?)

Ja, wir haben Fachkräftemangel; und ja, es brennt. Ich möchte das überhaupt nicht schönreden, aber es brennt eben nicht erst seit Kurzem, sondern schon sehr lange.

(Marcel Hafke [FDP]: Aber was machen die Grünen jetzt?)

Ein System, das über Jahre vernachlässigt wurde, reparieren wir nicht mal eben so.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen mehr Fachkräfte. Viele der Punkte aus Ihrem Antrag haben wir bereits mit unserem Fachkräfteantrag in das Januarplenum eingebracht.

(Lachen von Marcel Hafke [FDP])

Es muss klar sein, dass wir nicht einfach mal eben mehr Fachkräfte backen können.

Die Anerkennung von Abschlüssen von ausländischen Fachkräften ist in diesem Bereich eine Möglichkeit – da haben Sie absolut recht –, schneller handeln zu können.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Ja, da müssen wir auch noch schneller werden. Das ist überhaupt keine Frage. Ja, es braucht einen geordneten Quereinstieg mit Fokus auf Möglichkeiten der Nachqualifizierung.

(Marcel Hafke [FDP]: Ach, jetzt, ja?)

Denn ja, wir brauchen jetzt mehr Menschen im System. Und ja, es gibt Menschen, die hervorragend in Kitas passen, auch wenn sie keine pädagogische Ausbildung haben.

In vielen Kitas wird bereits mit multiprofessionellen Teams gearbeitet. Hier werden gute Erfahrungen gemacht. Aber auch das steht schon in unserem schwarz-grünen Antrag.

Das Wichtigste in der Frage der Fachkräfte ist aber, dass wir unsere Bemühungen auch auf die bereits bestehenden Fachkräfte konzentrieren. Wir müssen die Menschen, die schon im System arbeiten und über Wissen und Erfahrung verfügen, halten. Wir müssen dafür sorgen, dass sie entlastet werden.

Das passiert durch Kita-Helferinnen. Genau deswegen war es uns so wichtig, diese Möglichkeit bereits bis Ende dieses Jahres verlängert zu haben.

Daran schließt sich auch die Frage an, wer eigentlich in den Kitas arbeiten soll, kann und darf. Ich sage es jetzt noch einmal: „Alle Männer und Frauen rein in die Kitas“ kann nicht die Lösung sein. Wie ich aus meinen vielen Gesprächen mit Praktikerinnen, mit Erzieherinnen, mit Leitungskräften und mit Eltern weiß, ist schon jetzt die Sorge da, dass die Qualität sinkt und damit noch mehr Fachkräfte das System verlassen und die Kinder nur noch verwahrt werden.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Das darf nicht passieren. Ich möchte hier ausdrücklich auch einmal die Perspektive der Kinder einnehmen. Gerade die ersten Lebensjahre sind entscheidend für das weitere Leben. Unsere Kinder haben das Recht auf Bildung. Aber vor allem haben sie auch ein Recht auf Bindung. Bindung entsteht, wenn Bezugspersonen verlässlich vor Ort sind und wissen, auf welchen pädagogischen Grundlagen sie arbeiten und was es braucht, damit Kinder sich gut binden können. Bildung im frühkindlichen Bereich kann nämlich nur gelingen, wenn eine Bindung entsteht. Genau dafür brauchen wir motivierte Menschen in den pädagogischen Einrichtungen.

Die Landesregierung ist auf einem guten Weg. Seit die schwarz-grüne Koalition ihre Arbeit aufgenommen hat, hat der Fachkräftemangel höchste Priorität. Es gibt die Koordinierungsstelle Fachkräfteoffensive. Es gibt die Verlängerung der Kita-Helferinnen. Es gibt die Sprach-Kitas, das Sofortprogramm Kita und das geplante Monitoring. Weitere Maßnahmen werden folgen.

Ich freue mich auf die Diskussion im Fachausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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