Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“
Mit diesem Zitat von Ludwig Wittgenstein beginnt unser Antrag, und ich finde ihn wirklich zentral.
Warum? Sprache bedeutet, sich ausdrücken zu können, sich mitzuteilen, in Interaktion zu treten und Beziehung zu gestalten. Kinder lernen in ihren ersten Lebensjahren, zu sprechen, und sie dabei begleiten zu dürfen, ist spannend, teilweise herausfordernd, manchmal ein bisschen lustig und immer wieder aufs Neue beeindruckend. Denn Kinder lernen – anders als wir Erwachsene, wenn wir eine neue Sprache lernen – nebenbei im Alltag, durch Nachahmung und Interaktion. Dabei ist klar festzuhalten: Mehrsprachig aufzuwachsen, ist für Kinder ein großes Plus.
In NRW haben wir in den Kitas eine alltagsintegrierte Sprachförderung, und das ist ein wichtiger Baustein der frühkindlichen Bildung. Durch Vorlesen, Singen, Spielen und beim Unterhalten wird die Sprache in den Kitas gefördert.
Aber in den Kitas geht es eben nicht nur um die Förderung, sondern leider auch sehr viel um Dokumentation. Da läuft in Nordrhein-Westfalen einiges parallel. Die BeDo-Studie hat ergeben, dass in einer Kita teilweise vier Verfahren zur Bildungs- und Entwicklungsdokumentation gleichzeitig laufen. Es gibt allein in Nordrhein-Westfalen 44 verschiedene Dokumentationsverfahren, und dabei wird Bildungs- und Entwicklungsdokumentation munter durcheinandergebracht. Es hört sich sehr ähnlich an und wird gern synonym verwendet, es ist aber nicht synonym.
Bei der Bildungsdokumentation geht es zum Beispiel um eine Portfolioarbeit. Es werden die Werke der Kinder in einer Mappe zusammengestellt.
Es werden Fotos festgehalten. Das Ziel soll sein, dass die Kinder mitgestalten und deutlich wird: Das hast du schon geschafft, das hast du hier erlebt. – Es geht um einen ressourcenorientierten Blick auf das Kind.
Bei der Entwicklungsdokumentation ist es anders. Da sprechen wir von einer hochstandardisierten Form der Beobachtung. Es geht um Basic-Bögen beispielsweise. Das ist ein fester Katalog mit 25 Seiten mit Fragen zum Ankreuzen: Spricht das Kind vollständige Sätze? Ja oder nein?
Fakt ist, dass diese sehr unterschiedlichen Verfahren dazu führen, dass es bei den Fachkräften Verunsicherung gibt, weil nicht klar ist, mit welchem Blick gerade auf das Kind geschaut wird. Geht es darum, welche Stärken ein Kind mitbringt, oder wird ein Können oder ein Nichtkönnen diagnostiziert?
Diese Dokumentation frisst viel Zeit. Dabei stellt sich auch die Frage, wofür denn eigentlich dokumentiert wird. Diese Verunsicherung führt dazu, dass tendenziell zu viel erhoben wird und unklar ist, welche Instrumente für was geeignet sind.
Ist es sinnvoll, für alle Kinder die gleiche Entwicklungsdokumentation anzusetzen oder wäre es nicht eigentlich sinnvoller, bei den Kindern genauer hinzuschauen, bei denen Fachkräfte einen besonderen Bedarf, feststellen?
Es lief die BeDo-Studie von 2018 bis 2020, und dann ist sie leider in der Versenkung verschwunden. Es ist gut, wenn diese Punkte, die da herausgearbeitet wurden, jetzt umgesetzt werden. Das Ziel muss sein, dass sich der Dokumentationsaufwand in den Kitas reduziert, dass Verfahren vereinfacht werden, dass Erzieherinnen und Erzieher mehr Zeit am Kind verbringen können und nicht bei der Dokumentation.
Ja, auch der Übergang von Kita zur Schule braucht Optimierung, damit die bestehende Dokumentation nicht einfach unter den Tisch fällt, sondern in Schule weiter damit gearbeitet werden kann. Dennoch braucht es auch für den Erwerb von Sprache weitere Netzwerke, denn allein die Kita soll und kann es nicht auffangen.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Frau Kollegin, entschuldigen Sie, wenn ich Sie an dieser Stelle unterbreche. Es besteht mittlerweile schon der Wunsch nach zwei Zwischenfragen. Als Erstes hat sich Herr Kollege Dr. Maelzer eingedrückt. Würden Sie die Frage zulassen?
Eileen Woestmann (GRÜNE): Ja.
Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben sehr intensiv auf die BeDo-Studie abgehoben. Das ist auch die Grundlage Ihres Antrages. Vielleicht könnten Sie uns erklären, in welchem Zusammenhang die BeDo-Studie eine Komplettabschaffung von Dokumentationen für bestimmte Kinder fordert?
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Bitte schön, Frau Kollegin.
Eileen Woestmann (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Maelzer, für die Frage. Es geht nicht darum, eine Komplettabschaffung von Dokumentationen für einige Kinder zu fordern oder umzusetzen, sondern es geht darum, zu überlegen, für welche Kinder welche Dokumentation Sinn macht.
Ich persönlich würde sagen, dass die Portfolioarbeit für alle Kinder total wichtig ist. Denn da geht es darum zu gucken: Was hast du in der Kita schon erlebt, was hast du schon gelernt?
Ich finde nicht, dass es notwendig ist, dass man für jedes Kind sämtliche Basic-Bögen ausfüllt, bei denen man weiß, dass das Kind altersgemäß entwickelt ist. Da geht Zeit verloren, die die Erzieherinnen und Erzieher besser am Kind mit Förderung, Vorlesen, Singen und Spielen verbringen können, anstatt sich darin verzetteln zu müssen. Die Erzieherinnen und Erzieher machen das nicht, weil sie es lustig finden, sondern weil sie dazu aufgefordert werden. Sie würden die Zeit lieber mit den Kindern verbringen, statt am Schreibtisch Akten ausfüllen zu müssen.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Frau Kollegin, ich hatte es angedeutet: Es besteht der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage von Frau Kollegin Gosewinkel. Lassen Sie die auch zu?
Eileen Woestmann (GRÜNE): Klar.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Bitte schön.
Silvia Gosewinkel (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. Sehr geehrte Frau Woestmann, Sie hatten angesprochen, dass die Dokumentation auch eine Relevanz in der Schule haben soll. Jetzt frage ich mich, vielleicht können Sie mir das erklären: Warum soll in der frühkindlichen Bildung das Beobachtungsverfahren BeDo eingesetzt werden, und parallel – so steht es in Ihrem Antrag – wird aber im Schulministerium ein Sprachscreening, also ein offensichtlich anderes Verfahren, eingeführt, was auch schon für den Vorschulbereich gelten könnte? Erklären Sie mir bitte, warum Sie in einer Landesregierung zwei verschiedene Verfahren einführen.
Eileen Woestmann (GRÜNE): Bei der BeDo-Studie …
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Bitte schön, Frau Kollegin.
Eileen Woestmann (GRÜNE): Entschuldigen Sie bitte.
Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Immer gerne.
Eileen Woestmann (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau Gosewinkel, für die Frage. Es geht bei der BeDo-Studie nicht darum, zu sagen, das Verfahren nach BeDo werde eingeführt, sondern die BeDo-Studie hat untersucht, welche Dokumentationen es in Nordrhein-Westfalen gibt und wie diese eingesetzt werden.
Das Ziel unseres Antrages ist, dass die Erkenntnisse, die aus der BeDo-Studie gewonnen werden, in die Fläche getragen werden und dass anhand von Fachtagungen, Fachkonferenzen – wie immer man das nennen möchte – gemeinsam weiter mit den Praktikerinnen und Praktikern und den Menschen, die die Studie gemacht haben, geguckt wird, welche Verfahren gut sind, welche man in der Fläche weiter einsetzen möchte und welche vereinfacht werden könnten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der Erwerb von Sprache braucht neben Kita natürlich noch weitere Netzwerke. Die Kita allein kann das nicht auffangen. Deswegen ist es wichtig, dass die kommunalen Integrationszentren stärker mit eingebunden werden und die Sprachbildungsnetzwerke enger gespannt werden.
Ich würde mich sehr freuen, wenn unser Antrag große Zustimmung erfahren würde. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)