Eileen Woestmann: „Ganzheitlich, niederschwellig, aber auch ressourcenorientiert“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zur Kindergesundheit

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Zuerst möchte ich einmal festhalten: Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hängt sehr stark vom Elternhaus ab. Die unterschiedlichen Entwicklungen, wie Kinder und Jugendliche mit Gesundheit aufwachsen, beginnen bei Geburt, wenn nicht eigentlich sogar schon im Bauch der Mutter.

Gesund aufzuwachsen bedeutet für Kinder und Jugendliche, dass es sich um eine Kombination handelt – eine Kombination aus gesunder Ernährung, ausreichender Bewegung, liebevoller Zuwendung und einem gesundheitsfördernden Wohnumfeld. Teilweise spielen auch die Gene eine Rolle. Wenn wir den Blick auf Adipositas oder die Frage von psychischer Gesundheit richten, dann sagt zumindest das RKI, dass wir früher ansetzen müssen, nämlich eigentlich schon in der frühen Kindheit, wenn nicht teilweise sogar schon in der Schwangerschaft.

Wenn wir schauen, was in der Schule laut dem SPD-Antrag alles passieren muss, dann muss man sagen: In der Schule passiert schon ganz schön viel. Schule ist aber eben nicht darauf ausgelegt, Kinder zu reparieren. Wichtig ist, dass Schule ein Teil des Netzwerks für Kinder und Jugendliche ist, aber eben nur ein Teil von einem Netzwerk.

Die Idee, immer mehr Menschen einzustellen, ignoriert einen eklatanten Fachkräftemangel, über den wir eigentlich in jedem Plenum mehrfach sprechen.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Genau!)

Dieser Fachkräftemangel ist nicht nur im Bereich des Erziehungswesens, sondern auch im Gesundheitswesen vorhanden.

Das alles heißt nicht, dass ich diese Herausforderungen, vor denen wir im Bereich der Kindergesundheit stehen, wegreden möchte – ganz im Gegenteil. Ich würde gerne auf vier Punkte eingehen.

Erstens. Wir haben gerade im Bereich der Kindergesundheit eine extrem hohe Elternverantwortung. Eltern spielen bei der Gesundheit ihrer Kinder eine zentrale, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle. Da muss man sich auch die Frage stellen: Sind wir als Eltern, als Erwachsene eigentlich gute Vorbilder? Genau deswegen ist es wichtig, dass Eltern gestärkt werden, damit sie ihre Erziehungskompetenzen und ihre Verantwortung übernehmen können.

Ja, es gibt Eltern, die das nicht alleine können. Sie können sich keine Informationen besorgen und sich nichts anlesen, weil sie aus verschiedenen Gründen dazu nicht in der Lage sind, weil sie Multiproblemlagen mitbringen, weil sie vernachlässigt wurden, usw. Genau dafür braucht es Angebote, die es aber gibt.

Es gibt die Elternbildung, es gibt Frühe Hilfen, und es gibt die Erziehungspartnerschaft in der Kita und in der Schule. Wenn zu Hause der Bereich „Ernährung“ aber nicht vorgelebt wird – zum Beispiel wenn den Kindern nicht mitgegeben wird, dass Zucker ungesund ist oder die Teddybärchenwurst vielleicht nicht die beste Entscheidung ist –, dann werden Kinder sich nicht gegen ihre Eltern durchsetzen können.

Zweitens. Wir müssen die Segregation beenden. Die größte Herausforderung für Kinder und Jugendliche bedeutet die immer weiter zunehmende Segregation. Ich meine, dass wir uns alle sehr einig sind, dass diese Segregation beendet werden muss bzw. wir dagegen arbeiten müssen, und da passiert schon eine ganze Menge. Es gibt zum Beispiel den Schulsozialindex und das Startchancen-Programm; dazu wird meine Kollegin Frau Zingsheim-Zobel gleich noch ausführen.

Eigentlich müssen wir aber früher ansetzen, denn wir brauchen auch einen Kita-Sozialindex. Wir müssen anfangen, Ungleiches ungleich zu behandeln und die Bildungsangebote an den Orten zu stärken, an denen die Herausforderungen am größten sind. Genau dafür werden in NRW beispielsweise die Familienzentren weiterentwickelt.

Ein dritter Punkt, auf den ich eingehen möchte, sind die Netzwerke. Ich habe als Sozialpädagogin in genau solchen Stadtteilen gearbeitet, in denen es eine hohe Armutsquote gibt, in denen die Verwahrlosung hoch ist, in denen es Gewalt, Drogen, Prostitution, Menschenhandel und Missbrauch gibt.

Mitten in diesen Stadtteilen gibt es Kinder jeden Alters, jeden Geschlechts, jeder Herkunft. Aber drumherum gibt es ein Netzwerk an Hilfe, und das ist gut. Es ist in der Regel sehr umfangreich. Es gibt das Jugendamt, es gibt Jugendhilfeträger mit ambulanten Angeboten, es gibt Schulen, es gibt Beratungsstellen, es gibt aufsuchende Arbeit, es gibt Tageskliniken, Tafeln usw.

In meiner Wahrnehmung haben wir aber da ehrlicherweise auch ein Problem. Es gibt extrem viele Angebote, und die sind gut. Aber die kooperieren nicht so, wie es eigentlich nötig wäre. Dadurch gehen nicht nur Ressourcen verloren, sondern es fallen auch Menschen durchs Raster. Es wird unübersichtlich, und zwar nicht nur für die Menschen, die diese Hilfe eigentlich in Anspruch nehmen sollten, sondern auch für das Helfersystem, was drumherum existiert.

Wenn wir ehrlich sind, können wir nicht so weitermachen wie bisher, weil wir nicht nur einen Fachkräftemangel haben, sondern auch leere Kassen. Deswegen müssen wir das Hilfenetzwerk besser aufstellen und weiterentwickeln: ganzheitlich, niederschwellig, aber auch ressourcenorientiert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Vielen Dank, Frau Kollegin Woestmann. Ich empfehle dringend Salbei.

Eileen Woestmann (GRÜNE): Ich bin noch nicht am Ende.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Sie sind noch gar nicht am Ende? Entschuldigung.

Eileen Woestmann (GRÜNE): Ich würde gerne noch auf den vierten Punkt eingehen, nämlich die Frage: Was passiert politisch? – Auch da muss man feststellen, dass in Nordrhein-Westfalen schon eine ganze Menge passiert. Auch darauf wird meine Kollegin gleich noch mal eingehen. Ich würde gerne nur auf zwei Punkte hinweisen.

In den Bildungsgrundsätzen 1 bis 10 ist eine gute Richtlinie vorgegeben, wie man mit Bewegung, Körper, Gesundheit und Ernährung umgehen kann, und die auch besagt, wie das in der Kita und der Schule umgesetzt werden kann. Es gibt die „Gute gesunde Kita NRW“ und das Modul „Pluspunkt Ernährung“ vom MKJFGFI, vom MAGS und vom MLF, um Prävention gegen Übergewicht von Kindern in den Kitas zu stärken.

Wir können also festhalten: Es passiert schon eine ganze Menge für Kindergesundheit. Netzwerke und Angebote sind vorhanden. Die müssen besser verzahnt werden. Aber aus meiner Perspektive setzt der Antrag zu spät an. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Entschuldigen Sie noch mal, Frau Kollegin, ich hatte Sie schon am Ende gewähnt und mir Sorgen um Ihre Stimme gemacht. Die Salbei-Empfehlung steht aber weiterhin.

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