Eileen Woestmann: „Familien leisten Enormes“

Zum Entwurf der Landesregierung zum Haushaltsgesetz 2023, Einzelplan Kinder und Familie - zweite Lesung

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Haushaltsverhandlungen zu führen, wenn das Geld üppig fließt und finanziell alles möglich ist, das ist keine Kunst. Einen soliden Haushalt dagegen in Zeiten aufzustellen, in denen an allen Ecken und Enden gespart werden muss, das ist eine Herausforderung. Um die Spannung nicht unnötig lange zu strapazieren: Ich finde, der Haushalt im Einzelplan 07 – Kinder und Familien – ist solide und gut gelungen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Familien leisten Enormes. Gerade die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann nur gelingen, wenn Eltern sich auf die Betreuung der Kinder verlassen können. Das war in den vergangenen Jahren aufgrund der Coronapandemie nicht immer der Fall. Auch heute – ich möchte es überhaupt nicht schönreden – ist die Betreuungssituation angespannt. Aber auch wenn wir uns das alle wünschten, wir können uns die fehlenden Fachkräfte nicht backen. Genau deshalb ist es unserer Koalition ein großes Anliegen, die Menschen zu entlasten, die bereits im System sind, und dafür zu sorgen, dass sie auch im System bleiben.

Mit der lückenlosen Fortführung des Alltagshelferinnen-Programms knüpfen wir genau daran an. Erzieherinnen und Erzieher werden von der nichtpädagogischen Arbeit entlastet und haben so mehr Zeit am Kind, denn die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher ist so viel mehr als „nur“ ein bisschen auf die Kinder aufzupassen. Sie begleiten unsere Kinder in den ersten Lebensjahren und legen den Grundstein für das weitere Leben. Sie machen ein Bildungs- und – das ist noch viel wichtiger – ein Bindungsangebot. Das kann nur gelingen, wenn der Fachkraft-Kind-Schlüssel stimmt. Genau deshalb ist es eine so wichtige Aufgabe für die kommenden Jahre, den Beruf der Erzieherin, des Erziehers gesamtgesellschaftlich aufzuwerten und damit attraktiv zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Die Koordinierungsstelle „Fachkräfteoffensive“ im Ministerium ist dafür ein richtiger und wichtiger Ansatz, weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist. Darüber haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten viel gesprochen. Das ist ein Bundesprogramm, dem dann ziemlich überraschend die Finanzierung entzogen wurde und das nun von den Ländern finanziert werden muss.

Ich durfte mir vor einigen Wochen in meinem Wahlkreis eine Sprach-Kita anschauen und war begeistert von der Motivation und dem Engagement der Fachkräfte. Es wurde sehr deutlich, wie sehr diese Menschen für ihre Arbeit, aber vor allem für ihre Kinder brennen. In Sprach-Kitas wird Sprache ganzheitlich gefördert: während des Essens, beim Spielen, auf dem Flur, im Waschraum. Überall werden Anreize geschaffen, miteinander zu sprechen und vor allem Sprache zu entdecken.

Gerade in Kitas, in denen viele Kinder sind, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, wird mit dem Programm ein Grundstein für Bildungs- und Chancengerechtigkeit gelegt. Ja, wir alle hätten uns eine schnellere Lösung gewünscht und gerne auf das Hin und Her zwischen Bund und Land verzichtet. Aber am Ende kommt es darauf an, wie die Lösung aussieht. Deshalb freue ich mich ungemein, dass eine nahtlose Fortführung der Sprach-Kitas im kommenden Jahr möglich ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine weitere wichtige Anlaufstelle für Familien, die kommendes Jahr gestärkt werden soll, sind Familienzentren. Hier laufen verschiedene Hilfsangebote aus den Stadtteilen rund um die Kitas zusammen. Die Hürden für Menschen, sich Hilfe zu holen, ist in bereits vertrauten Räumen deutlich geringer. Dadurch können wir mehr Familien erreichen und so sicherstellen, dass Hilfe wirklich dort ankommt, wo sie gebraucht wird.

Gleiches gilt übrigens für die sogenannten Brückenprojekte, mit denen Familien erreicht werden sollen, die noch keinen Kitaplatz haben. Gerade mit Blick auf die vielen Frauen, die mit kleinen Kindern aus der Ukraine zu uns flüchten, sind diese Brückenprojekte ein wichtiges Angebot, um ein erstes Ankommen und vor allem das Aufbauen eines ersten Netzwerks zu ermöglichen.

Noch ein Satz zu Corona. Auch wenn es manchmal anmuten lässt, Corona ist noch nicht beendet und hat immer noch Auswirkungen auf unseren Alltag. Genau deswegen müssen wir eine vorausschauende Politik betreiben. Damit Erzieherinnen und Erzieher, aber vor allem auch die Kinder gesund bleiben, ist es absolut richtig, dass im Haushalt auch weiter Mittel dafür hinterlegt sind, um den Kindern in der frühkindlichen Bildung ein Testangebot zu unterbreiten.

Familie ist da, wo Kinder sind? Nicht unbedingt. Denn auch in Nordrhein-Westfalen gibt es viele Paare mit einem unerfüllten Kinderwunsch. Das Land Nordrhein-Westfalen bezuschusst bis zu vier Behandlungszyklen im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung. Diese Unterstützung wird fortgeführt.

Gleichzeitig ist aber auch die finanzielle Absicherung der präventiv familienbezogenen Beratungsinfrastruktur ein wichtiges Anliegen. Frauen, aber auch Paare müssen die flächendeckende Möglichkeit haben, Schwangerschaftsberatung, aber auch Schwangerschaftskonfliktberatung in Anspruch zu nehmen, denn die Selbstbestimmung über den weiblichen Körper ist ein hohes Gut, das wir leider immer noch verteidigen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ein Thema, das uns wohl alle eint, ist die Frage danach, wie wir sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche verhindern können. Dafür wurde das Landeskinderschutzgesetz verabschiedet, das eine wichtige und richtige Grundlage für unser gemeinsames Handeln bildet. Rund 85 Millionen Euro werden für Maßnahmen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, für Fachberatung bei den Landesjugendämtern und für Präventionsangebote in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit eingesetzt.

Wie allgegenwärtig sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist, zeigt eine Statistik von der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, die davon ausgeht, dass pro Schulklasse ein bis zwei Kinder von sexueller Gewalt betroffen sind. So bitter es ist, uns allen muss klar sein, jede und jeder von uns kennt jemanden, der oder die von sexueller Gewalt betroffen ist oder betroffen war. Manchmal ahnen wir etwas, manchmal wissen wir es konkret, aber viel zu oft bleibt diese Form der Gewalt unentdeckt. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Fachkräfte, die mit den Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten, im Bereich „sexualisierte Gewalt“ fortgebildet und qualifiziert sind. Auch dafür sind Mittel im Haushalt eingestellt.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Im Koalitionsvertrag haben wir uns außerdem auf einen gemeinsamen Pakt gegen Kinderarmut verständigt. Alle Kinder in Nordrhein-Westfalen sollen die gleichen Chancen auf Bildung, Teilhabe und ein gutes Leben haben. Dabei ist auch klar, Kinderarmut ist eine ressortübergreifende Aufgabe. Es bedarf eines Netzes vom Bund über die Länder bis zu den Kommunen. „Kinderstark – NRW schafft Chancen“ ist dabei ein wichtiger Baustein, um Kommunen bei dem Aufbau, der Weiterentwicklung und der Koordination von Präventionsketten zu unterstützen.

Ich finde, der Einzelplan 07 zeigt deutlich, dass Kinder und Familien für die Koalition einen hohen Stellenwert haben. Wir führen bewährte Projekte weiter fort. Für SPD und FDP mag das vielleicht ambitionslos klingen.

Aber wenn es in einem Haus brennt, dann versucht man erst, das Feuer zu löschen und nicht eine Generalsanierung durchzuführen.

Mit diesem Einzelplan stabilisieren wir die Grundlage, auf der sich unser Regierungshandeln in den nächsten Jahren stützen wird, für Kinder und Familien in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)