Eileen Woestmann: „Es darf nicht sein, dass einer dafür belohnt wird, zu arbeiten, und eine dafür bestraft wird“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zur Vereinbarung von "Familie und Arbeit"

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich habe den Antrag der SPD gelesen und würde der Ausgangslage total zustimmen. Die Fakten sprechen ganz klar eine Sprache, in der vor allem Frauen die Hauptlast der Care-Arbeit tragen. Frauen stecken beruflich zurück, wenn sie Mütter werden, und die Karrieren der Väter werden durch die Geburt eines Kindes sogar noch positiv gefördert.

Ich würde auch zustimmen, dass wir eine gerechtere Verteilung von unbezahlter Care-Arbeit brauchen und dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemeinsam Lösungen für berufstätige Familien finden müssen.

Aus dem Grund haben wir als grüne Landtagsfraktion im März einen Vereinbarkeitskongress hier im Plenarsaal abgehalten, bei dem wir Wirtschafts- und Familienverbände an einen Tisch geholt und geschaut haben, was wir gemeinsam machen können.

Damit verlassen wir dann den gemeinsamen Weg, liebe SPD. Denn die Forderung, dass im öffentlichen Dienst Veranstaltungen nach Möglichkeit nur vor 17:00 Uhr stattfinden sollen, überrascht mich. Es ist bekannt, dass ich selbst im öffentlichen Dienst gearbeitet habe, und ich kann berichten, dass mir oder anderen Menschen aus der Verwaltung, mit denen ich gesprochen habe, Veranstaltungen nach 17:00 Uhr außerhalb von kommunalpolitischen Sitzungen oder Bürger*innenveranstaltungen quasi nicht begegnet sind. Ich habe in einem Bereich gearbeitet, in dem wir von 8:00 bis 16:00 Uhr Rufbereitschaft hatten und durchgehend besetzt sein mussten, in dem wir viel Klientenkontakt hatten, in dem es spontane Krisen gab und in dem wir eine hohe Kooperationsdichte mit Gerichten, Trägern, Eltern, Polizei usw. hatten.

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, ich muss Sie gerade unterbrechen. Es gibt erneut den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Lassen Sie diese zu?

Eileen Woestmann (GRÜNE): Ja.

Präsident André Kuper: Okay. – Frau Kapteinat.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Erst mal herzlichen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Frau Kollegin. Das macht es ja leichter, wenn man miteinander sprechen möchte.

Wenn Sie sagen, dass Problem existiere de facto überhaupt nicht, dann wäre es ziemlich einfach, diesem Antrag zuzustimmen, weil es dann keine Arbeit mit sich brächte.

Gleichzeitig würde es dem Rechnung tragen, was Sie gerade angemerkt haben, nämlich, dass es ein Problem der Vereinbarkeit ist. Wenn Sie sagen, dass im öffentlichen Dienst keine Veranstaltungen nach 17:00 Uhr stattfinden, dann wäre es doch kein Problem, dem Antrag zuzustimmen, oder?

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Dann ziehen Sie ihn doch zurück! – Matthias Kerkhoff [CDU]: Das ist ein Zirkelschluss!)

Präsident André Kuper: Kollegin Woestmann hat wieder das Wort.

Eileen Woestmann (GRÜNE): Das ist eine sehr interessante Logik, der ich nicht folge. Zu einem Problem, das nicht existiert, muss ich keinen Antrag stellen.

(Beifall und Heiterkeit von den GRÜNEN und der CDU – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Sie behaupten nur, dass es nicht existiert!)

Die Frage der Gestaltung von Arbeitszeit und die Frage, welche Veranstaltungen im öffentlichen Dienst oder im Rahmen von Arbeit für den öffentlichen Dienst stattfinden, müssen natürlich in einem Team geklärt werden.

Bei uns im Team haben die Veranstaltungen alle in der Mittagszeit bzw. in den Vormittagsstunden stattgefunden. Dadurch hat sich die Frage, ob es eine Veranstaltung nach 17:00 Uhr gibt, nicht gestellt.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Und weil Sie persönlich die Erfahrung nicht gemacht haben, gibt es das Problem nicht?)

Wir brauchen uns nicht darüber zu unterhalten, dass sich die Lage für ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen hinsichtlich Vereinbarkeit anders gestaltet. Allerdings sind sie keine Mitarbeiterinnen des öffentlichen Diensts und daher von Ihrem Antrag explizit ausgenommen.

In vielen Bereichen des öffentlichen Diensts gibt es in der Regel eine hohe Flexibilität von Arbeitszeit und ihrer Gestaltung. In allen Gesprächen, die ich in den letzten Wochen und Monaten zu dem Thema bzw. zu der Frage von Vereinbarkeit geführt habe, wurde die Flexibilisierung von Arbeitszeit als sehr wichtige Errungenschaft angesehen.

Während der Coronazeit wurde die Flexibilität gerade im öffentlichen Dienst noch einmal durch flexibler gestaltete Dienstanweisungen, durch ausgeweitete Telearbeit und durch eine digitalisierte Zusammenarbeit im Team erhöht. Auch die Möglichkeit verschiedener Teilzeitmodelle ist im öffentlichen Dienst sehr weit verbreitet; der öffentliche Dienst hat dabei eindeutig eine Vorreiterrolle inne.

In Ihrem Antrag wird das Thema „Pflege von Angehörigen“ überhaupt nicht behandelt. Auch das ist ein sehr zentraler Aspekt im Zusammenhang mit Vereinbarkeit.

Ich würde einen anderen Weg gehen. Wir brauchen andere Lösungen. Um paritätische Elternschaft zu fördern, muss das antiquierte Ehegattensplitting abgeschafft werden; Frauen müssen aus der Rolle der Zuverdienerin raus.

(Beifall von Gönül Eğlence [GRÜNE])

Es darf nicht sein, dass einer dafür belohnt wird, zu arbeiten, und eine dafür bestraft wird.

Wir brauchen andere Bilder in der Gesellschaft. Wir müssen die in der Gesellschaft bestehenden Bilder aufbrechen und dabei vor allem anerkennen, dass in den westdeutschen Bundesländern noch ein langer Weg aufzuholen ist, während es in den ostdeutschen Bundesländern schon völlig normal ist.

Wir müssen andere Rollenbilder fördern. Dabei helfen zum Beispiel Väternetzwerke sehr explizit, in denen sich Männer austauschen und vernetzen können, in denen sie Vorbild sein und in denen Barrieren abgebaut werden können, damit sie sich trauen, mehr als nur zwei Vätermonate Elternzeit zu nehmen.

Ja, wir müssen auch weiterhin Frauen fördern, und es darf nicht passieren, dass Frauen bei der Anmeldung von Elternzeit gefragt werden, mit wie viel Prozent sie zurückkommen werden, weil 100 % mit Kind ja nicht möglich seien. Führung in Teilzeit muss möglich sein, und zwar sowohl für Männer als auch für Frauen.

Keine Frage: Wir müssen die Awareness für das Thema erhöhen. Dazu gibt es sehr spannende Ansätze, die mir in meinen Gesprächen in der letzten Zeit vorgestellt wurden. Es geht unter anderem um Paten, die in der Abteilung bei dem Thema den Hut aufhaben und es immer wieder einbringen, oder auch um niedrigschwellige Beratungsangebote zwischen Kolleginnen und Kollegen, die dafür explizit weitergebildet werden.

Es gibt noch viel zu tun, um Vereinbarkeit tatsächlich auf den Weg zu bringen. Mein Eindruck aus den Gesprächen, die ich im Sommer vor allem mit großen Wirtschaftsunternehmen geführt habe, ist, dass sich alle auf den Weg gemacht haben, Lösungen für ihr Unternehmen zu suchen und dabei auch gute Lösungen entwickelt haben.

Selbstverständlich gibt es dort auch Forderung an die Politik. Dabei geht es vor allem um die Frage der Flexibilisierung von Arbeitszeit, und es geht natürlich um die Frage einer verlässlichen Kinderbetreuung. Ohne sie funktioniert das ganze Gerüst nicht; das ist überhaupt keine Frage. Es gab auch die eindeutige Forderung nach der Abschaffung des Ehegattensplittings, aber die Forderung, dass keine Veranstaltungen mehr nach 17:00 Uhr stattfinden dürfen, ist mir nicht begegnet. Wir lehnen den Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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