Eileen Woestmann: „Ein geordneter Quereinstieg muss möglich sein, aber er darf nicht zulasten der Qualität gehen“

Zu den Anträgen der Fraktionen von CDU und GRÜNEN im Landtag zur Fachkräfteoffensive in den Sozialberufen

Portrait Eileen Woestmann

Der Antrag „Fachkräftemangel in den Kindertageseinrichtungen mit einer Fachkräfteoffensive be­gegnen“

Der Antrag „Fachkräftemangel im Allgemeinen Sozialen Dienst und der Jugendhilfe mit einer Fachkräfteoffensive begegnen“

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Jeden zweiten Tag wird in Deutschland ein Kind Opfer eines tödlichen Gewaltdelikts – jeden zweiten Tag! Wann immer ein solcher Fall durch die Presse geht, bei dem Kinder durch ihre Eltern zu Schaden kommen, wird sofort ein Versagen des Jugendamts ausgerufen. Hinzu kommen die vielen Fälle psychisch, physisch und sexualisiert misshandelter Kinder.

In den Jugendämtern in NRW brennt es, und zwar nicht erst seit Kurzem. Die Gründe dafür sind vielfältig. Natürlich macht es einen Unterschied, wie viele Familien von einer Mitarbeiterin bzw. einem Mitarbeiter im Jugendamt betreut werden. Natürlich macht es einen Unterschied, wie viele Stellen vakant sind und wie schnell eine Nachbesetzung erfolgen kann. Natürlich kann das Jugendamt seine Pflicht, das Wohl des Kindes sicherzustellen, nur erfüllen, wenn es genug Träger gibt, die tatsächlich Hilfe anbieten können.

Wenn man für ein Kind, das eigentlich dringend aus dem Zuhause raus muss, sechs Monate lang nach einem Platz in einer Wohngruppe suchen muss, wenn Familien zu lange auf eine sozialpädagogische Familienhilfe warten müssen, um an ihrer Erziehungskompetenz zu arbeiten, oder wenn kleine Kinder nicht in Obhut genommen werden können, weil es schlicht keine Pflegefamilien gibt, dann haben wir ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Das Versprechen auf ein gewaltfreies Aufwachsen geben wir, die Erwachsenen. Dieses Versprechen geben wir alle, die wir hier sind, unseren Kindern und Jugendlichen in diesem Land. Dazu gehört auch die Zusicherung, dass es frühkindliche Bildungsangebote und außerfamiliäre Erfahrungsmöglichkeiten gibt.

Aber auch hier ist der Fachkräftemangel deutlich spürbar. Eltern von Kita-Kindern kommen an ihre Grenzen, wenn eine verlässliche Betreuung nicht sichergestellt ist und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wackelt. Hier kommen auch Kinder an ihre Grenzen, wenn sie von ständig wechselnden Erzieherinnen und Erziehern betreut werden und wenn nicht mehr Bildung und Bindung im Vordergrund stehen, sondern vor allem die Betreuung.

Die frühkindliche Bildung in den ersten Lebensjahren ist so entscheidend für alles, was im Leben noch kommt. Dabei nehmen gerade die Kinder Schaden, für die wir am meisten einstehen müssen; diejenigen, die aus Familien kommen, in denen sie nicht ausreichend gefördert werden, in denen sie kein sicheres Zuhause erfahren. Diese Kinder brauchen unseren Schutz und unsere Unterstützung.

Damit schließt sich der Kreis. In unseren Anträgen haben wir für verschiedene sozialpädagogische Arbeitsfelder Lösungsstrategien entwickelt, um dem bestehenden Fachkräftemangel zu begegnen. Wir sprechen hier von Fachkräften, die für junge Menschen in unserer Gesellschaft Verantwortung übernehmen und teilweise über den weiteren Lebensweg mitentscheiden.

Eine gute und qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung, gut funktionierende Jugendämter, passgenaue Angebote in der Jugendhilfe – all das steht und fällt mit gut ausgebildetem und vor allem ausreichendem Personal. Zwar hätten wir alle gerne eine schnelle Lösung, aber es gibt sie nicht. Ausbildungskapazitäten erhöhen, Quereinstieg ermöglichen, Wertschätzung für die Berufe sichtbar machen, multiprofessionelle Teams bilden: Die Liste der Aufgaben, die vor uns liegen, ist lang.

Wir müssen Menschen empowern, sich für diese Aufgaben bereit zu fühlen. Dazu gehören eine Grundlagen schaffende Ausbildung, ein Team, in dem es eine Fehlerkultur gibt und in dem man offen über Herausforderungen sprechen kann, eine Leitung, die gerade mit Blick auf verschiedene Professionen eine exponierte Rolle einnehmen muss und kann. Ein geordneter Quereinstieg muss möglich sein, aber er darf nicht zulasten der Qualität gehen.

Wir müssen auch anerkennen, dass die Belastung in diesen Berufen hoch ist. Supervision & Co. sind nicht nice to have, sondern das gehört dazu, um die Arbeit weiterhin gesund ausführen zu können.

Wir sprechen hier von Berufen, die höchst verantwortungsvoll, bereichernd und abwechslungsreich sind. Genau so muss es aber auch von der Gesellschaft gesehen werden. Wenn ich von meiner Arbeit als Sozialpädagogin spreche, dann wird mir immer wieder Respekt für die Arbeit ausgesprochen. „Ich könnte das nicht“, höre ich im Privaten oft. Umso mehr gibt es Grund, diese Berufe aufzuwerten, ihre gesellschaftliche Relevanz deutlich zu machen und dafür zu sorgen, dass Menschen, die einen sozialpädagogischen Beruf ergreifen wollen, nicht mitleidig angesehen werden.

Genau in diese Richtung weisen unsere Anträge. Wir wollen Fachkräfte in den Berufen halten und neue hinzugewinnen. Dafür wollen wir gute Arbeitsbedingungen schaffen. Ich freue mich auf eine konstruktive Beratung in den Fachausschüssen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Ich dachte, wir wollten direkt abstimmen! – Marcel Hafke [FDP]: Wir wollten doch direkt abstimmen! – Wolfgang Jörg [SPD]: Wir könnten ja trotzdem mal drüber reden!)