Eileen Woestmann: „Die Erwartung, dass jetzt Grün repariert, was vorher viele Jahre ignoriert wurde, könnte ja fast eine Ehre sein“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zur Situation in den KiTas

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es ist richtig und wichtig, dass wir immer wieder über die Situation in den Kitas in NRW sprechen. Es ist auch richtig, dass genau diese Situation nicht dem entspricht, was wir uns alle wünschen. An dem Punkt, an dem wir jetzt stehen, stehen wir, weil jahrelang dem System nicht die Aufmerksamkeit zugekommen ist, die eigentlich nötig war.

Da, liebe FDP, tragen auch Sie eine klare Mitverantwortung. Aber das wissen Sie auch. Denn Sie schreiben in Ihrem Antrag ja selbst, die Problemlage sei lange bekannt.

Die Erwartung, dass jetzt Grün repariert, was vorher viele Jahre ignoriert wurde, könnte ja fast eine Ehre sein.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

War die Änderung der Finanzierungssystematik 2019 ausreichend? Wurde das Programm der Alltagshelfer*innen eingeführt und ist dann wieder ausgelaufen? Und was wurde eigentlich aus der geplanten Fachkräfteoffensive 2019?

Ehrlicherweise: Dass Sie alles auf Corona schieben, was unter der FDP im Familienministerium nicht geklappt hat, finde ich ein bisschen schwach. Wir wären sonst an einem anderen Punkt.

Sie fordern ein finanzielles Rettungspaket, um die Kita-Infrastruktur zu sichern. Ich wünschte, es wäre so einfach, dieses Rettungspaket aufzulegen und damit eine Rettung herbeizuführen. Das war ja zumindest die Art und Weise, wie in den letzten Jahren Politik gemacht wurde. Es hat nicht am Geld gefehlt. Aber man hat es schlichtweg verschlafen, notwendige strukturelle Schritte zu gehen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dass sich der Umgang mit Geld ändert, wenn man Verantwortung trägt, kann man bei der Debatte auf Bundesebene zum Thema „Kindergrundsicherung“ klar feststellen. Denn wenn es darum geht, die Wirtschaft abzusichern, dann sind für die FDP mal eben einige Milliarden vorhanden. Wenn es aber darum geht, dass Kinder aus der Armut geholt werden, dann sollen die Eltern doch bitte einfach ein bisschen härter arbeiten; denn mehr Geld soll laut FDP auf keinen Fall bei den Kindern ankommen.

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach gleich zwei Zwischenfragen. Lassen Sie sie zu?

Eileen Woestmann (GRÜNE): Ich würde erst weiter vortragen, und dann.

Präsident André Kuper: Okay. Alles klar.

Eileen Woestmann (GRÜNE): Vielleicht müssen wir in der Politik auch noch einmal über den Unterschied von emotionaler Armut und finanzieller Armut sprechen.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Es gibt Familien, die arm sind und dennoch alles in ihrer Macht Stehende tun, damit es ihren Kindern gut geht, aber an Grenzen stoßen, weil es schlicht an Geld fehlt. Und dann gibt es emotionale Armut, bei der es völlig egal ist, wie viel Geld die Eltern auf dem Konto haben. Doch gerade Kinder, die in einem Elternhaus aufwachsen, wo sie als Kind mit ihren Wünschen und Bedürfnissen egal sind, brauchen gute Beziehungsangebote in Kitas, in der Tagespflege, in Schule und OGS.

Weil das pädagogische Auffangen, das Aushalten, das Begleiten und das Orientierung-Bieten einfach so viel mehr ist als ein bisschen klatschen und Brote schmieren, ist es wichtig, dass in der Einrichtung gut qualifizierte Menschen arbeiten,

(Beifall von den GRÜNEN)

und vor allem, dass die staatliche Anerkennung weiterhin Gewicht hat und Erzieherinnen und Erzieher wissen: Meine Ausbildung hat einen Mehrwert und stärkt mich in meinem pädagogischen Handeln.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Und bezahlt werden wollen die nicht? – Weitere Zurufe von der SPD)

Es gibt auch im Bereich der Pflege einen Mangel. Niemand von uns würde auf die Idee kommen, zu sagen: Das hier ist Luisa. Sie hat schon ganz viele Bücher zum Thema „Blutabnehmen und Geben von Medikamenten“ gelesen und wird sich jetzt um Sie als Patientin kümmern. Die erfahrene Kollegin ist gerade mit einem anderen Patienten beschäftigt. Aber Luisa macht es schon.

Wenn wir weiterhin Menschen für den Beruf der Erzieherin bzw. des Erziehers begeistern wollen, dann müssen wir aufhören, davon zu reden, als könnte jeder und jede ohne Probleme und vor allem ohne Ausbildung in den Kitas arbeiten.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Wer tut das denn außer Ihrer eigenen Landesregierung?)

Ja, dafür braucht es auch Quereinstieg. Dabei muss aber auch die Qualifizierung dieser Menschen im Vordergrund stehen. Genau daran arbeitet das Ministerium. Aber es ist eben auch das Arbeiten in multiprofessionellen Teams, was durch die Ausweitung der Personalverordnung jetzt schon möglich ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wenn man mit anderen Bundesländern über das Thema „Kita“ spricht, wird interessanterweise immer wieder fasziniert beobachtet, wie sehr „Kita“ in NRW ein Landesthema ist. In anderen Bundesländern regeln das vor allem auch die Kommunen. Es geht mir gar nicht darum, das Thema an die Kommunen abzuschieben oder uns aus der Verantwortung zu nehmen.

(Nina Andrieshen [SPD]: Das passiert aber!)

Aber zur Wahrheit gehört: Wir bilden eine Verantwortungsgemeinschaft, und zwar gemeinsam mit den Kommunen und auch mit den Trägern.

(Beifall von den GRÜNEN und Matthias Kerkhoff [CDU])

Es ist zwar vielleicht verlockend – oder auch nicht; das ist wohl Auslegungssache –, alles an sich zu ziehen. Aber am Ende bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung von allen Seiten.

Uns als Koalition ist diese Situation sehr bewusst. Glauben Sie mir: Wenn wir die Herausforderung mal eben lösen könnten, würden wir es tun. Aber so einfach ist es nun mal nicht. Das wissen Sie auch. – Herzlichen Dank. Wir lehnen den Antrag ab.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Es gibt zunächst eine Kurzintervention aus den Reihen der FDP. Bitte sehr, Herr Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, es ist wunderbar, welche Allgemeinplätze Sie hier losgeworden sind, um einfach mal an dem Thema vorbeizureden, über das wir eigentlich diskutieren.

(Beifall von der FDP und der SPD – Nina Andrieshen [SPD]: Ja, genau!)

Ich habe den Eindruck, wir wissen alle, wie gut und wunderbar dieser Beruf ist. Aber wissen Sie was, Frau Kollegin? Die Erzieherinnen und Erzieher wollen am Monatsende auch ihr Geld bekommen. Darüber sprechen wir im Moment, weil ein Drittel der Kitas kurz vor Liquiditätsengpässen steht.

(Nina Andrieshen [SPD]: Ja!)

Die Träger können die Erzieherinnen und Erzieher nicht mehr bezahlen, wenn Sie hier in Zukunft nicht handeln. Da sind die Grünen in der Verantwortung. Sie müssen jetzt etwas tun. Und da gibt es Möglichkeiten, etwas zu tun.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Ich will Ihnen das noch einmal sagen. Es gibt die Möglichkeit, ein Rettungspaket aufzulegen, um Engpässe zu überbrücken. Es ist Sinn und Zweck eines Rettungspaketes, Geld ins System zu geben.

Wir haben außerdem vorgeschlagen, die Dynamisierung vorzuziehen, weil das KiBiz nicht auf diese Krisen – Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflationssteigerung – ausgelegt ist. Sie weigern sich, diese Debatte überhaupt zu führen.

Ich habe aus Ihrer Rede jetzt nicht einen einzigen Lösungsvorschlag herausgehört, mit dem Sie den Trägern sowie den Erzieherinnen und Erziehern in diesem Land helfen.

(Christin Siebel [SPD]: Richtig!)

Das ist ein Armutszeugnis, Frau Kollegin.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Deswegen habe ich abschließend den Wunsch, dass Sie hier jetzt endlich mal konkrete Maßnahmen aufzeigen. Was kann man machen, um den Erzieherinnen und Erziehern sowie den Träger in diesem Land zu helfen?

Sie sagen: Wir können nicht so viel Geld aufbringen. Wir haben nicht so viel Personal. – Wir von SPD und FDP haben Ihnen auch in Vorschlägen aufgezeigt, was man machen kann, um in diesen Situationen zu entlasten – nämlich Bürokratie abbauen, Verwaltungskräfte einstellen und Quereinstieg ermöglichen.

Ein Jahr lang darüber zu reden, ist einfach zu wenig. Da müssen Sie jetzt handeln. Das können Sie auf keine Vorgängerregierung schieben, weil es den Ukraine-Krieg damals noch nicht gab. Sie sind jetzt in der Verantwortung, damit umzugehen.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Frau Woestmann, bitte.

Eileen Woestmann (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Hafke, die Situation ist komplex. Das wissen Sie auch. Es ist nicht möglich, mal eben ein Rettungspaket auf die Beine zu stellen.

(Marc Lürbke [FDP]: Natürlich ist es das! – Marcel Hafke [FDP]: Das hat bei der Vorgängerregierung auch geklappt! In zwei Monaten! – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Wir arbeiten an konkreten Lösungen. Wenn Sie konkrete Vorschläge haben, machen Sie gerne Deckungsvorschläge und sagen, wo wir das Geld hernehmen. Dann können wir gerne weiter darüber sprechen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Jetzt kommt die Kurzintervention Nummer zwei von Herrn Müller von der SPD. Sie haben das Wort.

Frank Müller (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe gar nicht damit gerechnet und wusste nicht, dass zwei Kurzinterventionen zulässig sind. – Die Reden der Koalitionsfraktionen müssen in den Ohren der Erzieherinnen und Erzieher sowie der Kita-Träger wirklich zynisch geklungen haben, weil Sie tatsächlich überhaupt nicht auf die akute Situation eingehen, die auch mit den strukturellen Problemen des KiBiz – Kollege Hafke hat zu Recht darauf hingewiesen – gar nichts zu tun hat.

Es sind die aktuellen Entwicklungen, die Preisentwicklung und die Kostenentwicklung mit Kostensteigerungen von weit über 13 %, die jetzt wirklich nicht mehr aufgefangen werden können. Sie wischen das einfach weg und sagen: Das ist jetzt alles nicht so einfach. Dann gucken wir mal. Wir warten auf die Ergebnisse der Evaluierung, die zum 31. Dezember dieses Jahres vorgestellt werden. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen: Das ist zu spät.

Machen wir es doch einmal konkret, Frau Woestmann. In meinem Wahlkreis schließen zwei Kitas zum 31. Dezember 2023, weil die Einrichtungen unter diesen Bedingungen nicht mehr finanzierbar sind. Was sagen Sie denen eigentlich nach dieser Debatte? Tut mir leid? Alles nicht so einfach?

(Beifall von der SPD und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Bitte, Frau Kollegin.

Eileen Woestmann (GRÜNE): Es geht mir nicht darum, Erzieherinnen und Erziehern zu sagen: „Es ist nicht so einfach, und deswegen machen wir nichts“, sondern es geht mir um das Thema. Es gehört auch Ehrlichkeit in der Politik dazu, zu sagen: Es ist nicht so einfach, und wir suchen eine Lösung.

Wir arbeiten seit sehr, sehr vielen Wochen daran. Ja, das dauert lange. Aber ich glaube, es ist besser, dass es lange dauert und eine gute Lösung gibt, als dass es schnell geht und dann keine gefunden wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Da klatscht noch nicht mal der Koalitionspartner! – Zuruf von Elisabeth Müller-Witt [SPD])

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