Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! 24 – mit dieser Zahl würde ich gerne starten. Statistisch gesehen hat jeder bzw. jede siebte bis achte Erwachsene in seiner oder ihrer Kindheit Missbrauch erlebt. Rechnen wir das auf die 195 Abgeordneten – unsere Kolleginnen und Kollegen – herunter, dann bedeutet es, dass 24 unserer Kolleginnen und Kollegen statistisch gesehen Missbrauch erlebt haben.
Sexueller Missbrauch sowie sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sind eine bittere Realität. Das wissen wir. Die Zahlen belegen das sehr deutlich. Immer mehr Taten kommen ans Licht. Das Dunkelfeld wird erhellt, und dennoch bleibt immer noch ein Dunkelfeld. Wir wissen nicht, wie viele Kinder und Jugendliche tatsächlich betroffen sind.
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche passiert bei den anderen, aber nicht in meinem privaten Umfeld, in meinem Nahfeld, bei meinen Freunden, in meinem Verein oder bei mir auf der Arbeit. – Wir alle schieben die Vorstellung weg, dass wir Betroffene kennen. Wir alle schieben auch die Vorstellung weg, dass wir Täterinnen und Täter kennen. Wenn wir davon ausgehen, dass hier statistisch gesehen 24 Opfer sitzen, dann sitzen statistisch gesehen auch Täter unter uns.
Wir lassen dieses Thema nicht an uns heran. Das ist sehr verständlich. Wenn wir aber gegen sexualisierte Gewalt aktiv werden wollen, dann müssen wir anfangen, dafür Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen uns klarmachen, dass es nicht die anderen betrifft, sondern mich persönlich und die Menschen, die mich umgeben. Wir müssen im Privaten hinschauen. Wir dürfen den Gedanken nicht wegschieben. Und wir müssen uns eingestehen, dass diese Grausamkeiten Teil unser aller Realität sind.
Wenn solche Taten passiert sind, jetzt oder auch in der Vergangenheit, dann müssen diese aufgearbeitet werden. Die Aufarbeitung muss schonungslos und gleichzeitig voller Rücksicht passieren: schonungslos gegen die Täterinnen und Täter, gegen die, die weggeschaut haben, die keine Verantwortung übernommen haben und die nicht geschützt haben, sowie gleichzeitig rücksichtsvoll mit denen, die betroffen sind, deren Lebensweg die Gewalt beeinflusst hat und auch weiterhin beeinflusst, die durch jeden neuen Zeitungsbericht über sexualisierte Gewalt immer wieder getriggert werden und deren Wunden aufreißen.
Wir wissen, dass Aufklärung aktuell sehr unterschiedlich aussieht. Die Spitze der katholischen Kirche in Köln bekleckert sich nicht gerade mit Ruhm, was die Aufklärung anbelangt. Das kann man nicht anders sagen, wenn man aus Köln kommt.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Die katholische Kirche ist allerdings nicht die einzige Institution, die sich mit der Aufarbeitung in den eigenen Strukturen schwertut. Es gibt Überforderungen bei Haupt- und bei Ehrenamtlichen, denn das Thema ist groß und nicht mal eben einfach abzuarbeiten. Es braucht eine hohe Handlungskompetenz, um Aufarbeitung zu ermöglichen.
Genau dafür sind wir demokratischen Fraktionen den Weg gemeinsam gegangen und haben diesen Antrag heute eingebracht. Ich bin dafür sehr dankbar, denn wir sind es den Betroffenen schuldig, dass Aufklärung stattfindet, und zwar so, dass die Betroffenen nicht erneut in Misskredit gebracht werden, nicht erneut traumatisiert werden, nicht erneut eine Ohnmachtserfahrung machen und sich nicht erneut nicht gehört fühlen.
Dabei können einheitliche Standards einen entsprechenden Rahmen setzen, um Aufklärung transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Wir übernehmen Verantwortung und setzen eine Kommission ein, die genau diesen Rahmen definiert, die Expertise mitbringt, die Betroffene einbindet und einen breiten Blick hat.
Und natürlich geht es mit dieser Kommission auch darum, die Sensibilität in der Gesellschaft weiter zu steigern. Denn sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist kein Problem der anderen. Es ist ein „mein Problem“, es ist ein „dein Problem“, es ist ein „unser Problem“. Deswegen ist dieser Antrag so wichtig. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)