Dr. Volkhard Wille (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD hat diese Aktuelle Stunde mit drei Fragestellungen begründet: Geht die Nationalparksuche weiter? Wie sehen die Windkraftplanungen für den Staatswald aus? Welche Schutzgebietsausweisungen müssen ohne Nationalpark erfolgen?
Zuerst möchte ich allerdings darauf eingehen, warum überhaupt die Einrichtung von Nationalparks wichtig ist. Nationalparks sollen als höchste Schutzgebietskategorie natürliche, vom Menschen möglichst unbeeinflusste Lebensräume schützen und den dort vorkommenden Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bieten; denn der Großteil unserer Biodiversität ist nicht in den Kulturlandschaften, sondern in Naturlandschaften zu finden. Schätzungen zufolge leben allein im Nationalpark Bayerischer Wald auf gerade mal 0,07 % der Bundesfläche stolze 20 % aller in Deutschland vorkommenden Arten.
Um dauerhaft stabile Populationen mit ausreichender genetischer Diversität zu sichern, ist zudem eine gewisse Großflächigkeit dieser Gebiete notwendig. Deshalb hat sich die Völkergemeinschaft im Übereinkommen über die biologische Vielfalt auf ein weltweites Netzwerk von Schutzgebieten, unter anderem auch Nationalparks, geeinigt. Deutschland hat erst gestern die Unterstützung dieser Zielsetzung mit der neuen Nationalen Biodiversitätsstrategie bekräftigt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn wir unsere Verpflichtungen zum Schutz der Biodiversität, zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Artenvielfalt ernst nehmen und wenn wir unseren nachfolgenden Generationen dieses Naturerbe bewahren wollen, dann sind Nationalparks eine Möglichkeit, diese Ziele zu erreichen. Das ist Verantwortung von uns allen und nicht nur ein Prestigeobjekt der grünen Partei.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Artikel 20a unseres Grundgesetzes lautet nicht umsonst:
„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere […].“
Aktuell beschleunigt sich das Artensterben. Es ist traurig, dass sich heute nur noch wir Grüne für die Einrichtung von Nationalparks einsetzen.
(Zurufe von der SPD)
Das war einmal anders. Der erste Nationalpark im Bayerischen Wald wurde 1970 vom damaligen CSU-Minister Eisenmann mit Unterstützung des Ministerpräsidenten Alfons Goppel gegründet. Der Nationalpark Nordfriesisches Wattenmeer wurde durch den damaligen CDU-Ministerpräsidenten Uwe Barschel eingerichtet. Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer wurde von Ernst Albrecht initiiert.
Auch damals waren die Gründungen nicht unumstritten und nicht diskussionsfrei. Aber mit Weitsicht und dem Wissen um die langfristige Verantwortung für den Schutz unserer Umwelt wurde den Bürgerinnen die Notwendigkeit erklärt und um Akzeptanz geworben. Um – mit Erlaubnis des Präsidenten – den früheren Bundespräsidenten Walter Scheel zu zitieren:
„Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun.“
Es ist die Aufgabe, das Richtige zu tun und das populär zu machen, Herr Brockes.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Das vorweg.
Seit dem Start des Beteiligungsprozesses der Landesregierung vor über einem Jahr haben sich viele Bürgerinnen und Bürger aus den unterschiedlichsten Regionen für die Einrichtung eines zweiten Nationalparks engagiert. Sie haben in ihrer Freizeit Informationsmaterial verteilt, Veranstaltungen organisiert und sicherlich auch im privaten Umfeld viel diskutiert. Sie haben unermüdlich daran gearbeitet, dass so viele Menschen sich uneigennützig mit dem Naturschutz im Allgemeinen und einem Nationalpark im Besonderen beschäftigt haben. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank für ihren Einsatz für Natur und Artenvielfalt.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)
In einem Bürgerentscheid im Kreis Kleve wurde am letzten Wochenende mit 53 % zu 47 % eine Bewerbung des Reichswaldes als Nationalpark abgelehnt. In sieben Kommunen gab es dabei aber eine zum Teil deutliche Mehrheit für den Nationalpark. Die Abstimmung ist offenkundig in den vier Kommunen im direkten Umfeld des Reichswaldes entschieden worden. Dort wirkte das Schüren von Ängsten durch die Gegner, zum Beispiel durch die Kampagne der eigentlich zur Neutralität verpflichteten Stadtwerke, besonders stark:
Die Trinkwasserversorgung sei gefährdet, man müsse zukünftig Eintritt zahlen, wenn man in den Wald will, Hunderttausende Bäume müssten gerodet werden, und Slogans wie „Der Nordkreis prahlt! Der Südkreis zahlt!“ waren Teile der Kampagne.
Wer meint, zu solchen Mitteln greifen zu müssen, um die eigenen Interessen durchzusetzen, traut den Bürgerinnen und Bürgern kein eigenständiges Urteil zu und nimmt sie nicht ernst.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das Ergebnis des Bürgerentscheids ist selbstverständlich zu akzeptieren; die Methoden aber nicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Bewusste Desinformation, Verunsicherung und Faktenleugnung dürfen nicht zum Alltag in der politischen Auseinandersetzung werden.
Wie geht es nun weiter? Die hohe Wahlbeteiligung und der knappe Ausgang des Bürgerentscheids haben gezeigt: Natur- und Artenschutz sind für viele Menschen relevant. Sie wünschen sich mehr Natur in ihrer direkten Umgebung auch zu ihrer eigenen Erholung.
Auch wenn es kein Nationalpark geworden ist, wünschen sich die Menschen Maßnahmen zum Erhalt der Natur- und Artenvielfalt. Herr Brockes, es ist eben nicht so, dass das alles Menschen sind, die nur Angst haben, sondern sie haben wirklich Angst um die natürlichen Lebensgrundlagen in ihrer Heimat. Das sollte berücksichtigt werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Aufwertung bestehender Naturschutzflächen ist schon jetzt gesetzliche Verpflichtung. Sie können auch nur selten Ersatz für großflächige, ungestörte Naturentwicklungen sein. Bestehende Naturschutzgebiete in NRW werden in der Regel mit Auflagen land- und forstwirtschaftlich genutzt. Die durch einen Nationalpark zu schützenden ursprünglichen Lebensräume und die natürlichen Prozesse finden sich hier in den Naturschutzgebieten aber gerade nicht.
Wenn man die Ziele, die man mit einem Nationalpark erreichen will, nun stattdessen in Naturschutzgebieten anstrebt, müsste man darin konsequenterweise die Nutzung einstellen. Das ist aber weder fachlich sinnvoll noch in der Praxis machbar.
Wie können wir also auch in Zukunft die anspruchsvollen Ziele des Biodiversitätsschutzes erreichen? Natürlich kann sich jede Region auch weiterhin um einen Nationalpark bewerben. Das Gesetz sieht das entsprechend vor. Alternativ wäre auch die Einrichtung von Biosphärenregionen gemäß § 37 Landesnaturschutzgesetz oder von Wildnisgebieten gemäß § 40 Landesnaturschutzgesetz denkbar.
Die SPD fragt zudem nach der Nutzung von Waldgebieten für die Windenergie. Im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung heißt es dazu:
„Wir werden alle Kalamitätsflächen und beschädigten Forstflächen für die Windenergie öffnen.“
Intakte natürliche Wälder sollen nicht als Windvorranggebiet festgesetzt werden, um den natürlichen Klimaschutz durch Wälder nicht zu gefährden. Das ist der Raum für die weitere Entwicklung.
Richard von Weizsäcker hat einmal so treffend gesagt:
„Eine zweite Arche Noah wird es nicht geben, die uns in eine bessere Zukunft hinüberrettet.“
Ich habe trotz der kontroversen Debatte der letzten Monate die Hoffnung und an meine Kolleginnen und Kollegen hier im Hause die Erwartung, dass wir gemeinsame Anstrengungen hinbekommen, um unser aller Verpflichtung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen – sei es durch einen Nationalpark oder auf anderem Wege – nachzukommen. Bei uns werden Sie immer eine ausgestreckte Hand dafür finden. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)