Dr. Ruth Seidl:“Wir wollen, dass die Personalstrukturen an unseren Hochschulen wieder in ein vernünftiges Gleichgewicht gebracht werden“

Wissenschaftszeitvertragsgesetz

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die prekären Beschäftigungsverhältnisse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den Hochschulen sind ein bundesweites Thema. Das ist nicht nur relevant für Nordrhein-Westfalen. Spätestens seit der im September 2011 im Bundestag vorgestellten Evaluation der HIS GmbH zum sogenannten Wissenschaftszeitvertragsgesetz wissen wir, dass sich die positiven Erwartungen der damaligen Bundesregierung nicht erfüllt haben.
Ziel war es ja, nachhaltige Personalentwicklung zu befördern und zu einem ausgewogenen Verhältnis von befristeten und unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu kommen.
Aber die Wirklichkeit sieht derzeit anders aus. 83 % der hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben eine befristete Stelle, und zwar bundesweit, darunter ein hoher Anteil von Nachwuchswissenschaftlerinnen in der zweiten Qualifikationsphase, also gerade in einer Lebensphase, in der das Bedürfnis nach verlässlichen Berufsperspektiven steigt.
Besonders beunruhigend ist, dass 53 % der Arbeitsverträge eine Laufzeit von unter einem Jahr aufweisen. Das ist unangemessen und auch inakzeptabel. Denn wenn Aufgaben in Forschung und Lehre in immer größerem Umfang von befristet Beschäftigten ausgeübt werden, gefährdet das die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftssystems. Hinzu kommt, dass Wissenschaft als Beruf ohne verlässliche Perspektiven auch zunehmend unattraktiver wird.
Wir sprechen hier keineswegs von einer kleinen Gruppe von Berufseinsteigern. Die Rede ist vielmehr von der Mehrheit und dem Kernbestand der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an den Hochschulen Daueraufgaben in Forschung und Lehre übernehmen.
Die derzeitige Vertragspraxis hin zu immer kürzeren Zeitverträgen bedeutet für die Betroffenen, auf Jahre hinaus unter hochgradig prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten und leben zu müssen. Sie erschwert auch die Lebens- und Familienplanung und schadet der Attraktivität wissenschaftlicher Berufslaufbahnen erheblich.
Der Trend, an den Hochschulen möglichst viel Personal zu möglichst kostengünstigen Bedingungen einzustellen, kommt natürlich nicht von ungefähr. Wenn die Aufgaben in Forschung und Lehre wachsen, aber gleichzeitig auch immer mehr öffentliche Drittmittel über die Kofinanzierungspflicht der Länder die Sicherung der Studierendenzahlen und der Forschungsleistung abfedern sollen, dann geht das natürlich auch zulasten der Grundfinanzierung der Hochschulen.
Die Mittel aus dem Hochschulpakt erreichen zwar die Hochschulen unmittelbar, die Mittel pro Studienanfängerin entsprechen aber keineswegs den realen Kosten eines Studienplatzes. Die Drittmittel für die Forschung, insbesondere der Pakt für Forschung und Innovation, binden zusätzliche Mittel aus der Grundfinanzierung für die sogenannten Overheadkosten. Dies führt wiederum dazu, dass die Lücken mit kostengünstigen Nachwuchskräften und prekären Verträgen gestopft werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen deshalb, dass die Personalstrukturen an unseren Hochschulen wieder in ein vernünftiges Gleichgewicht gebracht werden. Es ist richtig, dass es weiterhin flexible Personalbedarfe in Wissenschaft und Forschung geben muss. Da gebe ich der FDP auch in ihrem Antrag Recht. Dies darf aber nicht zulasten der berechtigten Interessen der Beschäftigten gehen und zu immer kürzeren Arbeitsverhältnissen führen.
Vor diesem Hintergrund fordern wir – der Kollege Schultheis hat es schon gesagt – in unserem Antrag die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative zu starten, um die verschiedenen Interessen im Wissenschaftssystem sachgemäß und flexibler auszutarieren, als dies bei dem derzeitigen Gesetz mit seinen starren Vorgaben möglich ist. Dazu gehören die Aufhebung der Tarifsperre und die Einführung von Mindestlaufzeiten für auf der Grundlage des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes abgeschlossene Arbeitsverträge.
Als zusätzliche Voraussetzung für eine Befristung in der Promotionsphase ist eine ergänzende Betreuungsvereinbarung vorgesehen. Diese soll das Qualifizierungsziel der Beschäftigung bezogen auf die Promotion festlegen. Darüber hinaus soll die Anrechnungspraxis von studienbegleitenden Arbeitszeiten und die Anrechnung von Elternzeit, Betreuungs‑ und Pflegezeiten auf die zulässige Gesamtbefristungsdauer verbessert werden.
Jetzt zu Ihrem kurz vor Toresschluss eingereichten Entschließungsantrag, liebe Frau Freimuth:
Erstens. Wenn Sie es ernst gemeint hätten, wären Sie vielleicht früher mit uns in die Diskussion eingestiegen.
Zweitens leistet Ihr Antrag keinen wesentlichen Beitrag zum eigentlichen Kern des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, nämlich den Kurzbefristungen von Arbeitsverträgen im Wissenschaftsbereich.
Insgesamt bleiben Sie mit all Ihren Forderungen beliebig unpräzise. Vor dem Hintergrund können wir den parlamentarischen Einschub nicht berücksichtigen und ernst nehmen.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Ich komme zum Schluss. – Wir halten die von uns angestrebte Gesetzesänderung für überaus wichtig und würden uns freuen, wenn Sie die vorgelegten Änderungen für ein reformiertes Wissenschaftszeitvertragsgesetz im Sinne der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,
(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)
im Sinne der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit an unseren Hochschulen mittragen und die vorgeschlagene Bundesratsinitiative unterstützen würden. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)