Dr. Ruth Seidl: „Wir wollen an den Hochschulen die Weichen hin zu neuen und zeitgemäßen Formen der Beteiligung und Partizipation stellen“

Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Hochschulautonomie

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum brauchen wir ein neues Hochschulgesetz? – Wir brauchen ein neues Hochschulgesetz, weil wir an unseren Hochschulen die Weichen hin zu neuen und zeitgemäßen Formen der Beteiligung und Partizipation stellen wollen. Wir wissen, dass das nicht so einfach ist. Denn Demokratie und Partizipation lassen sich natürlich nicht von oben verordnen. Dazu gehören flache Hierarchien. Dazu gehört aber auch eine Kultur der gegenseitigen Akzeptanz und Anerkennung.

Eines ist aber klar: Das sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz der schwarz-gelben Vorgängerregierung hat die Mitsprache der akademischen Selbstverwaltungsgremien bei entscheidenden Hochschulangelegenheiten massiv eingeschränkt. Stattdessen wurden wichtige Handlungsfelder des Senates und des Ministeriums auf externe Hochschulratsmitglieder verlagert, die unter Umständen eine Hochschule noch nie zuvor von innen gesehen haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hochschule funktioniert aus unserer Sicht nur als demokratische Gemeinschaft, in der vor allem die Freiheit von Wissenschaft und Forschung den Vorrang hat. In diesem Sinne wollen wir das Hochschulgesetz neu gestalten. Wir wollen den Senat in seinen Kompetenzen wieder stärken und künftig allen vier Statusgruppen auch gleiches Stimmrecht geben. Und wir wollen entsprechend die Aufgaben des Hochschulrates stärker auf Aufsicht und Beratung konzentrieren.

Es kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir an unseren Hochschulen, die Reformmotor für gesellschaftliche Entwicklungen sein wollen, überkommene hierarchische Strukturen fortschreiben, anstatt sie für moderne Formen der Demokratie zu öffnen.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Lächerlich!)

– Ja, und da kann ich Ihnen, Herr Berger, nur einen Blick in die benachbarten Niederlande empfehlen. Sie wohnen doch in der Nähe.

In allen Gremien der Hochschulen in den Niederlanden haben Studierende einen Stimmenanteil von 50 %, mit dem formal gültige und bindende Beschlüsse getroffen werden können. „Das ist für uns so eine Normalität“, sagte kürzlich der Präsident der Hochschule von Maastricht im Gespräch, „dass ich erst einmal nachschauen muss, wo genau das gesetzlich verankert ist“. – Ich habe nachgeguckt, Herr Berger, und es steht in der Tat im Hochschulgesetz der Niederlande. Die sind ein ganzes Stück weiter, was das Thema „Demokratie“ angeht.

Wir haben auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen dringenden Nachholbedarf in Sachen Frauenförderung. Der Frauenanteil insbesondere bei den besser dotierten Professuren ist immer noch viel zu gering.

Deswegen wollen wir mit dem von der DFG, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in die Diskussion gebrachten Kaskadenmodell eine flexible Frauenquote auf der Ebene der Fachbereiche im Gesetz festschreiben, um den weiblichen Anteil in der Wissenschaft endlich angemessen zu erhöhen.

Dann fragt man sich: Wohin ist eigentlich die CDU-Fraktion in dieser Frage unterwegs? – Mit Blick auf Ihre Sparvorschläge, Herr Laumann, bei der Geschlechterforschung und der Gleichstellung offensichtlich geradewegs in die frauenpolitische Steinzeit.

Es ist mir nach wie vor unerklärlich, wie man sich in einem Land, das so viele Hochschulen besitzt, so aus der gesamtstaatlichen Verantwortung zurückziehen konnte, wie es in der Regierungszeit Rüttgers/Pinkwart der Fall war.

Deshalb wollen wir ein weiteres Defizit der Hochschulsteuerung beheben. Das Parlament soll zur strategischen Gesamtplanung für die bundesweit dichteste Hochschullandschaft wieder mehr Verantwortung übernehmen und regelmäßig über einen Landeshochschulentwicklungsplan entscheiden.

Wir beschließen hier zwar als Haushaltsgesetzgeber Jahr für Jahr über etliche Milliardenbeträge, aber wir halten nicht die Fäden in der Hand, wenn es um die strategisch wichtigen Fragen der Wissenschafts- und Forschungspolitik, wenn es um eine ausgewogene Planung von Studiengängen und Studienplätzen und auch um die gesellschaftliche Aufgabenstellung der Hochschulen geht.

Zum Antrag der Piraten: Ihr Antrag signalisiert über weite Strecken – so habe ich ihn zumindest verstanden – vom Grundsatz her Zustimmung für unsere Gesetzesinitiative.

Allerdings können wir uns nicht Ihrer Forderung anschließen, im zukünftigen Gesetz generell auf die Hochschulräte komplett zu verzichten, weil uns die Anbindung an gesellschaftliche Akteure, die ihren Sachverstand aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur einbringen sollen, wichtig ist.

Ebenso steht für uns nicht zur Debatte, das Hochschulpersonal wieder in den Landesdienst zu überführen. Darüber haben wir lange diskutiert – auch mit den Personalräten. Das kommt für uns nicht infrage. Wir bleiben dabei, dass die Hochschulen über ihr Personal selbst entscheiden. Deshalb werden wir Ihrem Antrag an dieser Stelle nicht folgen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten den Weg einer breiten Einbeziehung der Beteiligten bei der Erarbeitung des Hochschulzukunftsgesetzes für richtig und wichtig, und wir laden auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dazu ein, sich konstruktiv zu beteiligen, damit wir uns am Ende gemeinsam über ein qualitativ überzeugendes Ergebnis freuen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)