Dr. Ruth Seidl: „Wettbewerb und marktorientierte Ansätze führen nicht von alleine zu mehr Nachhaltigkeit und Qualität an unseren Hochschulen“

FDP-Antrag zur Wissenschafts- und Forschungsfreiheit

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Berger, was soll man dazu noch sagen?
(Zurufe von den GRÜNEN)
Es ist aber schön, dass Sie sich mit unseren Parteitagsbeschlüssen auseinandersetzen. Gut ist es auch, wenn Sie hier mit uns im Landtag noch einmal über das Thema diskutieren; denn zur gesellschaftlichen Verantwortung der Hochschulen gehört es, sich mit den Folgen von Forschung und Entwicklung auseinanderzusetzen. Das sollte auch die CDU wissen.
Wir sind offensichtlich unterschiedlicher Meinung, Frau Freimuth, ob in das Gesetz für die Hochschulen in unserem Land auch eine Präambel gehört, in der der Landtag ein Leitbild formuliert. Wir haben noch einmal reflektiert: Der damalige Wissenschaftsminister Pinkwart hat das zu Ihrer Regierungszeit nicht so gesehen; denn die entscheidenden Sätze zu einer ethischen Ausrichtung von Wissenschaft und Forschung hat er mit dem Hinweis der Entbürokratisierung aus dem Hochschulgesetz gestrichen.
(Angela Freimuth [FDP]: Es gibt die Präambel des Grundgesetzes, Frau Kollegin!)
Damit hat er dem sogenannten Hochschulfreiheitsgesetz einen pseudoliberalen Stempel aufgedrückt.
Sämtliche Themenbereiche, die damals zu den Aufgaben der Hochschulen gehörten – ob es um die Umwelt, die sozialen oder die ökologischen Fragen ging –, hat er herausgestrichen.
Zu unserem Selbstverständnis gehört es, dass wir uns als Gesetzgeber ausdrücklich dafür aussprechen, dass es Aufgabe einer heutigen Wissenschaftspolitik sein muss, angesichts der ethischen Verantwortung der Hochschulen – ich zitiere aus unseren Eckpunkten – zentrale Beiträge zu umfassenden technologischen und sozialen Innovationen zu liefern und dabei ökologische, ökonomische und soziale Folgen zu berücksichtigen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das ist in der Tat Teil unserer Verabredung in der Koalition. Das können Sie in den Eckpunkten zum Hochschulzukunftsgesetz gerne noch einmal nachlesen. Wenn Sie heute einen künstlichen Konflikt aufmachen möchten, Herr Berger, zwischen Rot-Grün oder etwa zwischen den Grünen in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen, dann laufen Sie mit diesem Spaltungsversuch jedenfalls ins Leere.
Die Frage, ob Forschung und Lehre an den Hochschulen und Universitäten auf friedliche Zwecke begrenzt werden sollen, etwa mithilfe einer Zivilklausel in der Grundordnung, wird an den Hochschulen immer wieder offen diskutiert – nicht nur in den 70er-Jahren, sondern das ist auch heute noch so. Ich finde es richtig, dass wir uns vor dieser durchaus berechtigten Forderung auch nicht wegducken.
So verfügt bereits jetzt eine ganze Reihe von Hochschulen in Deutschland über Formulierungen in ihren Grundordnungen, die festschreiben, dass Forschung friedlichen Zwecken dienen soll, so die Universitäten Konstanz und Tübingen. Die Hochschule Ulm verweist auf die im Leitbild festgeschriebene Haltung, dort entwickelte Technik solle sozialverträglich eingesetzt werden. Beim Karlsruher Institute of Technology, also dem KIT, muss zwischen dem nach wie vor mit einer Zivilklausel versehenen ehemaligen Forschungszentrum und dem Universitätsteil unterschieden werden. Für Letzteren hat der Senat am 12. Mai 2012 ethische Leitlinien beschlossen, zu denen auch eine Orientierung an friedlichen Zwecken gehört. Ebensolche finden sich in der Grundordnung der Universität Oldenburg, der Universität Rostock, der Universität Bremen und im Leitbild der TU Berlin.
Wozu also dieser Popanz, der hier von Ihnen aufgebaut wird? Liebe Frau Freimuth, der Wunsch, sich im Rahmen einer Leitbilddiskussion an friedlichen Zwecken zu orientieren, ist offensichtlich an vielen Universitäten auch in Nordrhein-Westfalen vorhanden. Warum sollte sich dies nicht in unserem Hochschulgesetz widerspiegeln?
Das unterscheidet uns auch wieder von Ihnen, Frau Freimuth und Herr Berger. Wir stehen eben nicht für eine Politik der Beliebigkeit. Wettbewerb und marktorientierte Ansätze führen nicht von alleine zu mehr Nachhaltigkeit und Qualität an unseren Hochschulen.
Da Sie sich in Ihrer Argumentation ja auf Baden-Württemberg beziehen, möchte ich Ihnen gerne aus der Debatte ein Zitat von Theresia Bauer vortragen, der Wissenschaftsministerin in Baden-Württemberg, das meines Erachtens die Frage einer Zivilklausel entideologisiert und ins richtige Verhältnis setzt.
Sie sagt: Hinter der Zivilklausel steckt
„ein Anliegen, dem man alle Sympathie entgegenbringen möchte, nämlich das Anliegen, dass man sich darüber bewusst werden und sich klarmachen sollte …, dass Forschung relevant ist, dass Forschung risikobehaftet ist und dass Forschung sicher nicht immer einfach nur für Dinge eingesetzt wird, die gesellschaftlich erwünscht sind.
Die Sensibilisierung in dieser Frage, was man mit Forschungsergebnissen machen kann, die Notwendigkeit, dass sich Forscherinnen und Forscher damit auseinandersetzen, dass eine Hochschule auch darüber diskutiert und dass eine Gesellschaft in die Lage versetzt wird, zu entscheiden, wie sie damit umgehen möchte, alle diese Fragen sind hoch legitim, und es ist notwendig, sie zu stellen.“
(Angela Freimuth [FDP]: Das ist unbestritten!)
– Was wollen wir denn anders? Warum dann dieser Antrag heute von Ihnen, Frau Freimuth?
Deshalb beinhaltet der Weg nämlich auch beim KIT, also in Karlsruhe in Baden-Württemberg, kein Forschungsverbot, aber eine Transparenz- und Friedensklausel, die lautet: Zur Wahrnehmung der Großforschungsaufgabe betreibt das KIT im Interesse der Allgemeinheit Forschung und Entwicklung zu friedlichen Zwecken vorwiegend auf dem Gebiet der Technik und ihrer Grundlagen. – Zitat Ende.
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Ich bin auch gleich am Ende.
Insofern lassen sich auch in Gesetzen klare Aussagen treffen, wenn es darum geht, verantwortlich mit Auftragsforschung umzugehen und die Gewissensfreiheit von Forscherinnen und Forschern zu respektieren.
Sie können sicher sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, dass uns das in Nordrhein-Westfalen genauso gut gelingt wie in Baden-Württemberg. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)