Dr. Ruth Seidl: „Studiengebühren sind ein Rückgriff in die hochschulpolitische Mottenkiste“

HH 2013 Innovation, Wissenschaft und Forschung

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Berger, wenn ich mir Ihre Einlassungen noch einmal vor Augen führe – nach Ihrer Aussage hätten wir das schlechteste Betreuungsverhältnis in ganz Deutschland –, dann bitte ich Sie, doch zur Kenntnis zu nehmen, dass NRW 25,2 % aller Studierenden und 24 % aller Studienanfängerinnen sowie 16,4 % aller Hochschulen in Deutschland hat. Allerdings beträgt der Anteil von NRW am Königsteiner Schlüssel 21 %. Somit finanziert NRW die anderen Bundesländer mit.
Wenn Sie das bedauern, dass wir in NRW ein ungünstiges Betreuungsverhältnis haben, dann kann ich Sie nur auffordern: Machen Sie sich bei ihren Leuten im Bund dafür stark, die Benachteiligung gegenüber anderen Bundesländern endlich zu beenden.
(Beifall von den GRÜNEN – Dr. Stefan Berger [CDU]: Sie rufen immer nach dem Bund! Egal was, alle anderen sind schuld!)
Wenn ich mir Ihre Änderungsanträge zum Haushalt genauer ansehe, dann offenbart die CDU-Fraktion darin wieder einmal ihre gesamte gesellschaftliche Rückständigkeit. Die CDU präsentiert sich als Partei der sozialen Ungerechtigkeit, als Partei der Geschlechterungerechtigkeit und als Partei einer rückwärtsgewandten Forschungsstrategie. Hierin beziehe ich die FDP-Fraktion gleich mit ein.
Es ist ja klar, dass Sie gegenüber einer Regierung, der Sie nicht angehören, eine kritische Oppositionspolitik machen müssen. Aber es ist mir absolut unverständlich, warum Sie dabei den Rückgriff in die hochschulpolitische Mottenkiste wählen müssen.
Die CDU in Nordrhein-Westfalen hat in Sachen Innovationsfähigkeit auch im Bereich der Hochschulpolitik offensichtlich nichts dazugelernt. Es ist doch, wenn man sich die Entwicklung bundesweit ansieht, völlig anachronistisch, in Nordrhein-Westfalen die Studiengebühren wieder heraufzubeschwören. Anders kann Ihr Haushaltsantrag zur Rückführung der Qualitätsverbesserungsmittel ja kaum verstanden werden; denn schließlich haben ja Sie, Herr Berger, und die CDU-Fraktion darauf gepocht, die Kompensationsmittel für die Studiengebühren studierendenscharf aufwachsen zu lassen. Aber so richtig nach vorne preschen wollen Sie mit der Wiedereinführung der Campus-Maut dann wohl auch nicht.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Doch, das haben wir gefordert!)
Es wäre ja in der Tat auch superpeinlich, wenn man noch hinter die erzkonservative CSU in Bayern zurückfiele, die sich am vergangenen Wochenende, Frau Freimuth, zusammen mit einer schmollenden FDP von den Studiengebühren verabschiedet hat.
(Angela Freimuth [FDP]: Das ist nicht richtig!)
Warum hat in Bayern eine Kehrtwende um 180 0 stattgefunden? – Weil man natürlich auf ein Volksbegehren verzichten wollte. Studiengebühren, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, sind vor dem Hintergrund von Bildungsgerechtigkeit im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr zeitgemäß. Vor diesem Szenario sind die von Ihnen vorgeschlagenen Kürzungen ungerecht.
(Beifall von den GRÜNEN – Karlheinz Busen [FDP]: Sie sind sozial ungerecht!)
250 Millionen € weniger im Haushalt für unsere Studierenden, das ist doch kein ernst zu nehmender Vorschlag, und das konterkariert darüber hinaus Ihr ständiges Gejammer über die vermeintliche Unterfinanzierung der Hochschulen.
Herr Berger, Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder Sie beantragen, die Studiengebühren wieder einzuführen, oder Sie beantragen eine Erhöhung der Qualitätsverbesserungsmittel, aber dann bitte verbunden mit einem entsprechenden Vorschlag, woher Sie das Geld nehmen wollen, ohne den Gesamthaushalt weiter zu belasten.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Was haben Sie denn vor drei Wochen gemacht?)
– Sie reden hier doch immer am meisten über die Schuldenbremse.
Wenn ich mir dann Ihren zweiten Kürzungsvorschlag, den bei der Frauenförderung, ansehe, dann stelle ich mir wiederum die Frage, in welchem Zeitalter die CDU-Fraktion in Nordrhein-Westfalen eigentlich lebt. Die gesamte Wissenschafts-Com­munity – DFG etc. – beklagt die unzureichende Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen an den Hochschulen und an den Forschungseinrichtungen, und nur Sie kommen jetzt auf die Idee, ausgerechnet die Mittel für die Gleichstellung an den Hochschulen um 2,5 Millionen € zu kürzen.
Das bedeutet die komplette Streichung der Mittel für die Gleichstellungsbeauftragten an den Hochschulen, die komplette Streichung der Mittel für das Netzwerk „Frauen- und Geschlechterforschung NRW“ und der Mittel für die Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen und Universitätsklinika sowie die Streichung von Teilen des Landesprogramms „Geschlechtergerechte Hochschulen“.
Da kann ich nur sagen: Wer Gleichstellung an den Hochschulen will, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann doch nicht hingehen und die gesamte Infrastruktur der Gleichstellungsarbeit an den Hochschulen einfach mal eben wegrasieren.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Die werden aus dem Topf aber nicht bezahlt!)
Geschlechtergerechtigkeit ist für die CDU-Fraktion in Nordrhein-Westfalen offensichtlich immer noch ein Fremdwort.
Nun komme ich zu Ihrem dritten Haushaltsantrag, dem auf Streichung der Mittel für die Initiative „Fortschritt NRW“, deren Ziel es ist, Forschung und Innovation sowie die damit verbundene Lehre im Bereich nachhaltiger Entwicklung gezielt zu fördern. Herr Berger von der CDU-Fraktion und Frau Freimuth von der FDP-Fraktion haben im Ausschuss bereits gefragt, was man eigentlich unter Nachhaltigkeitsforschung verstehen solle.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Nein, haben wir nicht!)
Bei aller Wertschätzung, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP: Wer heute noch nicht weiß, vor welchen großen gesellschaftlichen Herausforderungen wir politische Konzepte entwerfen müssen, der hat auch sein politisches Mandat verfehlt. Mit den Mitteln aus der Initiative „Fortschritt NRW“ werden sowohl Projekte als auch Strukturen der Nachhaltigkeitsforschung gefördert. Es handelt sich um eine Förderplattform, die im Übrigen die Voraussetzungen schafft, an den aktuell in die gleiche Richtung weisenden Förderprogrammen im Bund und in der EU zu partizipieren.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Wo steht das? Woher wissen Sie das?)
Diese Mittel können auch zur Kofinanzierung des Ziel‑2-Programms verwendet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Konzepten von vorgestern löst man nicht die Probleme von morgen. Während Herr Pinkwart zu Ihrer Regierungszeit noch die vierte Generation des Hochtemperaturreaktors erforschen wollte, stellen wir uns heute den Herausforderungen des Klimawandels und der Energiewende. Darum geht es in diesem Forschungsprogramm.
Wir wissen auch, dass ökologische, ökonomische und soziale Innovationen zusammen gedacht werden müssen, wenn es um einen qualitativ ausgerichteten Fortschrittsbegriff geht. Ein besonderer Schwerpunkt der Initiative „Fortschritt NRW“ liegt deshalb auf umsetzungsorientierten, auf technische und soziale Systeminnovationen ausgerichteten Forschungsvorhaben.
Herr Berger, Ihre Anträge zum Haushalt 2013 sind weder ein seriöser Beitrag zur Einlösung der Schuldenbremse, noch tragen sie auch nur ansatzweise dazu bei, die Hochschulen bei der Bewältigung ihrer gesellschaftlichen Aufgaben zu unterstützen.
Frau Freimuth, der Mittelaufwuchs im Wissenschaftshaushalt beträgt satte 11,5 %. Das zeigt doch ganz deutlich, dass Wissenschaft und Forschung in unserem Landeshaushalt, verglichen mit den anderen Ressorts, oberste Priorität genießen.
Der weitaus überwiegende Teil dieser Mittel dient der Stärkung von Studium und Lehre an den Hochschulen sowie dem Ausbau und der Sanierung der Hochschulen. Ein weiterer Teil – plus 9,4 Millionen € – fließt in die Studentenwerke und in die Forschung.
Im Fokus stehen aber vor allen Dingen die vorgezogenen Mittel für den Hochschulpakt. Zur Bewältigung des doppelten Abiturjahrgangs, der in diesem Jahr die Hochschulen erreicht, stehen in 2013 sage und schreibe 530 Millionen € zusätzlich bereit. Wenn die Hochschulen jetzt sagen – und das nehme ich so wahr –: „Wir sind gut auf den doppelten Abiturjahrgang vorbereitet“, so ist das für uns ein schönes Signal und eine Bestätigung dafür, dass wir die vorhandenen Ressourcen im Sinne der jungen Menschen, die in diesem Jahr einen Studienplatz suchen, zielgerecht eingesetzt haben. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)