Dr. Ruth Seidl: „OWL soll Modellregion für die praktische Medizinerausbildung werden“

Antrag der CDU zur Schaffung einer medizinischen Fakultät OWL

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Glückwunsch, Herr Nettelstroth, zu Ihrer ersten Rede.
Es ist auch aus unserer Sicht durchaus bemerkenswert, wie sich die ganze Region OWL aufstellt, um die vorhandene Struktur an Gesundheitswirtschaft noch stärker mit Lehre und Forschung zu verbinden. Das ist ein sehr schönes Signal.
Die Universität Bielefeld stellt seit 1994 mit der Fakultät für Gesundheitswissenschaften eine deutschlandweit einmalige Einrichtung mit Lehr- und Forschungserfahrungen, mit mehr als vierzig Kooperationsprojekten und Kooperationsbeziehungen im medizinischen und medizinnahen Bereich. Diese einmalige Infrastruktur gilt es zu stärken.
Wenn es aber um den Ärztemangel in der Region geht, dann ist die Frage, ob eine eigene Medizinische Fakultät in OWL die geeignete Lösung ist. Mit acht Medizinischen Fakultäten nimmt Nordrhein-Westfalen im bundesweiten Vergleich eine Spitzenposition ein. Deshalb verwundert es nicht, dass der Wissenschaftsrat bei der Anhörung im Februar dieses Jahres den Standpunkt vertreten hat, die Schaffung einer neunten Medizinischen Fakultät in Nordrhein-Westfalen könne nicht die alleinige Lösung für die Gesundheitsversorgung in Zeiten des demografischen Wandels sein. Ebenso wenig würden regionale Verteilungsprobleme allein über Ausbildungskapazitäten oder deren zusätzliche Schaffung in Ostwestfalen Lippe gelöst. Hier bedürfe es übergreifender Überlegungen und Reformen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einrichtung einer neuen Medizinischen Fakultät in Bielefeld stellt sicherlich eine Möglichkeit dar, eine größere Anzahl zusätzlicher Studienplätze zu schaffen, jedoch eine äußerst langwierige, schwerfällige und darüber hinaus sehr kostenintensive. Die Ersteinrichtungskosten sind insbesondere für die vorklinischen und klinisch-theoretischen Fächer sehr hoch und liegen – das wurde eben schon gesagt – im dreistelligen Millionenbereich. Es werden nicht nur entsprechende Hörsäle, Seminarräume und biomedizinische Forschungslabore benötigt, sondern auch größere Praktikumsräume und Sektionsräume für die Lehre in der Anatomie und Pathologie. Hinzu kommen die laufenden Kosten.
Die für das Medizinstudium erforderliche Fächervielfalt macht den Betrieb einer Medizinischen Fakultät sehr aufwendig. Im Schnitt liegt der Zuschuss des Landes für den laufenden Forschungs- und Lehrbetrieb der Medizinischen Fakultäten bei über 400.000 € pro Absolvent, und zwar ohne Investitionskosten.
Für eine neue Medizinische Fakultät in Bielefeld, die eine kritische Größe von mindestens 150 Absolventinnen aufweisen sollte, müsste demnach ein jährlicher Landeszuschuss für den laufenden Betrieb in Höhe von 60 Millionen € bereitgestellt werden.
Vor diesem Hintergrund möchte ich die Sparkommissare der Oppositionsfraktionen doch gerne einmal fragen, ob dies ihr Vorschlag zur Einhaltung der Schuldenbremse in den kommenden Jahren sein soll.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich bin mir sicher, dass Sie eine solche Forderung hier und heute tunlichst vermeiden würden, wenn Sie an der Regierung wären. Bei allem lobenswerten Engagement vor Ort muss ich leider feststellen: Ihr derzeitiges Krawallschlagen in OWL ist reiner Populismus.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch die Behauptung, dass mit einer eigenen Medizinischen Fakultät in OWL die ärztliche Unterversorgung kurzfristig zu kompensieren wäre, geht komplett an den Realitäten vorbei. Der Aufbau einer neuen Fakultät dauert Jahre, unabhängig davon, dass sich frühestens neun Jahre nach Gründung die ersten fertigen Medizinerinnen und Mediziner niederlassen könnten.
Deshalb haben wir uns in der Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, OWL zur Modellregion für die praktische Medizinerausbildung zu machen, obwohl sich Ihre Leute im Bund, Herr Nettelstroth und Herr Abruszat, immer totstellen, wenn es um eine Finanzierungsbeteiligung geht – also von wegen Mitfinanzierung für eine solche Medizinische Fakultät.
In einem ersten Schritt wollen wir 1.000 zusätzliche Studienanfängerinnen an den verschiedenen Standorten in NRW aufnehmen. Wir haben damit auch bereits begonnen. Das Programm ist schon im vergangenen Wintersemester gestartet worden. Es kostet uns 50 Millionen €.
Wir werden nun die Strukturen und Erfahrungen des Bochumer Modells einer praktischen Medizinerausbildung in kooperierenden Kliniken nutzen, um damit kurzfristig und flexibel möglichst viele junge Ärztinnen und Ärzte in die Region zu holen. Die Ausbildung von Medizinstudierenden an Krankenhäusern in der Region OWL soll so schnell wie möglich beginnen.
Wir haben mit Freude bei der Anhörung im Ausschuss vernommen, dass die Ruhr-Universität Bochum bereit ist, hier Verantwortung zu übernehmen und ihre Ausbildungskapazität im Medizinstudium zu erhöhen.
Die notwendigen Mittel in Höhe von etwa 14 Millionen € werden auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung für die kommenden Jahre bereitstehen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)