Dr. Ruth Seidl: „Fakt ist doch: Wir konnten in den Studienjahren 2011 und 2012 jeweils knapp 120.000 junge Menschen zusätzlich an unseren Hochschulen aufnehmen, trotz NC“

Antrag der Piraten zum Hochschulzugang

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe, dass die Festsetzung von Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen immer wieder Debatten auslöst und diese dann auch gerne dazu benutzt werden, um Ängste zu schüren wie in dem vorliegenden Antrag. Herr Nettelstroth, Sie behaupten sogar, dass es uns dabei um den Aufbau von Bildungshürden in Nordrhein-Westfalen geht. Ich muss sagen, das ist schon ziemlich unverschämt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Offensichtlich haben Sie alle beide, Herr Nettelstroth und Herr Paul, den Kern des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1972 überhaupt nicht verstanden. Der NC ist ganz im Sinne dieser Rechtsprechung ein Instrument zur bestmöglichen Versorgung der Studierenden mit Studienplätzen bei vollständiger Nutzung der vorhandenen personellen, räumlichen und sächlichen Möglichkeiten. Darum geht es.
Er ist ein notwendiges Steuerungsinstrument, um das vorhandene Studienangebot optimal auszunutzen. Das wird in allen Bundesländern so gehandhabt. Deshalb kann ich Ihrer Argumentation auch nicht folgen, Herr Paul. Wir brauchen keine neue Strategie zur Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen entspricht exakt dieser Rechtsprechung.
Die Regelungen können Sie im Hochschulzulassungsgesetz, das der Landtag 2008 verabschiedet hat, nachlesen. Grundlage ist ein Staatsvertrag der Länder, der bundesweit einheitlich die Vergabe von zulassungsbeschränkten Studiengängen regelt.
Wenn wir uns nun ansehen, welche enormen Kraftanstrengungen der Bund und die Länder zur Ausfinanzierung der nötigen Studienplätze unternommen haben, dann muss eigentlich jedem klar sein, dass trotz der Einrichtung von NC im kommenden Wintersemester deutlich mehr junge Menschen ein Studium in Nordrhein-Westfalen aufnehmen können, und zwar auch in den so genannten NC-Fächern.
Aus dem Monitoring der Landeregierung wissen wir, dass die Hochschulen viel geleistet haben, um sich auf den doppelten Abiturjahrgang vorzubereiten. 4.200 zusätzliche Dozenten sind für die Lehre eingestellt worden. 180.000 Quadratmeter Fläche sind an den Hochschulen seit 2007 nur für die Lehre entstanden.
Allein in den letzten zwei Jahren haben die zwölf nordrhein-westfälischen Studentenwerke rund 1.000 neue Studentenwohnheimplätze gebaut. Über 11.000 vorhandene Wohnheimplätze sind saniert und modernisiert worden. Das ist der entscheidende Punkt. Wir haben doch nicht die NCs angehoben, ohne gleichzeitig die Kapazitäten zu erhöhen.
Mit der jetzt auf GWK-Ebene erzielten Verdoppelung der Mittel aus dem Hochschulpakt für die nordrhein-westfälischen Hochschulen können wir das Hochplateau der Studierendenzahl dauerhaft finanzieren; denn wir werden es noch eine ganze Weile mit einem Hochplateau in dieser Größenordnung zu tun haben.
In der heutigen Debatte geht auch um die zusätzlichen Kapazitäten, die wir aufgebaut haben. Wenn Sie, Herr Nettelstroth, die Zahl der zulassungsbeschränkten Studiengänge in Nordrhein-Westfalen – die besagten 48 % – zum Maßstab machen, dann möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass sich die Situation zu Zeiten Ihrer Landesregierung kaum anders dargestellt hat. Heute haben 48 % der Bachelorstudiengänge in Nordrhein-Westfalen einen Numerus clausus; im Wintersemester 2006/2007 unter der Regierung Rüttgers/Pinkwart waren es 50 %.
Letztlich ist die Frage nach der Anzahl der Studiengänge mit NC auch nicht die entscheidende. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die Aufnahmesituation insgesamt nicht verschärft hat. Fakt ist doch: Wir konnten in den Studienjahren 2011 und 2012 jeweils knapp 120.000 junge Menschen zusätzlich an unseren Hochschulen aufnehmen, trotz NC.
Das sind 22 % mehr als 2010. Nach bisherigem Stand der Prognosen erwarten wir für das kommende Wintersemester noch einmal um die 123.000 Studierende an unseren Hochschulen. Herr Nettelstroth, die Zahl, die Sie genannt haben – 176.000 – ist die Zahl der Schulabgänger. Das entspricht erfahrungsgemäß bei Weitem nicht der Zahl derjenigen, die ein Studium an einer Hochschule aufnehmen werden.
Hierfür stehen im Haushalt Mittel in Höhe von über 1 Milliarde € zur Verfügung, davon 830 Millionen € an Hochschulpaktmitteln. Deshalb kann ich zum Schluss Ihrem ehemaligen Wissenschaftsminister Herrn Professor Pinkwart nur zustimmen, der am 14. Januar 2013 im „General-Anzeiger Bonn“ mit den Worten zitiert wird:
„Ich teile die Einschätzung meiner Nachfolgerin, dass die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen gut auf den doppelten Abiturjahrgang vorbereitet sind.“
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es bei diesem Antrag? Mit dem Antrag der Piraten soll die Praxis des Numerus clausus an unseren Hochschulen generell beendet werden; so habe ich es verstanden. Dies ist mehr als utopisch. Vor allem aber ist es verantwortungslos, wenn man die Hochschulen auf der einen Seite in die Überlast treibt und auf der anderen Seite wertvolle Studienkapazitäten ungenutzt lässt. Vor diesem Hintergrund können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)