Dr. Ruth Seidl: „Es ist auch für uns ein wichtiges Anliegen, die Freiräume für unsere Hochschulen zu erhalten. „

Hochschulzukunftsgesetz

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Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns nach der Anhörung im Wissenschaftsaus-schuss noch einmal intensiv mit der Kritik am Regierungsentwurf und den Anregungen der Hochschulleitungen, der Hochschulräte, der Studierenden, der Personalvertretungen und der Gruppe der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer auseinandergesetzt. Wir haben, wie ich finde, im Dialog mit allen Beteiligten tragfähige Lösungen erarbeitet, die wir heute in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs beschließen wollen.
Herr Berger, ich hätte mich gefreut, wenn Sie sich in diesem Prozess wenigstens ein einziges Mal positiv eingebracht hätten, statt heute – wie eigentlich immer – mit leeren Worthülsen und absurden Behauptungen um sich zu schlagen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Man muss sich diese Wortwahl einfach einmal antun. Ich nenne Begriffe wie „Degeneration“, „Diktatur“ und „Entmündigung“. Wer kann so etwas in einer ernsthaften Debatte wirklich vertragen und ernst nehmen?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wenn Sie mit Begriffen wie „Demokratie“, „Geschlechtergerechtigkeit“ und „Transparenz“ nichts anfangen können, dann kann man nur vermuten, dass Ihnen und der CDU-Fraktion die Werteorientierung abhandengekommen ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung in Bezug auf eine gute Lehre, auf nachhaltige Forschung, auf Gleichstellung und auf faire Arbeitsverhältnisse hat doch mit der Einschränkung von Autonomie oder gar der Wissenschaftsfreiheit nicht im Geringsten etwas zu tun.
Ich will – auch in Bezug auf das, was Sie eben gesagt haben – noch einmal darauf hinweisen, dass der Autonomiegrad unsere Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts nach wie vor der weitest gehende in der Bundesrepublik ist. Das kann ich auch belegen: In Berlin sitzt das Ministerium mit im Hochschulrat. In Bayern ist die Berufung von Professorinnen und Professoren originäres Recht des Ministeriums. In 15 Bundesländern sind die Hochschulen noch nachgeordnete Landeseinrichtungen, die der unmittelbaren Weisung des Ministeriums unterstehen. Nicht so in Nordrhein-Westfalen!
Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist auch für uns ein wichtiges Anliegen, die Freiräume für unsere Hochschulen zu erhalten. Aber dabei bleiben wir nicht stehen, sondern wir verbessern auch die Karrierewege für Frauen in der Wissenschaft, indem wir unter anderen die vom Wissenschaftsrat und von der DFG vorgeschlagenen Zielquoten nach dem Kaskadenmodell gesetzlich verankern. Wir stärken die innerhochschulische Demokratie, und wir stellen auch die Verantwortung des Landtags stärker heraus.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist unser Leitbild. Wir orientieren uns an der Vorstellung von Hochschulen, die autonom sind, aber in besonderer Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Staat stehen.
Frau Freimuth, wer die Moral nicht hören will, sollte wenigstens das Recht akzeptieren. Spä-testens die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli dieses Jahres in Bezug auf das niedersächsische Hochschulrecht macht doch die verfassungsrechtlich bedenkliche Konstruktion des Pinkwart‘schen Steuerungsmodells noch einmal sehr deutlich. Deshalb wird sich künftig der Senat wieder an wichtigen hochschulinternen Entscheidungen beteiligen können, bei der Rektoratswahl und bei der Hochschulentwicklungsplanung. Ja, es war das Wunderbare an dem Pinkwart’schen Gesetz, dass er das alles auf die Hochschul-leitungen konzentriert und damit gegen die Verfassung verstoßen hat, weil er die Wissenschaftsautonomie für den Senat nicht mehr garantiert hat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ein echter Webfehler der schwarz-gelben Vorgängerregierung war es auch, die Hochschulen rechtlich zu verselbständigen und dabei zu vergessen, dass man für die bundesweit dichteste Hochschullandschaft möglicherweise so etwas wie einen Masterplan braucht. Es ist doch vollkommen klar, dass sich Hochschulen, die sich untereinander in einem Wettbewerb befinden, kaum in der Lage sind, die landesweite Gesamtentwicklung im Blick zu behalten und sich entsprechend untereinander abzustimmen.
Mit der Letztentscheidung des Landtags über den Landeshochschulentwicklungsplan rückt damit auch die Debatte über die strategischen Leitlinien der Hochschulpolitik in die Mitte des Parlaments, wo sie, wie ich finde, auch hingehört und was der Bedeutung der 37 Hochschulen und ihrer fast 700.000 Studierenden gerecht wird. Denn es geht dabei um eine Stärkung der Hochschulen durch den Gesetzgeber. Sie sichert den Hochschulen in Zeiten auch an-gespannter öffentlicher Haushalte eine breite Legitimationsbasis.
Nicht zuletzt die Befürchtung der Rektorinnen und Rektoren sowie Kanzlerinnen und Kanzler vor einer Detailsteuerung durch den Erlass von Rahmenvorgaben haben wir nach vielen Gesprächen, also im Dialog, aus dem Weg räumen können. Nach dem jetzigen Stand des Gesetzes müssen die Hochschulen vor der Erstellung von Rahmenvorgaben angehört wer-den, und es gibt einen Parlamentsvorbehalt für die aufgestellten Grundsätze im Rahmen einer Rechtsverordnung. Damit ist auch geklärt, was unter „Rahmenvorgaben“ zu verstehen ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das Märchen von der Rückabwicklung der Hochschulfreiheit, das Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, immer wieder gerne verbreiten, entbehrt jeglicher vernünftiger Grundlage.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine exzellente Hochschullandschaft, auf die wir stolz sind und die wir stärken wollen. Wir haben die Mittel für die Hochschulen trotz der schwierigen Haushaltslage in den letzten Jahren kontinuierlich und erheblich steigern können, so-dass diese in der Lage waren, auch den doppelten Abiturjahrgang hervorragend zu bewältigen.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Warum denn?)
Zwischen 2011 und 2014 ist fast 1 Milliarde € aus Landesmitteln für den zusätzlichen Auf-bau von Studienplätzen geflossen. Mit Hochschulfreiheit alleine, Frau Freimuth, wie Sie es immer so gerne sagen, lässt sich kein einziger Studienplatz schaffen. So etwas kann auch nur die FDP behaupten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch eine Anmerkung zum Änderungsantrag der FDP machen: Frau Freimuth, als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich mich gefragt, wie Sie behaupten können, dass die Menschen Ihre liberalen Gesetze so ungeheuer schätzen. Das sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz war ja ein durch und durch liberales Gesetz, wenn man so will. Wie erklären Sie sich denn die Tatsache, dass Sie inzwischen in keinem einzigen Bundesland mehr in der Regierung sind und offensichtlich auch nirgendwo mehr gewählt werden, wenn doch Ihre Gesetze so gut sind?
(Beifall von den GRÜNEN und Iris Preuß-Buchholz [SPD])
Wenn Sie in Ihrem Antrag feststellen, dass die Frauenquote – ich zitiere –: „in einigen Fach-bereichen eine ganze Generation von männlichen Akademikern von der Lehrstuhlberufung aussperren“ würde,
(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)
kommen mir geradezu die Tränen.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Frau Freimuth, in welcher Welt leben Sie eigentlich, dass Sie die Tatsache, dass bislang nur 20 % aller Spitzenpositionen in Forschung und Lehre mit Frauen besetzt sind, komplett ausblenden und auch die bundesweite Debatte darüber einfach ignorieren?
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Da ist viel gequirlter Unsinn in Ihrem Änderungsantrag zu lesen. Ich kann an dieser Stelle nicht auf alles eingehen.
Dennoch laden wir Sie und alle Fraktionen ein, unserer Vorlage für ein zukunftsfähiges Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen heute zuzustimmen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)