Dr. Ruth Seidl: „Es geht um eine bessere Landesplanung, eine Austarierung der Zuständigkeiten von Senat und Hochschulrat, um mehr Transparenz, um Partizipation und Gleichstellung.“

Gesetzentwurf zum Hochschulzukunftsgesetz

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Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Berger, das, was Sie eben zum Thema „Transparenz in der Forschung“ gesagt haben, ist genauso von vorgestern wie das Hochschulgesetz von 2006.
Wie Sie vielleicht auch schon mitbekommen haben, haben inzwischen auch der Evonik-Vorstand sowie die Landesrektorenkonferenz der Fachhochschulen, mit denen ich gestern noch gesprochen habe, der geplanten Regelung im Gesetz zugestimmt, und zwar weil sie ausgewogen ist.
Hier ist, glaube ich, die Balance zwischen der Transparenzpflicht einerseits und den schutzwürdigen Interessen der Wirtschaft andererseits gefunden. Und das ist auch richtig so.
Im Übrigen gibt es auch vonseiten des Tierschutzes viel Beifall, zum Beispiel bei den Tierschutzverbänden. Beifall gibt es aber auch bei der Bayer Pharma, um einmal die gegensätzlichen Parteien zu nennen.
Worum geht es bei der Novellierung des Hochschulgesetzes heute? – Es geht um eine bessere Landesplanung, eine Austarierung der Zuständigkeiten von Senat und Hochschulrat, um mehr Transparenz, um Partizipation und Gleichstellung. Dabei orientieren wir uns als rot-grüne Koalition an der Vorstellung von Hochschulen, die autonom sind, aber in besonderer Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Staat stehen.
Das von Ihnen, Herr Berger, 2006 auf den Weg gebrachte Hochschulfreiheitsgesetz hatte offensichtlich eine andere Vision, nämlich die der Privatisierung von Hochschulbildung, was insbesondere deutlich wurde, als der damalige Wissenschaftsminister zeitgleich mit den Studiengebühren um die Ecke kam.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich sage Ihnen, Herr Berger: Niemand hat etwas dagegen, dass Fachhochschulen und Universitäten auch unternehmerisch tätig sein können oder Drittmittel einwerben. Aber im Kern sind Hochschulen eben keine Unternehmen. Sie stellen weder Produkte her, noch verkaufen sie sie. Sie sind vielmehr Wissenschaftseinrichtungen, bei denen die Freiheit von Forschung und Lehre im Mittelpunkt steht.
In Bezug auf das Leitbild von Hochschule kann man unterschiedlicher Meinung sein und das ideologisch rauf und runter diskutieren.
Aber wenn Sie sich die Rechtsprechung zu den Hochschulgesetzen in anderen Bundesländern ansehen, werden Sie erkennen, dass das bisherige Steuerungsmodell im Hochschulfreiheitsgesetz in entscheidenden Fragen rechtlich bedenklich ist. Es gibt Änderungsbedarf unter anderem bei der Rektoratswahl und bei der Beteiligung des Senats bei grundlegenden Angelegenheiten der Hochschule. Das sieht der vorliegende Entwurf in diesen Punkten vor.
Ein echter Webfehler war es auch, die Hochschulen rechtlich zu verselbstständigen und dabei zu vergessen, dass man für eine solch große Landschaft einen Masterplan braucht. Denn klar ist, dass Hochschulen, die sich in einem Wettbewerb untereinander befinden, kaum in der Lage sind, die landesweite Gesamtentwicklung im Blick zu halten und sich entsprechend untereinander abzustimmen.
Als neues Steuerungselement ist daher ein Landeshochschulentwicklungsplan vorgesehen, der dem Parlament Mitgestaltungsmöglichkeiten in der Hochschulpolitik eröffnet,
(Widerspruch von Angela Freimuth [FDP] – Dr. Stefan Berger [CDU]: Falsch! – Angela Freimuth [FDP]: Frau Kollegin! – Weitere Zurufe)
indem er die grundsätzlichen strukturellen Leitlinien für die Weiterentwicklungen des Gesamtprofils der 37 nordrhein-westfälischen Hochschulen in den Blick nimmt.
(Widerspruch von Dr. Stefan Berger [CDU] – Zurufe von der FDP)
– Dann lesen Sie mal das Gesetz genau. Sie haben es eben nicht verstanden. Darüber werden wir uns im Ausschuss noch einmal en détail unterhalten. Diese Eckpunkte beschließt nämlich das Parlament.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dr. Stefan Berger [CDU]: Nein! – Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)
– Oh ja. Vielleicht lesen Sie mal den Begründungsteil; dann fällt es Ihnen leichter, das zu verstehen.
(Marcel Hafke [FDP]: Lesen Sie selbst das Gesetz! – Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)
Sicherung der Fächervielfalt, Profilierungen, Festlegungen der Kapazitäten von Universitäten und Fachhochschulen oder qualitative Dimensionen des Arbeitsmarktes – um diese Themen geht es.
Es ist völliger Unsinn, wenn Sie in diesem Zusammenhang immer von „Detailsteuerung“ oder „ministerieller Steuerungswut“ sprechen, Herr Berger. Hier geht es vielmehr um eine Stärkung der Hochschulen durch den Gesetzgeber. Sie sichert den Hochschulen in Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte – Sie wissen alle, dass das der Hintergrund ist – eine breite Legitimationsbasis.
(Angela Freimuth [FDP]: Hört, hört! – Weitere Zurufe von der FDP)
Wenn wir die Umsetzung – Herr Berger, Sie haben das als anderes Thema angesprochen – des Bologna-Prozesses vor dem Hintergrund der KMK-Strukturvorgaben und der Lissabon-Konvention betrachten und das an entscheidenden Punkten regeln wollen, tun wir das auch aus Verantwortung für unsere Studierenden.
Gerade die jüngsten Debatten über G8 oder G9 an den Schulen sowie über Arbeitsbelastung, Stofffülle und Prüfungsdichte in den Bachelor- und Masterstudiengängen zeigen, dass es an der Zeit ist, sich über die Kultur des Lehrens und Lernens an unseren Bildungseinrichtungen ernsthafte Gedanken zu machen.
Wie geht man mit dem Thema „Anwesenheitspflicht“ verantwortlich um? Wie kann es gelingen, in den modularisierten Studiengängen Raum und Zeit für mehr Flexibilität, forschendes Lernen und Reflexion des Gelernten zu schaffen? Wenn Sie hier von „Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit“ sprechen, ist das geradezu zynisch, Herr Berger.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich bin stolz darauf, dass wir neben Baden-Württemberg – dieses Land war ein kleines bisschen schneller mit der Einbringung des Gesetzentwurfs – die ersten sind, die eine flexible Frauenquote für Professuren gesetzlich verankern.
(Beifall von Renate Hendricks [SPD])
Frauen sind in Wissenschaft und Forschung nach wie vor unterrepräsentiert. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen bei der Gleichstellung sind wir an den Hochschulen nur im Schneckentempo vorangekommen. Das hat uns der Bericht des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung noch einmal sehr eindrücklich vor Augen geführt, den wir uns in der letzten Ausschusssitzung angehört haben.
Durch die Einführung verbindlicher Quotenregelungen auf der Leitungsebene und durch das Kaskadenmodell sorgen wir für mehr Geschlechtergerechtigkeit an unseren Hochschulen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch das Thema „Gute Arbeit“ – die Ministerin hat das eben angesprochen – für unsere Beschäftigten wird seit der Verselbstständigung der Hochschulen immer drängender. Der im Gesetzentwurf vorgesehene Rahmenkodex soll gleichwertige Arbeitsbedingungen für das wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Personal im Wege eines bindenden öffentlich-rechtlichen Vertrags zwischen den Hochschulen, den Landespersonalrätekonferenzen und dem Ministerium landesweit sicherstellen. Ziele sind unter anderem eine nachhaltige Personalentwicklung und die Verhinderung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die wir zurzeit in ganz Deutschland vorfinden.
Wer vor diesem Hintergrund immer noch von „Einschränkung der Autonomie“ spricht, lässt wesentliche Statusgruppen an unseren Hochschulen eiskalt außen vor. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung in Bezug auf eine gute Lehre, nachhaltige Forschung, Gleichstellung und faire Arbeitsverhältnisse hat mit der Einschränkung von Autonomie oder gar Wissenschaftsfreiheit nicht im Geringsten etwas zu tun.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Verglichen mit allen anderen Bundesländern haben wir, was die Eigenverantwortung unserer Hochschulen angeht, nach wie vor das freiheitlichste Hochschulgesetz in der Bundesrepublik.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
In Berlin sitzt das Ministerium mit im Hochschulrat. In Bayern ist die Berufung von Professorinnen und Professoren originäres Recht des Ministeriums.
(Zuruf von den GRÜNEN: Hört, hört!)
In 15 Bundesländern sind die Hochschulen noch nachgeordnete Landeseinrichtungen, die der unmittelbaren Weisung des Ministeriums unterstehen.
(Arndt Klocke [GRÜNE]: Hört, hört!)
Das ist die Wirklichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.
Insofern hoffe ich, dass Sie künftig etwas maßvoller mit Begriffen wie „Entmündigung“ oder „Steuerungswut“ umgehen. Wir freuen uns aber auf die Diskussion in der kommenden Anhörung.
Wir sind gleichermaßen offen für alle vernünftigen und sachgerechten Änderungs- und Verbesserungsvorschläge. Kein Gesetz verlässt den Landtag so, wie es hineingekommen ist.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Ja, gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Dann bauen wir sie ganz schnell ein. Bitte schön, Herr Berger.
Dr. Stefan Berger (CDU): Vielen Dank, Frau Kollegin. – Da Sie die Freiheit betont haben, frage ich Sie: Wie stehen Sie zum Instrument der Rahmenvorgaben?
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Lieber Kollege, wir haben jetzt noch eine große Anhörung vor uns, in der wir über das Thema „Rahmenvorgaben“ ausführlich diskutieren können. Am Ende werden wir zu einer guten Lösung kommen und werden gegebenenfalls als Parlament Einfluss auf diese Rahmenvorgaben haben.
Ich bin guter Hoffnung, dass wir da zu einem positiven Ende kommen. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU]: Das klang mal gut!)