Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bemerkenswert, Herr Berger, wie resistent Sie gegenüber jeglicher Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit sind, wie Sie sich heute allen seriösen Zahlen verschließen und stattdessen Populismen vor sich hertragen, dass es nur so trieft.
(Lachen von Dr. Stefan Berger [CDU])
Wenn Sie heute zum wiederholten Male die Behauptung aufstellen – Frau Freimuth hat das eben auch getan –, die Hochschulen hätten mit der Abschaffung der Studiengebühren weniger Finanzmittel zur Verfügung, dann ist das eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Dr. Stefan Berger [CDU]: Pro Kopf, nicht absolut!)
Denn selbst ohne die 249 Millionen €, die wir den Hochschulen zur Verbesserung der Qualität zusätzlich zur Verfügung stellen, haben die Hochschulen pro Studierendem in 2012 gegenüber der Bezugsgröße im Jahr 2009 mehr Geld in der Tasche als vorher. Das ist die Realität.
(Dr. Stefan Berger [CDU] fasst sich an den Kopf, zeigt einen „Vogel“ und ruft: Gegenüber 2009?)
– Ich weiß nicht, welche Wahrnehmung Sie haben.
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Gegenüber 2009?)
Aber vielleicht hilft es, in diesem Zusammenhang die Stimmen der Hochschulen zu hören. Der Rektor der Universität zu Köln, der größten Hochschule in Nordrhein-Westfalen, hat am 24. Januar bei seiner Rede zum Jahresempfang gesagt – Herr Berger, ich zitiere –:
„Die Studienbeiträge wurden zwar abgeschafft; jedoch hat das Land sein Versprechen gehalten und sie durch sog. Qualitätsverbesserungsmittel ersetzt. Diese liegen für die Kölner Uni zwar etwas unter dem, was durch Studienbeiträge eingenommen wurde. Aber in der Gesamtschau kann man letztendlich doch feststellen: Im Vergleich zu 2006, als es noch keine Studiengebühren und Qualitätsverbesserungsmittel gab, hat sich der Haushalt der Uni Köln um ca. 20 Mio. p.a. für die Verbesserung von Studium und Lehre erhöht. Dies ist in vielen Bereichen deutlich spürbar und trägt erheblich zur Verbesserung der Situation in Studium und Lehre bei.“
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dr. Stefan Berger [CDU]: Pro Kopf!)
– Herr Berger, das war von Herrn Freimuth!
Also: Was ist an Ihren Behauptungen zur Schlechterstellung der Hochschulen durch die Abschaffung der Studiengebühren dran?
(Dr. Stefan Berger [CDU]: Pro Kopf!)
Ich glaube, alles, was Sie hier von sich geben, ist heiße Luft. Sie suchen doch nur einen Grund, die Studiengebühren zu legitimieren, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb. Das ist der Punkt. Das haben Sie beide heute wieder deutlich gemacht.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen bundesweiten Entwicklung ist das doch lächerlich. Denn fast alle Länder, die jemals Studiengebühren eingeführt haben, treten gerade den Rückzug an bzw. sind den Rückzug schon angetreten, darunter mindestens zwei Länder mit CDU-Ministerpräsidenten. Ich bin mir sicher, Herr Berger: Die haben überhaupt nicht die Absicht, das Bezahlstudium wieder einzuführen.
Studiengebühren sind in Deutschland auf dem Rückzug. Das hat, wie wir kürzlich hören konnten, inzwischen auch Herr Seehofer verstanden.
Bemerkenswert ist auch, Frau Freimuth, wenn ich das noch anmerken darf, die Kehrtwende der FDP in Bayern. Ich zitiere:
„‚Studiengebühren abschaffen‘, forderte der stellvertretende FDP-Landesvorsitzende Andreas Fischer in der ‚Mittelbayerischen Zeitung‘ (Online-Ausgabe): ‚Ich bin davon überzeugt, dass eine Mehrheit der Bürger gegen Studiengebühren stimmen wird.‘„
Das sagte er Ende Oktober in Bezug auf das Volksbegehren, das gerade in Bayern läuft.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Lindner [FDP]: Und Helmut Schmidt fordert Studiengebühren!)
Eigentlich müsste das bei Ihnen auch schon angekommen sein. Studiengebühren bauen zusätzliche soziale Hürden auf, Frau Freimuth, insbesondere für einkommensschwache Familien.
Was Sie behaupten, stimmt so nicht. In 2006 – das haben wir sehr genau berechnet und deutlich gemacht – ist die Studierendenquote in Nordrhein-Westfalen auf einen Tiefpunkt gesunken, und zwar bei Einführung der Studiengebühren durch Minister Pinkwart. Zurzeit haben wir einen Höhepunkt dieser Entwicklung. Im Vergleich zu allen anderen Bundesländern liegen wir über dem Durchschnitt. Deshalb ist die Wiedereinführung der Bildungsungerechtigkeit in Nordrhein-Westfalen für uns kein akzeptabler Weg der Haushaltssanierung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Dr. Seidl, würden Sie Zwischenfragen von Frau Freimuth und Herrn Hafke zulassen?
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Nein. – Dass wir mittelfristig weitere Investitionen tätigen müssen, um die steigenden Studienanfängerzahlen aufzufangen, die uns die neue KMK-Prognose vorrechnet, ist durchaus richtig.
Allerdings steht hier auch der Bund mit in der Pflicht. Der hat nicht nur seinen Teil zum Auffangen der Kosten für die zusätzlichen Studierenden beizusteuern, sondern endlich auch eine angemessene Masterkomponente im Hochschulpakt zu berücksichtigen. Ihre Fraktionen in Berlin, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, weigern sich bisher aber, ihre Mitverantwortung wahrzunehmen und bürden die Deckung der zusätzlichen Kosten allein den Ländern auf.
Da Sie diese Linie offensichtlich mittragen, Herr Berger, muss man sich wirklich fragen, welches Sparkonzept die CDU-Landtagsfraktion eigentlich verfolgt. Anstatt Frau Schavan endlich mit in die Pflicht zu nehmen, vernünftige Grundlagen beim Hochschulpakt zu schaffen, bewegen Sie sich hier auf hochschulpolitischem Glatteis.
(Lachen von Dr. Stefan Berger [CDU])
Frau Ministerin Schulze hat, wie Sie wissen, im vergangenen Jahr eine Initiative gestartet, um den Bund dazu zu bewegen, die erforderlichen zusätzlichen Finanzmittel im Hochschulpakt bereitzustellen. Die Verhandlungen wurden im April dieses Jahres im Rahmen einer GWK-Sitzung aufgenommen und werden hoffentlich spätestens bei der nächsten GWK-Sitzung am 16. November mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass das Geld Anfang des kommenden Jahres fließen kann.
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Tragen Sie dazu bei, dass es zu einer fairen und gemeinsamen Lösung kommen wird.
Herr Berger, Sie sprachen die Wohnsituation der Studierenden an. Erfreulich ist doch, dass nach Jahren der Kürzungen durch die schwarz-gelbe Vorgängerregierung die Studentenwerke nun endlich mehr Geld erhalten, um ihre gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben doch aufgestockt, was Sie in den vergangenen Jahren unter Pinkwart abgebaut haben. Das ist doch die Realität beim Wohnungsbau.
Auch der Bearbeitungsstau beim BAföG an einzelnen Hochschulstandorten muss dabei selbstverständlich in den Blick genommen werden.
Mehr als abenteuerlich, geradezu anachronistisch ist der bereits zum zweiten Mal eingebrachte Vorschlag von der CDU, hier die zusätzlichen Mittel aus der Frauenförderung zu verwenden. Das zeigt auch noch einmal, was für ein überkommenes Frauenbild die CDU hat. Die gesamte Wissenschaftscommunity redet über die unzureichende Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen an Hochschulen und in Forschungseinrichtungen. Nur Sie, Sie scheinen dies komplett auszublenden.
Gleichstellung ist eine Frage der Qualität. Wir investieren deshalb in den kommenden drei Jahren 5,4 Millionen € jährlich, um hier endlich einen entscheidenden Schritt in Nordrhein-Westfalen voranzukommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sicherung ausreichender Finanzmittel für unsere Hochschulen ist ein Schwerpunkt der Landespolitik. Hochschulbildung ist und bleibt ein elementarer Bestandteil der Bildungskette. Jeder zusätzliche Studienabschluss hat positive Wirkungen für den Arbeitsmarkt, reduziert damit Kosten für den Staat und bringt die gesamte Wirtschaftsleistung voran.
Das Land steht hier in der Tat in der Verantwortung. Aber auch der Bund muss sich angemessen beteiligen. Daher ist es erfreulich, dass die Debatte um das Kooperationsverbot nun an Fahrt gewonnen hat und wir nicht mehr alleine über Finanzspritzen für Eliteuniversitäten, sondern dass Bund und Länder endlich auch über eine gemeinsame Verantwortung und Finanzierung der Bildung und der Hochschulen in der Breite reden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vor diesem Hintergrund sollten Sie Ihre politische Strategie noch einmal überdenken, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb. Die „Privat vor Staat“-Politik hat in der Gesellschaft nämlich deutlich an Akzeptanz verloren. Das zeigen alle relevanten Umfragen der letzten Monate. Insofern bewegen Sie sich mit Ihren Sparvorschlägen, die zulasten der jungen Menschen und der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft gehen, auf ganz, ganz dünnem Eis. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)