Dr. Robin Korte: „Unsere Kommunen sind die Keimzelle unserer Demokratie“

Zum Entwurf der Landesregierung für das Gemeindefinanzierungsgesetz 2024

Portrait Robin Korte

Dr. Robin Korte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wohl selten wurde ein Gesetzentwurf so heiß diskutiert, bevor er überhaupt das Licht der Welt erblickt hat. Die Rede ist hier keineswegs vom Gebäudeenergiegesetz der Bundesregierung, sondern von unserer nordrhein-westfälischen Gemeindefinanzierung.

Dass ein eher technisches Gesetz wie das GFG, das, wenn wir ehrlich sind, selbst für erfahrene Praktikerinnen und Praktiker schwer bis in den letzten Winkel zu durchschauen ist, derart das politische Sommerloch in Nordrhein-Westfalen füllt und nicht wenige von uns in den Sommerferien beschäftigt hat, ist Ausdruck eines tiefer gehenden Problems in den Kommunalfinanzen – eines Problems, das, wenn wir uns ehrlich machen, längst hätte gelöst sein können.

Denn die Chance, unsere Gemeindefinanzen in Nordrhein-Westfalen nach Jahrzehnten endlich wieder flächendeckend auf stabile Beine zu stellen, war da. Wir haben sie allerdings nicht genutzt, sondern wir haben sie verstreichen lassen – spätestens in den Jahren 2020 und 2021, als der mit dem Stärkungspakt Stadtfinanzen eingeschlagene Weg trotz der damals frei gewordenen Haushaltsspielräume nicht weitergeführt wurde.

Die damals frei gewordenen Mittel von im Schnitt über 400 Millionen Euro pro Jahr sind nun ironischerweise ziemlich genau der Betrag, über den wir im Sommer so intensiv mit den Kommunen diskutiert haben, weil es in etwa die Summe ist, die auch für den Einstieg in eine Altschuldenlösung für unsere Kommunen benötigt wird und die ja für dieses GFG zunächst als Vorwegabzug vorgesehen war.

Heute sind die historischen Haushaltsspielräume aus der Zeit vor Corona Geschichte. Einem derartigen Kraftakt zur Entschuldung der Kommunen aus dem Landeshaushalt allein fehlt – das müssen wir uns eingestehen – zumindest kurzfristig die Grundlage.

Deshalb ist es auch die richtige Entscheidung gewesen, dass diese Landesregierung den Einstieg in die kommunale Altschuldenlösung auf das Haushaltsjahr 2025 verschoben hat, ihn aber zugleich auch erstmals in der Geschichte dieses Landes klar zugesagt hat und damit die Hand in Richtung Bund ausgestreckt hat –

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

wohlgemerkt ausgestreckt in Richtung eines Bundesfinanzministers, der diese ausgestreckte Hand, zumindest Stand jetzt, nicht annimmt und der dabei auch um Begründungen nicht verlegen ist, von denen alle Welt weiß, dass sie fadenscheinig sind. Das gilt insbesondere für die Begründung, dass er eine Landesfinanzierung fordert, zu der er uns die Möglichkeit mit seiner Finanzpolitik selbst wieder abschneidet. Denn es ist derselbe Bundesfinanzminister, der in schweren Krisenzeiten auf einer ruinösen Schuldenbremse beharrt und der zur Finanzierung seiner Steuergeschenke ungeniert und immer wieder in die Taschen von Ländern und Kommunen greift.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Steuerentlastungsgesetz, Viertes Corona-Steuerhilfegesetz, Inflationsausgleichsgesetz und Entlastungspaket III –

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

allein diese vier genannten Eingriffe in die Gemeinschaftssteuern von Bund, Ländern und Kommunen kosten das Land Nordrhein-Westfalen rund 4 Milliarden Euro pro Jahr. Jetzt soll auch noch das Wachstumschancengesetz hinzukommen.

Ich glaube, es ist völlig müßig, zu erläutern, was unsere Landesregierung mit diesen 4 Milliarden Euro in puncto Altschuldenlösung und Unterstützung für Kommunen hätte darstellen können.

Lieber Herr Moor, unter diesen Bedingungen hätten auch Sie den Verbundsatz nicht erhöhen können, so wie es ja auch die letzte SPD-geführte Landesregierung 2010 bis 2017 nicht getan hat.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Es gehört auch dazu, dass diese Eingriffe in die Steuermasse der Länder ganz unmittelbar auch die Verbundmasse der Gemeindefinanzierung treffen und damit die Kommunen treffen, die dadurch allein im kommenden Jahr bei diesem Gemeindefinanzierungsgesetz mit rund 600 Millionen Euro weniger auskommen müssen. Die Summe von 600 Millionen Euro entspricht etwa 4 % des gesamten GFG. Das können kommunale Haushalte in der Krise und in der Inflation nicht mal eben so wegstecken.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere öffentlichen Haushalte stehen heute an einem Punkt, der sie an den äußersten Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringt und der elementare Grundsätze der Daseinsvorsorge infrage stellt. Nirgends wird das gerade so deutlich wie in unseren Städten und Gemeinden, wo viele Kämmereien derzeit ratlos sind, auf welcher Grundlage und welcher Einnahmebasis sie den nächsten Haushalt aufstellen sollen, wo sich ehrenamtlichen Kommunalpolitiker*innen derzeit die Wahl zwischen Pest und Cholera darstellt, ob sie wichtige soziale Leistungen kürzen, ob sie Schulsanierungen in der Zeit schieben oder ob sie zum wiederholten Mal die Grundsteuer erhöhen sollen, und wo die Träger sozialer Infrastruktur derzeit nicht wissen, ob sie sich auf lange sicher geglaubte kommunale Zuschüsse noch verlassen können und wie sie ihr Personal im nächsten Jahr bezahlen werden.

Diese Zustände, die sich derzeit in unseren Kommunen auftun und anbahnen und für die wir eine Lösung suchen, sind letztlich aber der Scherbenhaufen einer dogmatischen und sich unlogischen Lindner’schen Fiskalpolitik. Das hat Frau Ministerin Scharrenbach schon treffend im Ausschuss festgestellt.

(Lachen von Henning Höne [FDP])

Ich zitiere sie an dieser Stelle gerne. Sie hat dort gesagt:

Steuern senken, Investitionen steigern und gleichzeitig Schulden zurückzahlen: Diese Rechnung geht einfach nicht auf; diese Rechnung kann einfach nicht aufgehen – zumindest nicht, ohne Kollateralschäden nach sich zu ziehen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

So müssen wir uns nun heute mit einem Gemeindefinanzierungsgesetz befassen, das inmitten der höchsten Inflation, die unser Land seit der Wiedervereinigung je erlebt hat, hinter dem Notwendigen ja nur zurückbleiben kann und das die Zuweisungen für unsere Städte, Gemeinden, Kreise und Landschaftsverbände in etwa auf dem Vorjahresniveau deckeln muss.

Da gibt es auch wenig schönzureden, was diese Finanzausgleichmasse angeht. Denn dass das Geld derzeit in vielen Kommunen vorne und hinten nicht reicht, das bekommen Sie alle mit. Auch wenn die Finanzausgleichsmasse im letzten Jahr noch kräftig gestiegen ist, so konnte sie schon da die Kostensteigerungen in den Kommunen gerade so wettmachen – Kostensteigerungen, die nachhaltig nur mit mehr Geld im steuerlichen Verbundsystem finanziert werden können, unter den derzeitigen und eben skizzierten steuerpolitischen Rahmenbedingungen. Indem diese Bundesregierung den innerparteilichen Frieden der FDP immer wieder zulasten von Ländern und Kommunen saniert, wird uns das auf absehbare Zeit aber kaum gelingen können.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend auch noch zu einigen Details des diesjährigen Gesetzentwurfs kommen und das zunächst mit einem Dank an alle Beteiligten verbinden: an Frau Ministerin Scharrenbach, die hier alles dafür getan hat, unter schwierigen Rahmenbedingungen einen guten Ausgleich zwischen den Kommunen zu erreichen,

(Christian Dahm [SPD]: Ich bringe gleich die Blumen!)

aber natürlich auch an die kommunalen Spitzenverbände, mit denen wir auch in finanzpolitisch schwierigen Zeiten vertrauensvoll diskutieren und zusammenarbeiten.

So ist es in den vergangenen Wochen dann gelungen, die hitzige Debatte des Sommerlochs zu versachlichen und hier für das Jahr 2024 ein Gemeindefinanzierungsgesetz vorzulegen, das die berechtigten Hinweise aus der kommunalen Familie aufgreift. Damit trägt die Landesregierung das bei, was ihr derzeit möglich ist, um gegenüber den ursprünglichen Eckpunkten für eine Entlastung der Kommunen im weiterhin schwierigen Haushaltsjahr 2024 zu sorgen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Durch die gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden vereinbarte Verschiebung der Altschuldenübernahme wird der Finanzausgleich im kommenden Jahr um insgesamt ca. 400 Millionen Euro entlastet. Und – auch das ist ein wichtiger Punkt – durch den Verzicht auf die Anhebung der Aufwands- und Unterhaltungspauschale werden darüber hinaus gezielt die Städte und Gemeinden entlastet, die aufgrund ihrer unterdurchschnittlichen Finanzkraft besonders auf die Schlüsselzuweisungen aus dem GFG angewiesen sind.

Gleichzeitig – das ist sicherlich die wichtigste inhaltliche Veränderung im GFG – stellt die Landesregierung das Gemeindefinanzierungsgesetz auch strukturell besser auf, indem sie dafür sorgt, dass die Finanzmittel, wenn sie schon knapp sind, wenigstens fair und nach besten Wissen gemäß Stand der Wissenschaft, nämlich auf Basis einer aktuellen Datenermittlung, verteilt werden. Nach inzwischen zehn Jahren wird dieses GFG endlich wieder auf Basis einer vollständigen Grunddatenaktualisierung aufgestellt. Das ist gut und richtig so.

Denn wie wichtig das sein kann, damit die Zuweisungen für die Kommunen sich auch wirklich an ihrem tatsächlichen Bedarf festmachen, hat gerade erst in der vorletzten Woche der Übermittlungsfehler der Agentur für Arbeit verdeutlicht.

Zu der aktualisierten Datengrundlage – darauf ist mein Kollege Herr Frieling schon eingegangen – gehört natürlich auch erstmals die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die im Offenen Ganztag betreut werden. Indem wir die OGS-Schüler*innen jetzt endlich auch für das GFG wie Ganztagsschüler*innen berücksichtigen, erkennen wir zukünftig auch im Rahmen der Gemeindefinanzierung an, wenn Kommunen ihr OGS-Angebot ausbauen. Auch das ist gut und richtig so.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend zusammenfassen: Die regierungstragenden Fraktionen von CDU und Grünen hören den Kommunen in Nordrhein-Westfalen zu und handeln auch danach. So bringen wir heute ein GFG auf den Weg, das unter den derzeitigen konjunkturellen und bundespolitischen Rahmenbedingungen – man könnte auch klarer formulieren: unter dem Regime der Scholz’schen und Lindner’schen Schuldenbremse und Fiskalpolitik – den bestmöglichen Kompromiss darstellt.

(Zuruf von der FDP: Oh! – Zurufe von der SPD: Ey! Ey! Ey! – Marcel Hafke [FDP]: Mein lieber Scholli!)

Eine Lösung für die absolut gravierenden Probleme unserer Städte und Gemeinden, für ihre Unterfinanzierung und für ihre Überforderung, in die sie insbesondere auch der Bund durch ständig neue und nicht ausreichend gegenfinanzierte Aufgaben hineinbringt, kann aber auch dieses GFG alleine nicht sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Christian Dahm [SPD]: Gibt es auch eine Verantwortung der Grünen in der Bundespolitik?)

Unsere Kommunen sind aber die Keimzelle unserer Demokratie. Hier erfahren die Menschen, ob der Staat funktioniert. Ohne lebenswerte Städte und Gemeinden, die handlungsfähig sind, kommt auch die beste Politik aus Brüssel, aus Berlin oder auch hier aus Düsseldorf nicht bei den Menschen an.

Lassen Sie uns darum in den kommenden Monaten gemeinsam dafür streiten, dass kommunale Aufgaben auch angemessen finanziert werden. Ich glaube, dass die anstehenden Beratungen und Anhörungen zum GFG eine gute Gelegenheit sind, diese strukturelle Unterfinanzierung unter Beachtung aller föderalen Ebenen zu beleuchten. In diesem Sinne stimmen wir der Überweisung gerne zu. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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