Dr. Robin Korte: „Fishing for Compliments ohne Substanz“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zu einem "Brandbrief" der Kommunen an den Ministerpräsidenten

Portrait Robin Korte

Dr. Robin Korte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen, die vielleicht heute auch zuhören! Der hier vorliegende Antrag der SPD-Fraktion greift ein Thema auf, das uns in der Tat seit Monaten wie kaum ein zweites beschäftigt. Viele Feststellungen in Ihrem Antrag sind in der Tat auch vollkommen richtig, insbesondere die Prämissen.

Ja, die Kommunen sind die Herzkammer unserer föderalen Demokratie. In den Kommunen kommt die Politik, die wir hier im Landtag beschließen, bei den Menschen an. Daher sind wir alle darauf angewiesen, dass die Kommunen handlungsfähig sind und dass sie ihre Aufgaben umsetzen können und den Menschen vor Ort ein lebenswertes Umfeld schaffen können.

Auf mehr und mehr Kommunen trifft genau das mit der Handlungsfähigkeit aber nicht mehr zu, und das ist in der Tat besorgniserregend. Viele Kommunen befinden sich derzeit am Rande ihrer Leistungsfähigkeit oder sind bereits darüber hinaus, und die Menschen merken das. Wenn kommunale Steuern steigen, wenn gleichzeitig soziale Einrichtungen oder Sportangebote vor der Bedrohung stehen, geschlossen zu werden, und wenn Sanierungen immer weiter aufgeschoben werden, dann geht das nicht spurlos an einer Gesellschaft, an einer Stadtgesellschaft vorbei. Dieser Zustand muss sich deshalb dringend ändern.

An dieser Stelle muss ich feststellen, dass wir unter den demokratischen Parteien und Fraktionen hier im Haus zwar einen Konsens haben, was die Bedeutung von Kommunen für die Demokratie anbelangt. Leider haben wir aber keinen Konsens hinsichtlich einer auskömmlichen Finanzausstattung zur Sicherung dieser Demokratie und der Daseinsvorsorge vor Ort.

Wenn ich auf die aktuellen Auseinandersetzungen dieses Landes mit der Bundesregierung blicke, muss ich mich fragen, wie es insbesondere die FDP und die SPD auch hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen so unkritisch hinnehmen können, dass sich unser Bundesfinanzminister Lindner immer wieder aufs Neue kommunaler Einnahmen bedient, um Steuersenkungen zu bezahlen. Zugleich hält er trotz einer schwerwiegenden wirtschaftlichen Krise am Mantra der Schuldenbremse fest und beantwortet Ansprüche der Kommunen auf eine faire Lastenverteilung bei den Kosten zur Unterbringung Geflüchteter und bei vielen weiteren Aufgaben mit einem Achselzucken.

(Marcel Hafke [FDP]: Unglaublich!)

Das Steuerentlastungsgesetz, das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz, das Inflationsausgleichsgesetz, das Entlastungspaket III und das Wachstumschancengesetz reihen sich jetzt noch in die Liste der Bundesgesetze ein, mit denen den kommunalen Kassen mehr und mehr Einnahmen entzogen werden. Diese Liste wird auch immer länger.

(Christian Dahm [SPD]: Ihr habt im Bundesrat zugestimmt!)

Zugleich wird vielen bundesgesetzlich definierten Pflichtaufgaben die Finanzierungslücke, die der Bund den Kommunen überlässt, immer größer. Am Dramatischsten ist das derzeit bei der Eingliederungshilfe, wobei das auch den von Ihnen angesprochenen Rechtsanspruch auf den offenen Ganztag betrifft, Herr Dahm.

Liebe SPD, wenn Sie sich in Nordrhein-Westfalen zu Recht für eine auskömmliche Finanzierung der Kommunen einsetzen wollen, dann müssen Sie auch berücksichtigen, welche politische Ebene die dramatische Finanzsituation auf der kommunalen Ebene verursacht, und das ist der Bund.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Damit ist der Bund der einzige Player, der imstande ist, die kommunale Finanzkrise aufzulösen. Das ist auch kein bloßes Zeigefingerrichten, lieber Herr Dahm, sondern das ist in der Sache begründet.

(Christian Dahm [SPD]: Wer ist für die Kita-Finanzierung verantwortlich?)

Allein der Bund kann über ein Ende der Negativspirale bei den Steueranteilen von Ländern und Kommunen entscheiden. Es ist auch allein der Bund, der in der aktuellen Krisenlage eine vorübergehende Lockerung der Schuldenbremse, die dringend angezeigt wäre, bestimmen könnte.

Anstatt genau das zu tun, hat sich der Bund aber offenbar entschieden, die Kommunen zur Bad Bank seiner Finanzpolitik zu machen. Anstatt die notwendige Auseinandersetzung mit Ihren Genossinnen und Genossen in Berlin zu führen, wie wir das als Grüne intern natürlich auch längst tun, haben Sie als SPD sich aber offenbar entschieden, es sich mit diesem Antrag einfach zu machen und Finanzierungsforderungen ohne Substanz aufzustellen.

Wenn Sie aus der Opposition heraus einmal so eben die Erhöhung des Verbundsatzes fordern, dann sollten Sie bitte dazusagen – und vielleicht besteht dazu in einer zweiten Runde gleich noch die Gelegenheit –, warum Sie das nicht schon in den vielen SPD-geführten Landesregierungen der letzten Jahrzehnte gemacht haben. Denn der Verbundsatz liegt seit 1986 auf dem aktuellen Niveau, und seit 1986 hat es meines Wissens eine ganze Reihe von SPD-Ministerpräsidenten und SPD-Ministerpräsidentinnen in diesem Land gegeben.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Liebe SPD, Sie sollten auch dazu sagen, was die von Ihnen vorgeschlagene Erhöhung um zwei Prozentpunkte im Verbundsatz kostet, und wie Sie die ca. 2 Milliarden Euro, die das kostet,

(Christian Dahm [SPD]: 1,2!)

aus dem Landeshaushalt gegenfinanzieren wollen. Denn die derzeit einbrechenden Steuereinahmen treffen keineswegs nur die Kommunen, sondern sie treffen ebenso den Landeshaushalt, der längst ein Sparhaushalt geworden ist, weil er gleichzeitig auch die Lindnersche Schuldenbremse einhalten muss.

(Marcel Hafke [FDP]: Das ist unverschämt!)

Wie soll man es in dieser Finanzsituation dann auch noch vertreten, hier noch mehr Einsparungen vorzunehmen? Wo Landeshaushalt möchten Sie bitte die 1 bis 2 Milliarden Euro einsparen, vor allem angesichts der vielen Sonderwünsche, mit denen Sie als SPD uns im Landtag regelmäßig konfrontieren?

Genau diesen Punkt meine ich, wenn ich sage, dass Sie es sich hier zu einfach machen. Wenn man so viel Geld aus dem Landeshaushalt herausnehmen will, dann muss man seriöse Ideen liefern, wie und wo man die Lücken stopfen will. Mit „seriös“ meine ich auch nicht den bloßen Verweis auf die Konsolidierung von Förderprogrammen, ohne ein einziges Beispiel zu nennen, wo man am Ende den Rotstift konkret ansetzen möchte. Dieses Beispiel müssen Sie aber nennen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Liebe SPD, Ihr Antrag ist ein reines Fishing for Compliments ohne Substanz. Komplimente für diesen Antrag werden Sie sehr wahrscheinlich aber nicht einmal von SPD-geführten Kommunen bekommen, weil Sie sich um echte Verantwortungsübernahme und um ehrliche Lösungsvorschläge herumdrücken.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich möchte zu einem weiteren Punkt kommen, den Sie mit Ihrem Antrag fordern. Sie schreiben, dass die Landesregierung in Gespräche zu einer konsensualen Landeslösung für die Altschuldenproblematik eintreten solle, als würden diese Gespräche nicht bereits seit Monaten stattfinden. Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen von CDU und Grünen arbeiten selbstverständlich weiterhin im engen Austausch mit den kommunalen Spitzenverbänden am zugesagten Landesmodell zur Lösung der Altschuldenproblematik.

Ich wiederhole an dieser Stelle gerne noch einmal unsere Zusage. Wir werden unseren Teil der Aufgabe in Nordrhein-Westfalen unabhängig davon leisten, ob der Bundeskanzler gewillt ist, seine Versprechen einzulösen. Gleichwohl wäre es schön, wenn er gewillt wäre.

Dafür werden wir uns in enger Abstimmung mit den Spitzenverbänden mehr Zeit als zunächst geplant nehmen und diese Zeit auch nutzen, um zu Ergebnissen zu gelangen. Das schließt ausdrücklich die Zusage der Landesregierung ein, nach Wegen zu suchen, wie der Landesanteil an der Altschuldenlösung weiter erhöht werden kann.

Wie bei jedem Gesetzgebungsprozess ist die demokratische Opposition herzlich eingeladen, sich konstruktiv zu beteiligen. Insbesondere möchte ich Sie, liebe SPD, herzlich dazu einladen, damit wir gerade bei der Altschuldenfrage die Interessen des Landes und der Kommunen im Land gegenüber Berlin gemeinsam vertreten. Ihr diesbezügliches Angebot nehmen wir gerne an, Herr Dahm. Sie müssen dann aber aufhören, die Bemühungen der Landesregierung schlechtzureden.

Demgegenüber haben die kommunalen Spitzenverbände längst einen kritisch-konstruktiven Austausch mit der Landesregierung begonnen. Außerdem handeln die Kommunen bereits überparteilich, denn sie haben sich hinsichtlich der Altschuldenlösung nicht nur an den Ministerpräsidenten, sondern ausdrücklich auch – Sie haben das angesprochen – an Bundespräsident Steinmeier gewandt und ihn gebeten, auf der Bundesebene in der Diskussion um die Altschuldenlösung zu vermitteln.

(Christian Dahm [SPD]: Der macht aber keinen Finanzierungsvorschlag!)

Dabei wünsche ihm viel Erfolg. Was daraus wird, bleibt abzuwarten. Wichtig wäre es allemal, dass es zu dieser Vermittlung kommt, weil sich der Bund bei den Altschulden, aber auch hinsichtlich einer kurzfristigen Sicherung der kommunalen finanziellen Handlungsfähigkeit endlich bewegen muss. Man muss dort von der aktuell sehr dogmatisch geprägten Finanzpolitik der Bundesregierung abrücken.

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. Der Überweisung des Antrags stimmen wir selbstverständlich zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Dr. Robin Korte (GRÜNE): Herr Präsident, herzlichen Dank, dass ich noch einmal reden kann. – Ich möchte die kurze Zeit nutzen, um noch einmal auf Sie, Herr Moor, einzugehen.

Ihre Rede gerade war vielleicht rhetorisch spannend,

(Justus Moor [SPD]: Danke!)

aber sie war an der Sache und vor allen Dingen an den realen Zusammenhängen vorbei. Sie haben – das möchte ich einmal feststellen – gerade versucht, die Debatte zu chaotisieren, indem Sie sich ausschließlich auf dieses Bund-Land-Hin-und-Her bezogen haben, ohne auch nur auf einen einzigen Forderungspunkt aus Ihrem Antrag einzugehen, weil Sie genau wissen, dass Ihre Forderungen Scheinlösungen sind.

Sie hatten auch keine Erklärung zu meiner eben bereits gestellten Frage – das möchte ich festhalten –, warum sich seit 1986 keine einzige SPD-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen der Aufgabe angenommen hat, die jetzt von Ihnen geforderte Erhöhung des Verbundsatzes anzugehen. Sie fordern dies nun in einer Situation, von der Sie bestens wissen müssten, dass die Spielräume dafür sehr begrenzt sind.

Insofern muss ich noch einmal feststellen: Ihr Antrag und die Debatte, die Sie hier führen, sind eine unehrliche Show, über die man auch in den Kommunen nur die Augen rollen wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Christian Dahm [SPD]: Hilferufe kamen auch von den Oberbürgermeistern der Grünen!)

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