Dr. Julia Höller: „Wir lehnen aber eine Normalisierung von Gewaltmitteln ab“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zu "Tasern im Streifendienst"

Portrait Dr. Julia Höller

Dr. Julia Höller (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die FDP hat es wieder einmal mit einer so simplen wie auch irgendwie irreführenden Forderung „Taser für alle“ in die Schlagzeilen geschafft oder es zumindest versucht.

(Ralf Witzel [FDP]: Für Polizeieinsatzkräfte Taser für alle!)

Ich weiß, dass eine Differenzierung in der Politik echt schwierig ist. Das produziert keine Catchy Headlines. Gerade hier, wo es um Einsatzmittel der Polizei geht, wo es um Gewaltmittel und das Verhältnis von Staat und Bürgern geht, lohnt es sich aber, genauer hinzuschauen.

Herr Witzel, Ihre Ausführungen haben mich eben nicht überzeugt,

(Ralf Witzel [FDP]: Schade!)

denn Sie haben wieder auch auf meine Frage hin die Geschichte erzählt: Wir haben da ein Einsatzmittel. Den Taser kann man anstatt einer Schusswaffe nutzen,

(Ralf Witzel [FDP]: Genau!)

um Menschenleben zu retten.

Glauben Sie mir, ich wünschte, dass das so wäre. Das wäre doch super und richtig cool. Aber leider ist diese Grundannahme, auf der Sie das alles aufbauen, einfach falsch. Das habe ich mir nicht ausgedacht, sondern das steht schwarz auf weiß in der Dienstanweisung der Polizei NRW – und ich zitiere –: Das DEIG ist keine Alternative zur Schusswaffe. – Es ist ein spezialisiertes Mittel für statische Lagen mit begrenzter Reichweite und mit einem klar definiertem Einsatzrahmen.

Wir sagen ganz klar Ja für Spezialkräfte. Wo es im Moment gut läuft, wo gut trainiert wird und wo es klare Lagen gibt, kann das DEIG helfen. Aber dort, wo Polizistinnen und Polizisten vor allem deeskalieren, beobachten und kommunizieren müssen, kann der Taser schnell zur ersten Antwort auf Probleme werden, die man besser mit Worten löst.

Das ist keine bloße Theorie. Internationale Erfahrungen zeigen: mehr Zwangsmaßnahmen,

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

keine signifikante Reduktion von Schusswaffengebrauch. Das ist doch genau der Punkt. Besonders davon betroffen sind psychisch Erkrankte, Wohnungslose und People of Color.

Wir lehnen den Taser nicht komplett ab.

(Ralf Witzel [FDP]: Ah!)

– Das ist aber bekannt. Das ist keine Neuigkeit für Sie.

Wir lehnen aber eine Normalisierung von Gewaltmitteln ab.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu dieser Frage, zu diesen Gutachten: Wir machen die Evaluierung ja,

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

und das medizinische Gutachten wurde im Innenausschuss ausführlich besprochen.

(Ralf Witzel [FDP]: Was haben Sie denn für ein Polizeibild?)

Die Studienlage insgesamt ist eindeutig. DEIGs können zu Herzrhythmusstörungen führen, bei Vorerkrankungen tödlich enden und versagen, wenn Kleidung dick ist oder Menschen sich bewegen – und dann erst recht zu einer Eskalation beitragen.

Gerade da, wo es im Streifendienst keine zweite Chance gibt, ist der Taser kein kalkulierbares Werkzeug, sondern eben auch ein Risiko. Und zwar genau deshalb, weil es vermeintlich harmlos ist.

Unsere Polizistinnen und Polizisten auf der Straße, im Wach- und Wechseldienst sorgen für unsere Sicherheit. Sie bestmöglich zu schützen, ist unsere Verantwortung. Damit geht einher, diese Abwägung zu treffen, die Grenzen und Möglichkeiten eines Einsatzes klar zu definieren, mit dieser Verantwortung und der Bürde des Gewaltmonopols, das diese Polizistinnen und Polizisten jeden Tag tragen, verantwortungsvoll umzugehen und nicht Symbolpolitik rauszuhauen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Weil es eben nicht so einfach und klar ist, weil kein klares „Ja“ und kein klares „Nein“ die Sachlage abbildet, haben wir uns als Koalition verabredet, uns schlauer zu machen: Faktenlage statt Bauchgefühl.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Ein Gutachten ist da, die weiteren Studien sind in Bearbeitung, und auf Basis dessen werden wir dann entscheiden, wie wir in NRW weiter vorgehen.

(Ralf Witzel [FDP]: Wann? Wann denn?)

Deshalb lehnen wir den Antrag ab – nicht, weil wir die Technik ablehnen, sondern weil wir Verantwortung ernst nehmen. Schlagzeilen haben nämlich noch nie zu Sicherheit geführt.

Der Taser ist keine harmlose Wunderwaffe und ganz sicher keine Alternative zur Schusswaffe. Kein Stromschlag kann Empathie eines Menschen ersetzen.

(Ralf Witzel [FDP]: Ah!)

Kein DEIG ist ein Ersatz für Dialog. Kein Gerät der Welt kann deeskalieren. Das können nur Menschen. Augenmaß und klug gewählte Einsatzgebiete dort, wo er wirken kann –

(Zuruf von Yvonne Gebauer [FDP])

als Ergänzung zu den vorhandenen Einsatzmitteln, nicht mehr und nicht weniger.

Für alle – und das haben Sie, als Sie uns angesprochen haben, auch sehr schön gesagt –, die jetzt wieder den großen Koalitionsstreit wittern: Ja, es gibt in der Tat dazu zwischen CDU und den Grünen unterschiedliche Positionen. Und hey, es ist sogar richtig gut, dass wir unterschiedliche Positionen haben.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Das macht uns aus. Unser Mehrwert liegt darin, dass wir diese diskutieren und zusammenführen, uns beraten lassen, Expertise einholen und dann faktenbasiert entscheiden.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Das ist übrigens keine Schwäche. Das ist Verantwortungspolitik, gerade in Fragen der inneren Sicherheit.

(Ralf Witzel [FDP]: Aber mit dieser Begründung blockieren Sie uns doch seit drei Jahren! Seit drei Jahren!)

Deshalb: weniger Bauchgefühl, liebe FDP, mehr Evidenz. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

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