Dr. Julia Höller: „Wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen“

Zur Sondersitzung aus Anlass des Terroranschlags in Solingen

Portrait Dr. Julia Höller

Dr. Julia Höller (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fahnen wehen am Sonntag überall in unserem Land auf Halbmast. Es ist ein Zeichen dafür, wie sehr dieser Anschlag uns alle bestürzt, auch mich persönlich.

In Nordrhein-Westfalen gab es einen islamistischen Terroranschlag. So und nicht anders müssen wir es benennen. Und so wichtig eine Debatte über Migration auch ist, darf sie nicht vom eigentlichen Thema ablenken, dem islamistischen Terror, der uns hier heimgesucht hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Terror will nicht nur Tote. Terror will Angst verbreiten. Terror will eine Gesellschaft destabilisieren. Terror will Unsicherheit verbreiten, im Großen und im Kleinen, und Terror zielt auch auf Veränderungen in unserem Verhalten: im Großen auf die Aushöhlung von Grundfreiheitsrechten, im Kleinen, indem Misstrauen entsteht. Ich meine den Moment, wenn ich mich in einer Menge umgucke und erschrecke, weil ich irgendwo eine unwillkürliche Bewegung wahrgenommen habe, oder die Tatsache, dass ich mit meinen Kinder nicht mehr auf ein Volksfest gehe.

Es ist eine kleine Veränderung der Verhaltensweise, aber genau das, worauf es der Terrorismus abgesehen hat: darauf, dass wir unsere Freiheiten aufgeben, aber auch darauf, dass wir aus dem verständlichen Bedürfnis nach Sicherheit unsere demokratischen Werte infrage stellen.

Wir sind es den Opfern schuldig, lückenlos aufzuarbeiten, wie diese Tat passieren konnte – hier im Plenum, in den Ausschüssen und auch im PUA. Und Herr Ott, der Sonderermittler ist doch eine Nebelkerze. Was bringt das denn jetzt? Das können wir im Rahmen des PUAs machen, aber im Moment hört sich das nur gut an, bringt aber gar nichts.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Dann werden wieder mal die Akten nicht rausgegeben!)

Und noch ein Punkt. Denn ich finde, das alles hat sich eben so angehört, als ob Sie gesagt hätten: „Ja, das ist doch alles ganz einfach, dann bucht man einfach den nächsten Flug und gut ist“, so frei nach dem Motto: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

(Zurufe von der SPD: Das haben wir gesagt? Sie haben wohl nicht richtig zugehört!)

Aber uns sagen kommunale Praktiker ganz klar, dass es eben nicht so einfach ist.

(Sven Wolf und Christian Dahm [SPD]: Dann regeln Sie es doch! Dann machen Sie es doch!)

Vielleicht reden Sie noch mal mit denen, und dann lassen Sie die kommunalen Beamten auch nicht so aussehen, als müssten diese einfach nur auf „Buchen“ klicken.

(Christian Dahm [SPD]: Es ist Ihre Aufgabe!)

Ich denke, wir müssen

(Sven Wolf [SPD]: Dann nehmen Sie doch die Sorgen der Kommunalen ernst!“)

nach vorne gucken, und ich habe vier Punkt nach vorne.

Wir müssen erstens – und darauf hat Frau Schäffer schon hingewiesen – den Islamismus entschlossen bekämpfen.

(André Stinka [SPD]: Dann mal zu!)

Wir müssen Gefährder erkennen, wir müssen repressive Maßnahmen konsequent durchsetzen, mit hohem Ermittlungsdruck gegen islamistische Netzwerke vorgehen,

(Christian Dahm [SPD]: Dann macht das doch!)

Vereinsverbote konsequent durchsetzen.

Erkennt unser Verfassungsschutz als Frühwarnsystem genug, wenn sich Menschen radikalisieren?

Erkennen wir radikalisierte Menschen, egal ob sie eingereist sind oder hier angeworben wurden?

Es muss uns alarmieren, wenn Menschen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, bei TikTok Millionen Follower haben und die islamistische Filterblase nur zwei Likes entfernt ist. Das müssen wir nicht akzeptieren. Wir müssen umgehend die Melde- und Löschpflichten der Onlineplattformen viel besser einsetzen. Wir müssen den Islamisten das Scheinwerferlicht wegnehmen und den Stecker ziehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Gleichzeitig kann der Verfassungsschutz viel mehr tun. Wir müssen die virtuellen Agenten einsetzen. Dafür müssen wir ihn weiter befähigen und in Prävention investieren.

Zweitens: die Ausstattung der Sicherheitsbehörden. Wir haben die Einstellungszahlen im Sicherheitsbereich massiv erhöht. Wie können wir die Ressourcen jetzt maximal effektiv und effizient einsetzen? Was für Unterstützung braucht es? Das betrifft auch die digitale Ausstattung der Sicherheitsbehörden bzw. der Polizei. Die neue Cybercrime-Inspektion, für die wir im neuen Haushalt 7 Millionen Euro bereitstellen, ist nur ein Anfang. Der digitale Raum darf nicht den Kriminellen und Terroristen gehören.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Drittens: die Sicherheit der Menschen im öffentlichen Raum. Waffenverbotszonen, schärferes Waffenrecht – das alles sind richtige Antworten, allerdings nicht auf Islamismus und Terror.

(Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Wer sitzt noch mal in der Landesregierung?)

Wir haben es mit der Gleichzeitigkeit von Bedrohungen zu tun. Die Menschen erwarten von uns, dass wir mehr als eine Gefährdungslage im Blick haben. Deshalb gilt: ja, unbedingt einsetzen.

Viertens. Wir müssen die Abläufe im Asylverfahren viel effizienter machen und die Schnittstellen verbessern.

(Christian Dahm [SPD]: Ja, das ist Ihre Aufgabe! Ihre Verantwortung!)

Wir haben gestern gesehen, wie die SPD mit Schaum vor dem Mund einzelne Schuldige sucht und sich mehr um Kalendereinträge als um Sachprobleme kümmert.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Man könnte auch einen kleinen Schritt zurücktreten, um zu fragen: Geht es bei einem solchen System wirklich um eine persönliche Schuld? Nein,

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Ja! – Kirsten Stich [SPD]: Um Antworten!)

es geht darum, zu analysieren, wo wir Sachen verbessern können, dass keine Sicherheitsinformationen verloren gehen, dass Abschiebungen konsequent stattfinden und dass unser Rechtsstaat handlungsfähig ist. Genau das hat Josefine Paul gemacht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Das kann nicht euer Ernst sein!)

Natürlich haben sehr viele Menschen recht – sehr viele hier sagen genau das auch schon lange –: Das System ist ineffizient. – Es ist einfach, das zu sagen, aber Josefine Paul ist diejenige, die nicht nur klar benennt und erklärt, dass das System ineffizient ist und nicht funktioniert, sondern auch bis ins kleinste Detail, wo.

(André Stinka [SPD]: Deswegen fragt sie jetzt nach!)

Sie tut das anhand von Fakten und einer enorm schnellen Schwachstellenanalyse. Das vermisse ich bei anderen, die dieses System teilweise mitverantworten.

Wir sollten aus solchen Ereignissen lernen. Wir sollten die Strukturen verbessern, damit die Sicherheitsbehörden und die Ausländerämter so funktionieren, wie man es erwarten kann.

Wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen: nicht vom IS, nicht durch den Terror, nicht durch die Aushöhlung unserer demokratischen Grundwerte. Ich werde nächste Woche mit meinen Kindern in Bonn zum Pützchens Markt gehen, genauso wie viele Tausend andere Menschen. Der Terror wird nicht das letzte Wort haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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