Dr. Julia Höller (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Schneider, bevor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich gerne eine Sache sagen. Ich bin mir unsicher, ob sich dieses ernste Thema eignet, ein AfD-Framing von Links-Grün gegen die Sicherheitsbehörden hier so zu übernehmen. Ich glaube, wir sollten denen diesen Gefallen nicht tun.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von der FDP)
NRW und die Bundeswehr sind eine sehr enge und starke Beziehung. Das ist jetzt sehr, sehr klar geworden. 25 Standorte und mehr als 30.000 Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Beschäftigte leisten hier ihren Dienst. Diese Menschen sind das Bindeglied zwischen Bundeswehr und Land, zwischen Staat und Gesellschaft.
Seine geografische Lage macht Nordrhein-Westfalen zur logistischen Drehscheibe gleichermaßen für Wirtschaft und Sicherheit. Straßen, Schienen, Häfen: Unsere Infrastruktur verbindet uns mit unseren Partnern im Frieden wie im Ernstfall. Unsere Unternehmen bilden die industrielle Basis unserer Sicherheit – vom großen Rüstungskonzern bis hin zum kleinen spezialisierten Zulieferer –, ohne die unsere Unterstützung für die Ukraine gar nicht möglich wäre. Ich denke schon, dass das im Endeffekt auch den Soldatinnen und Soldaten zugutekommt, Herr Bialas.
Die Bundeswehr ist tief in Nordrhein-Westfalen verwoben – sichtbar und unsichtbar, mal in Uniform, mal über Liegenschaften, Forschung oder Industrie. Gerade weil diese Verwobenheit so stark ist, müssen wir die Menschen mitnehmen. Das ist unsere Aufgabe. Denn auch 70 Jahre nach Gründung der Bundeswehr ist es nicht selbstverständlich, dass Panzer über unsere Schienen rollen oder Kommunen Flächen für Kasernen bereitstellen müssen. Es ist unsere Aufgabe als Politik, diese Situation offen und ehrlich zu thematisieren: Was passiert, und warum passiert das? Was erwartet euch da?
Gerade weil diese Verbindungen zwischen Nordrhein-Westfalen, den Menschen und der Bundeswehr so eng sind, ist es unsere Aufgabe, Brücken zu bauen, Beziehungen zu stärken, Sorgen ernst zu nehmen und Kritik zuzulassen. Nur dann kann die Bundeswehr diese Wertschätzung erfahren – darum geht es Ihnen in diesem Antrag, und das schätze ich sehr wert –, die sie verdient. Darum muss es gehen und vielleicht weniger um ritualisierte Veranstaltungen oder die Eventisierung von Kriegsgerät. Es muss um echtes gegenseitiges Verständnis, Begegnen und Zuhören gehen.
Ich habe nichts gegen öffentliche Gelöbnisse. Erst letzten Sonntag habe ich mit den Kolleginnen und Kollegen der CDU am Gelöbnis des Unterstützungskommandos der Bundeswehr in Brühl teilgenommen.
(Zuruf: Sehr gut!)
Aber wenn uns die Bilder von Panzern vor dem Landtag nicht mehr irritieren, wenn wir von Kriegstüchtigkeit und Wehrpflicht sprechen, ohne zu hinterfragen, was das bedeutet, und ohne zu reflektieren, dann haben wir wenig gelernt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Putins Angriff auf die Ukraine hat uns brutal vor Augen geführt, dass die europäische Friedensordnung keine Selbstverständlichkeit ist. Russische Kampfflugzeuge im estnischen Luftraum, Drohnen über europäische Städte, Angriffe auf kritische Infrastrukturen – die Bedrohung ist real. Und wir haben darauf reagiert. Zeitenwende ist vielleicht ein überstrapaziertes Wort, aber sie ist eine sicherheitspolitische Notwendigkeit. Ihre Umsetzung bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und ihre Operationalisierung unsere konkrete politische Verantwortung.
Mein Punkt ist: Sicherheit ist mehr als Bundeswehr allein. Krankenhäuser brauchen Reservekapazitäten. Straßen und Brücken müssen so gebaut sein, dass im Krisenfall schwere Militärfahrzeuge passieren können. NRW liegt auf der Route jedes NATO-Fahrzeugs, das an die Ostflanke verlegt wird. Unsere Infrastruktur ist Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur.
Die Zeitenwende endet aber nicht beim Militär. Nur wenn militärische und zivile Verteidigung zusammengedacht sind, werden wir krisenfest. Das zeigt auch ein Blick auf den Bevölkerungsschutz. 1990 gab es noch 2.000 Schutzräume für fast 2 Millionen Menschen, heute sind es 579, keiner davon einsatzbereit. In NRW gibt es 48 Schutzräume. Sie alle sind außer Betrieb. Ich glaube, das ist sinnbildlich dafür, dass wir in der zivilen Verteidigung einiges vor uns haben.
(Beifall von Gönül Eğlence [GRÜNE])
Ähnlich ist es beim Schutz kritischer Infrastruktur. Auch hier fehlen immer noch verbindliche Standards, und auch hier müssen wir endlich handeln.
Eine Stärkung der Bundeswehr kann es nur geben, wenn wir diese Komponenten ernst nehmen und sie mitdenken. Alle diese Themen betreffen die Bundeswehr, aber eben nicht nur sie allein. Deshalb brauchen wir eine Gesamtverteidigungsstrategie, die all diese Ebenen einbezieht und die Menschen nicht außen vor lässt.
Den Antrag werden wir ablehnen, aber nicht, weil die Punkte grundlegend falsch wären – vieles davon wird längst umgesetzt, und einige Punkte finden wir gut –, sondern weil der Fokus sehr eng ist und meines Erachtens nicht den Kern trifft. Die notwendige Stärkung der Bundeswehr haben wir Grüne auf Bundesebene entscheidend mit ermöglicht. Sie kann aber nur wirken, wenn sie in ein umfassendes Verständnis von Sicherheit eingebettet ist, das militärische, zivile und gesellschaftliche Resilienz zusammenführt. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
