Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Seit meiner Kindheit habe ich fast täglich mit dem Wald zu tun. Jeden Tag ist mein Vater in den Wald gefahren, hat gepflanzt, gepflegt, Bäume für den Einschlag markiert, gesägt, gerückt. Wir Kinder mussten immer wieder mit, mit dem Maßband über Bäume klettern, zum Pflanzen mit der Pflanzhacke, zum Brennholz machen, zum Holz schleppen.
Auch die Arbeit um den Wald war immer präsent: Forstbetriebsgemeinschaftsarbeit lag auf dem Küchentisch. Wöchentlich war der Förster vor Ort. Jeden Tag war der Wald Gesprächsthema am Küchentisch. Bei uns im Dorf hatte zu diesen Zeiten jeder dritte oder vierte Wald, war FBG-Mitglied. Man arbeitete zusammen, gab das Wissen über Böden, Wasserstellen, Wild und Wuchserfahrungen weiter.
Manche Förster oder Försterinnen versuchten, meinem Vater und den Waldbauern den Dauerwaldgedanken nahezubringen, aber die Fichte war und blieb der Brotbaum des Sauerlands, der Altersklassenwald war vorherrschend. Doch dann kam Kyrill, das war 2007. Stürme hatte es immer schon gegeben, Borkenkäfer auch, aber dieses Ereignis, Kyrill, veränderte auf den ersten Blick alles, auf den zweiten Blick machten jedoch viele weiter wie zuvor: einmal Fichte geht noch.
Ich war zu dem Zeitpunkt in Kenia, diskutierte globale Umweltprobleme mit Menschen aus aller Welt. Ich kam zurück und erkannte meine Heimat nicht mehr wieder, verlief mich im eigenen Wald. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir deutlich, wie einschneidend die klimatischen Veränderungen sein werden, wie wichtig es ist, intensiv mit der Natur und nicht gegen sie zu arbeiten und wie sehr der Blick auf Natur von gesellschaftlichen Verhältnissen geprägt ist.
Natur waren die Holzäcker der Vergangenheit nicht, sie waren Produktionsflächen – aus guten Gründen, aber auch mit vielen Schattenseiten. Die Umbrüche, die wir derzeit global und lokal erleben, zeigen uns: Wir brauchen eine intakte Natur, um zu überleben. Wir Menschen, heute und in Zukunft, brauchen auch den Wald für ein gutes Leben.
Wasserbereitstellung, Luftfilterung, Holzproduktion, Sauerstoff, Erholung, Spiritualität, Erosionsschutz – all das liefert uns der Wald. Unsere menschlichen Existenzen werden von einer sehr großen Vielfalt dieser ökologischen Funktionen gesichert. Deshalb ist das Überleben der Wälder unabdingbar. Die Komplexität der Waldökosysteme und der Umweltwandel bedeuten aber eine große Unsicherheit für unser Wirtschaften mit den Wäldern.
Wir müssen vom Wald lernen und unser Handeln anpassen. Alle Menschen sollten und müssen einen angemessenen Zugang zu den von den Wäldern dargebrachten Ökosystemleistungen haben. Die Waldökonomie ist daher nicht länger allein ein forstbetriebswirtschaftliches Problem, sondern berührt auch gesellschaftliche Fragen.
Nicht nur die bisherige Forstwirtschaft, sondern vielmehr unsere gesamte Gesellschaft befindet sich in einer Multikrise. Allein die Klimakrise stellt das Wissen um den Wald, seine herkömmliche forstliche Nutzung und im schlimmsten Fall seine Existenz in Frage. Wir müssen den Wald anders lesen, lernen und lehren. Die tradierte Wissensübergabe der Achtzigerjahre funktioniert nicht mehr. Das heißt, wir müssen dringend etwas tun: das Wissen um den Wald verbessern, den Transfer in die Praxis gut organisieren und das natürlich auch in der täglichen Arbeit im Wald umsetzen.
NRW ist ein waldreiches Land – Kollege Nolten hatte das eben schon angeführt. NRW ist auch besonders: Im Gegensatz zu anderen Flächenländern haben wir keine eigene Hochschule, keine Universität, die sich mit Wald- und Forstwirtschaft beschäftigt. Es gibt keine systematische Forschung, es gibt kaum Lehre zu waldökologischen Themen, und das trotz des hohen Privatwaldanteils, trotz der besonderen Herausforderungen, der dichten Besiedlung und der vielen Ansprüche an den Wald.
Die schwarz-grüne Koalition hat beschlossen, dies zu ändern und auch in NRW wissenschaftliche Waldökosystemforschung und Praxistransfer zu betreiben,
(Beifall von den GRÜNEN, Bianca Winkelmann [CDU] und Dr. Ralf Nolten [CDU])
über das Forschungsnetzwerk Wald hinaus, das sich in den letzten Jahren und Monaten zusammengefunden hat. Zur Gründung und zum Aufbau des Instituts für Waldökosystemforschung stellen wir in den kommenden Jahren insgesamt 1,5 Millionen Euro zur Verfügung.
Folgende Fragen könnten zum Beispiel im Fokus stehen: Wie kann das Management von Wäldern dazu beitragen, dass sie gesünder und funktionstüchtiger werden? Was können wir vom Wald selbst lernen? Was können wir in Wildnisflächen oder Naturwaldzellen zur Entwicklung von Wäldern lernen?
Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, zeitnah ein Umsetzungskonzept zu entwickeln. Wir streben die Etablierung im ländlichen, waldreichen Raum an, nicht eigenständig, sondern integriert in bestehende Strukturen. Hierfür bietet sich unseres Erachtens am besten die FH Südwestfalen mit dem Standort Soest an. Dort gibt es mit den Studiengängen Agrarwissenschaft sowie Ökologie und Nachhaltigkeitsmanagement, dem Forschungsprojekt „ReForm-regioWald“, dem gepachteten Gut Merklingsen und der Nähe zu Arnsberg und dem dort ansässigen Zentrum für Wald- und Holzwirtschaft gute Voraussetzungen für eine schnelle Umsetzung.
Wir stimmen dem Antrag selbstverständlich zu und können Sie alle nur auffordern, es uns gleichzutun – für den Wald, für die Ökologie, für uns alle. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)