Dr. Gregor Kaiser: „Die europäische Freizügigkeit ist ein zentraler Pfeiler der europäischen Integration“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zum „Förderprogramm Südosteuropa“

Portrait Gregor Kaiser - klein

Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Liebe Silvia Gosewinkel, die Landesregierung ist seit Beginn deiner Rede hier im Raum gewesen, Ministerin Gorißen spricht für Frau Paul – nur damit da keine Missverständnisse aufkommen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die europäische Freizügigkeit ist ein zentraler Pfeiler der europäischen Integration. Menschen aus allen Ländern der EU können sich in den anderen Ländern niederlassen, eine Arbeit aufnehmen, ihren Lebensmittelpunkt neu wählen. Das ist eine große Errungenschaft, auf die wir demokratischen Europäerinnen stolz sein dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch für Menschen aus Osteuropa gilt diese Freizügigkeit spätestens seit 2014. Ohne den Zuzug von Menschen aus Südosteuropa, insbesondere auch aus Rumänien oder Bulgarien, würde in einigen Wirtschaftsbereichen dieses Landes nicht mehr viel funktionieren.

Besonders und auch neu war 2014 und in den folgenden Jahren, dass insbesondere sozioökonomisch benachteiligte Menschen aus diesen Ländern von der Möglichkeit der Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben. Dies rechtfertigt dieses von der SPD mit dem Antrag thematisierte, speziell zugeschnittene Programm. Dieses Programm war zu Beginn nur für drei Jahre gedacht. Mittlerweile läuft es seit acht Jahren. Seit Beginn der Freizügigkeit 2014 haben sich die Zuzugszahlen – Sie haben schon darauf hingewiesen – insbesondere von Menschen aus Rumänien und Bulgarien stark erhöht. In manchen Kommunen wie zum Beispiel Mönchengladbach haben sie sich vervierfacht.

Das seit 2017 bestehende Förderprogramm „Zuwanderung aus Südosteuropa“, welches hier zur Diskussion steht und im Juli 2023 – Sie haben es angesprochen, Frau Gosewinkel – von 22 auf insgesamt 35 Kommunen in NRW erweitert wurde, ist ein Unterstützungsprogramm des Landes für diese besonders stark eingebundenen Kommunen gewesen. Dieses Förderprogramm sollte modellhaft Maßnahmen ausprobieren und voranbringen, und diese sollten dann in die Regelförderung integriert werden. Das ist von Anfang an so angedacht gewesen und auch immer wieder kommuniziert worden.

Die Idee, dass durch dieses Förderprogramm die Teilhabe und Integration von Menschen aus Südosteuropa lokal verbessert werden soll, ist richtig und gut gewesen. Es soll die Möglichkeit geschaffen werden, konzeptionelle Herangehensweisen zu erproben, Zugänge zu entwickeln, Vertrauen herzustellen. Dies ist in den vergangenen Jahren auch gut gelungen. Immer mehr Kommunen haben sich beteiligt. Die jährlich zugewiesenen Haushaltsmittel haben sich von 2,5 Millionen Euro zu Beginn auf mittlerweile 5,5 Millionen Euro pro Jahr erhöht.

Die zeitliche Begrenztheit – darauf haben Sie gar nicht hingewiesen, Frau Gosewinkel – wurde von Beginn an in jeder Förderperiode kommuniziert und ist konzeptionell begründet. Somit ist es nun auch keine Überraschung für die Kommunen, dass dieses Programm zum Jahresende 2024 ausläuft. Es ist die dritte und letzte Förderphase, die derzeit läuft. Nach jetzigem Planungsstand stehen für 2025 keine Mittel mehr zur Verfügung.

Aber die Kommunalen Integrationszentren vor Ort können durch die Landesförderung, die gesetzlich festgeschrieben ist, gezielt bedarfsgerechte Unterstützungsmöglichkeiten schaffen und von den durch das Programm Südosteuropa erprobten Maßnahmen profitieren. Es wurde viel Wissen geschaffen, und es wurden viele Maßnahmen erarbeitet, die jetzt im Kommunalen Integrationsmanagement bearbeitet und aufgenommen werden können.

Für die Menschen aus Südosteuropa gilt jetzt seit zehn Jahren die Freizügigkeit. Sie kann und sollte nun genauso behandelt werden wie die Einwanderung aus allen anderen europäischen Ländern.

Vizepräsident Christof Rasche: Jetzt haben wir den Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Kollegen Klute.

Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Ja, bitte.

Vizepräsident Christof Rasche: Okay.

Thorsten Klute (SPD): Vielen Dank, lieber Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Sie haben gerade auf die Kommunalen Integrationszentren verwiesen, die die bisher mit den Fördermitteln bewältigten Aufgaben im Rahmen der Integration von Zuwanderung aus Südosteuropa erledigen können. Bekommen die Kommunalen Integrationszentren denn auch das notwendige zusätzliche Geld, um diese Aufgaben übernehmen zu können, oder bleibt es bei dem Geld, das sie bisher erhalten haben?

Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Herr Klute, vielen Dank für die Frage. Sie wissen genau, dass die Summe, die für die Kommunalen Integrationszentren vorgesehen ist, gesetzlich festgelegt ist und dass diese Gelder für die Integrationsarbeit auf kommunaler Ebene zur Verfügung steht.

Es macht keinen Sinn, zu unterscheiden, ob die Menschen, für die die Arbeit gemacht wird, aus Südosteuropa oder aus Syrien oder aus anderen Ländern kommen, sondern die Kommunalen Integrationszentren sind dafür geschaffen worden, die Arbeiten, die mit den Modellen erprobt worden sind, jetzt zu erledigen, und dafür stehen finanzielle Mittel zur Verfügung. Sie sind ja in den letzten Jahren auch nicht immer konsequent abgerufen worden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es gibt darüber hinaus – das schließt an Sie, Herr Klute, an; da geht es nicht nur um Geld – auch Möglichkeiten für die Kommunen, Fördermittel speziell für bestimmte Zuwanderungsgruppen zu erhalten. Sie sind nicht nur aufs Land angewiesen. Das Programm EhAP Plus des Europäischen Sozialfonds hat zum Beispiel zum Ziel, zur Verbesserung der Lebenssituation beizutragen und die soziale Eingliederung von besonders von Armut betroffenen, neu zugewanderten EU-Bürgerinnen zu unterstützen.

Sie wissen genau, dass dieses Programm den Kommunen bekannt ist, denn die Landesregierung hat bei Bewilligung im Rahmen des SOE-Programms und auch noch im Frühjahr letzten Jahres immer darauf hingewiesen, dass es dieses Programm gibt und Antragstellungen möglich sind.

Vizepräsident Christof Rasche: Wunderbar. Jetzt haben wir noch eine Zwischenfrage.

Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Ja, ist ja gut. Wer möchte denn?

Vizepräsident Christof Rasche: Herr Kollege Watermeier. Dann sind wir auch bei zwei Zwischenfragen pro Redebeitrag, und danach enden wir dann auch.

Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Ihnen reicht die Redezeit wohl nicht, die Sie ansonsten haben.

(Sebastian Watermeier [SPD]: Herr Präsident, dürfte ich zurückstellen für die Kollegin Gosewinkel?)

Vizepräsident Christof Rasche: Zurückstellen können wir nicht, aber wir können …

(Sebastian Watermeier [SPD]: Ich ziehe zurück, wenn sie dann darf!)

– Selbstverständlich. Ladies first. – Bitte sehr.

Silvia Gosewinkel (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege, nehmen Sie zur Kenntnis, dass durch das Förderprogramm SOE Stellen entstanden sind, die jetzt nicht mehr finanziert werden können, und dass die Arbeit auch nicht mehr in dem gleichen Maße entstehen kann, weil es in den KIs nämlich auch andere Aufgaben und andere Tätigkeiten gibt?

Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Frau Gosewinkel, Sie und auch die Stelleninhaberinnen und -inhaber wissen, dass es Projektförderungen gewesen sind. Projektförderungen haben wir in Hunderten Bereichen, in denen die Menschen, die diese Stellen haben, nach ein, zwei oder drei Jahren nicht mehr wissen, ob diese Stelle weitergeht, ob ein neuer Projektantrag bewilligt wird oder nicht. Das ist in der Wissenschaft gang und gäbe.

Bei diesem Programm, das – Sie haben es eben erwähnt – von Ihrem damaligen Minister mit erdacht worden ist, ging es darum, Methoden, Tools zu entwickeln, um eine neue Problemlage zu bearbeiten. Diese neue Problemlage ist mittlerweile zehn Jahre alt. Sie ist ohne Frage noch vorhanden. Aber das Wissen ist da. Methoden sind entwickelt worden. Somit können Kommunale Integrationszentren hier gut handeln und arbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich sehe, meine Zeit ist abgelaufen, Herr Präsident, aber ich werde noch ein bisschen weiterreden.

(Heiterkeit)

– Danke.

Darüber hinaus ist das im Teilhabe- und Integrationsgesetz verankerte – jetzt komme ich noch einmal darauf zurück – rechtskreisübergreifende Kommunale Integrationsmanagement fester Bestandteil der Regelstruktur und kann die Methoden, die erarbeitet worden sind, ohne Probleme integrieren.

Die Zugewanderten aus den südosteuropäischen Ländern können hier mitbetreut und mitversorgt werden. Die Ausgestaltung liegt dann natürlich – das ist die Herausforderung – in der Verantwortung der Kommunen, sie ist aber finanziert über die gesetzlich festgelegten und dynamisiert angelegten Landesmittel in Höhe von 130 Millionen Euro.

Letzter Punkt: Auch neue Modellversuche der Unterstützungsarbeit – dorthin muss man sicherlich mal schauen – für eine breite Zielgruppe sind denkbar und sicherlich in diesen sich verändernden Zeiten auch notwendig. Beispielhaft sei hier nur die massive Zunahme der digitalen Kommunikation in den vergangenen zehn Jahren zu nennen, über welche heute und in Zukunft Unterstützungs- und Beratungsarbeit erfolgen kann und wird. Mit diesem Handwerkszeug können Menschen erreicht und unterstützt werden.

Nichtsdestotrotz wird im Antrag der SPD eine wichtige Thematik aufgegriffen, es wird aber etwas skandalisiert, woran es nichts zu skandalisieren gibt. Wir stimmen der Überweisung in den Ausschuss natürlich zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Christof Rasche: Sie haben gerade gesagt, Sie seien am Schluss angelangt, haben dann aber noch ausgeführt. Auch jetzt ist noch nicht ganz der Schluss; denn es liegt eine Kurzintervention vor.

Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Ja, dann warten wir.

(Thorsten Klute [SPD]: Wir wollen es wissen!)

Vizepräsident Christof Rasche: Herr Watermeier, Sie haben jetzt für 60 Sekunden das Wort.

Sebastian Watermeier (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege, Sie haben vorhin ausgeführt, die Zuwanderung aus Südosteuropa müsse so behandelt werden wie jede andere europäische Zuwanderung auch. Sie haben ausgeführt, Projektstrukturen müssten jetzt in Regelstrukturen überführt und dort abgebildet werden, obwohl es keine Mehrleistung der Landesregierung gibt, obwohl Sie ignorieren, dass jährlich Tausende Menschen aus dieser Zielgruppe mit ganz bestimmten Bedarfen erneut zuwandern.

Ich nehme das als eine Art Flucht vor der Realität wahr, bitte Sie aber, mir folgende Frage zu beantworten: Glauben Sie denn, dass die sich hinsichtlich dieser Zielgruppe stellenden Integrationsaufgaben in den bisherigen Förderjahren bereits bewältigt wurden und damit im Großen und Ganzen abgeschlossen sind, sodass man die Maßnahmen jetzt beenden oder jedenfalls den Kommunen in der Regelförderung anheimstellen kann?

(Beifall von der SPD)

Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Zu dieser Frage habe ich von Ihrer Kollegin eben auch nichts gehört. Integration bleibt eine Daueraufgabe in Bezug auf alle Zugewanderten – sowohl für diejenigen aus Südosteuropa als auch für diejenigen aus Syrien und aus anderen Ländern.

(Sebastian Watermeier [SPD]: Darf nur nichts kosten, ne?)

Integration ist eine große Aufgabe für unsere Gesellschaft. Programme sind kurzfristig angelegt gewesen, um Methoden und Tools zu entwickeln und auf eine bestimmte neue Situation zugreifen zu können.

(Beifall von Gönül Eğlence [GRÜNE])

Das ist geleistet worden; das war das Ziel eines Programms. Sie müssen auch mal die Realität anerkennen, dass im Rahmen von Programmen entwickelte Methoden in den Regelbetrieb integriert werden und wir nicht immer wieder neue Programme bzw. Projektförderungen auflegen können. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von Nadja Lüders [SPD] und Silvia Gosewinkel [SPD])

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