Dr. Birgit Beisheim: „Wir sind gerade in Europa immer dazu verdammt, mehr Qualität günstiger und klimafreundlicher anzubieten als die anderen“

Antrag von SPD und GRÜNEN zum Stahlstandort NRW

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Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass in der aktuellen Debatte über die Stahlindustrie mittlerweile alle Faktoren auf dem Tisch liegen, die die Stahlstandorte weltweit unter Druck geraten lassen. Nur die CDU scheint das nicht zu interessieren. Sie versucht immer, den Treibhausgasemissionshandel als Sündenbock darzustellen. Aber so einfach ist das nicht.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie haben den Kollegen Sundermann gerade nicht gehört, oder?)
– Ja, sicherlich. Aber wenn man die Debatten und das verfolgt, was Herr Kollege Laschet dazu gesagt hat, kann man nur sagen, dass Sie wirklich keine Fakten brauchen, um eine Meinung zu haben; denn die Entwicklung kam nicht plötzlich, sondern deutete sich schon länger an.
Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, Herr Hovenjürgen, dann stellen Sie fest, dass es 2010/2011 ein Zwischenhoch gab. Letzten Endes gab es dann einen Einbruch der Produktion. Mittlerweile ist höchstens noch eine Seitwärtsbewegung festzustellen, was die Produktion insgesamt betrifft. Die Auslastung der Hütten beträgt – verteilt über alle Stahlstandorte – durchschnittlich 85 %.
Diesen Umsatzeinbrüchen wurde bereits begegnet. Ich muss sagen, in Duisburg gibt es ein bemerkenswertes Beispiel für Solidarität unter den Belegschaften. Die Belegschaft hat selbst entschieden, eine 31-Stunden-Woche einzuführen. Sie hat dadurch Entlassungen vermieden. Deshalb haben die Kolleginnen und Kollegen vor Ort wirklich ein Recht darauf, dass wir eine faire Debatte über die Zukunft der Stahlstandorte führen.
Schaut man sich ganz nüchtern die Variablen an, die das Betriebsergebnis beeinflussen, so ist die Hebelwirkung der einzelnen Variablen enorm. Die Einflüsse zum Beispiel eigener Managementfehler, der Überproduktion oder des Treibhausemissionshandels laufen nicht immer parallel, sondern teilweise auch entgegengesetzt. Lassen Sie mich das am Beispiel des Treibhausemissionshandels erläutern.
Das bisherige Überangebot an Zertifikaten hat dazu geführt, dass es zu einer geringeren Belastung gekommen ist, als ursprünglich eingepreist war. Das hat dazu beigetragen, dass die Verluste bei ThyssenKrupp aus den brasilianischen und amerikanischen Abenteuern abgefangen werden konnten. Insgesamt hat die Stahlindustrie zwischen 2005 und 2012 von der Ausgestaltung des Emissionshandels profitiert und Emissionszertifikate im Wert von 5,3 Milliarden € kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen.
Wir alle wissen, Europa ist kein Wachstumsmarkt im Bereich Stahl. Es ist daher, wie vorhin gesagt, von einer Seitwärtsbewegung des Verbrauchs zu sprechen. Aufgrund der europäischen Überproduktion ist auch klar, dass es zukünftig zu einem Kapazitätsabbau auch in Deutschland kommen wird.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ellerbrock?
Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Ja.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist sehr freundlich von Ihnen. – Bitte, Herr Ellerbrock.
Holger Ellerbrock (FDP): Frau Kollegin, diese Vergangenheitsdarstellung ist ja sehr interessant. Aber es geht doch heute eigentlich darum, deutlich zu machen, dass der Benchmark für die Zuteilung in einem Maße unterhalb der technischen Möglichkeiten gefordert wird, sodass die besten Unternehmen noch zusätzliche Zertifikate kaufen müssen. Die Begründung liegt darin, dass die Bundesregierung Umweltprogramme in der Hoffnung auf hohe Zertifikatspreise durchfinanziert hat. Das ist nicht eingetreten. Das ist das Problem, über das wir uns unterhalten müssen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Sehen Sie das auch so, Frau Kollegin? – Vielen Dank für die Frage, Herr Ellerbrock.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Danke für die Frage, Herr Kollege Ellerbrock. Ich sehe das so, dass Sie der Debatte immer etwas hinterherhinken. Mittlerweile diskutieren bereits Vertreter der Stahlindustrie und der Belegschaften, den Zertifikatehandel durchaus nicht abschaffen zu wollen. Letzten Endes wird diskutiert, dass man Ausnahmen für die effizientesten Standorte möchte, aber nicht ausgerollt über die gesamte Stahlindustrie.
Auch die Stahlindustrie weiß: Wenn wir den Klimawandel nicht als Innovationstreiber erkennen, ist dauerhaft keine nachhaltige Zukunft an den Standorten möglich. Sie wissen, in Bezug auf die Preise und Qualitäten werden wir schnell eingeholt. Deshalb sind wir gerade in Europa immer dazu verdammt, besser zu sein als die anderen, mehr Qualität günstiger und klimafreundlicher anzubieten. Das werden wir auch nicht abschaffen können. Wir brauchen auch einen funktionierenden Emissionshandel, um letzten Endes wieder zu einem faireren Wettbewerb zu kommen.
Ich kann, wie gesagt, verstehen, dass die Nervosität auch in den Belegschaften aufgrund dieser Debattenlage steigt. Es geht ja immerhin auch um die Zukunft der Kolleginnen und Kollegen vor Ort. In Duisburg, in der Stadt, aus der ich komme – Sie kommen ja auch daher –, reden wir insgesamt über 20.000 Arbeitsplätze allein in der Stahlindustrie. Daran hängt noch ein ganzer Rattenschwanz von Dienstleistungen und anderen Menschen, die quasi Zuarbeit liefern.
Deshalb weiß ich auch, dass die Stahlindustrie in der Vergangenheit wichtige Fortschritte gemacht hat in Bezug auf Ressourceneffizienz, in Bezug auf CO2-Reduktion. Diese Leistung ist auch anzuerkennen. Sie ist auch die Voraussetzung dafür, dass die funktionierenden Stahlstandorte bei uns in Nordrhein-Westfalen tatsächlich auch eine gute Prognose haben. Aber diese Anstrengungen reichen nicht.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Es muss weiter gehen. Die Projekte zur CO2-Minimierung sind deshalb so wichtig, die angestoßen worden sind. Ein Kernstück ist, dass wir darüber reden, wie wir CO2 reduzieren können, indem wir Kohlendioxid als Produkt benutzen, und zwar in neuen Industrieverbünden aus Chemie und Stahl. Unsere Aufgabe wird es sein, diesen Aufbruch der Stahlindustrie in eine klimafreundliche Zukunft auch vernünftig zu begleiten.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Wie gesagt, Voraussetzung ist ein fairer und freier Handel. Und die Sorgen der deutschen Stahlindustrie, bezogen auf die Dumpingproblematik, sind berechtigt. Aktuell wird auch bereits über das Herannahen eines neuen Handelskrieges gesprochen. Befeuert wird das Ganze auch dadurch, dass die EU bis Ende des Jahres wirklich zu einer Lösung kommen muss, ob man China einen Marktwirtschaftsstatus verleiht.
Unsere grüne Position ist es, dieses nicht zu tun. Denn nur eine wirksame Bekämpfung von Dumping trägt gleichzeitig auch zum Erhalt der Innovationskraft bei. Wir brauchen einen fairen Wettbewerb. Dazu gehören die Bekämpfung von Dumping, aber auch Preise, die die ökologische Wahrheit sagen und widerspiegeln. Und das gelingt nur, wenn man Klimaschutz als einen wichtigen Innovationsfaktor, einen wichtigen Innovationstreiber begreift.
Ich weiß, dass die Stahlstandorte in Nordrhein-Westfalen diese Herausforderungen bereits angenommen haben. Deshalb freue ich mich auf die Debatte im Ausschuss. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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